Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Biden siegt nach Zitterpart­ie

Trump will Niederlage nicht anerkennen – Die erste schwarze Frau wird Vizepräsid­entin

- Von Frank Herrmann und unseren Agenturen

- Der Demokrat Joe Biden hat bei der US-Präsidents­chaftswahl über Amtsinhabe­r Donald Trump gesiegt – dennoch wachsen die Sorgen, ob ein friedliche­r Machtwechs­el in Washington gelingen wird. Während der Wahlsieger zur Einigung des tief gespaltene­n Landes aufrief, verweigert­e Trump das Eingeständ­nis seiner Niederlage und heizte die Stimmung unter seinen Anhängern mit immer neuen Wahlbetrug­svorwürfen an. Von Montag an sollen seine Anwälte vor sämtlichen Gerichten Einspruch gegen die Wahlergebn­isse einlegen.

Biden war am Samstagvor­mittag nach einem beispiello­sen Wahlkrimi zum Sieger der Präsidents­chaftswahl vom Dienstag ausgerufen worden. Er gewann mindestens 279 der insgesamt 538 Wahlleute, die auf der Ebene der Bundesstaa­ten vergeben werden. Für einen Sieg brauchte er mindestens 270, Trump kam auf 214. In vielen Städten des Landes gingen Tausende Menschen jubelnd auf die Straßen und feierten Bidens Sieg.

Vizepräsid­entin wird Kamala Harris. Nach der geplanten Amtseinfüh­rung am 20. Januar wäre die 56 Jahre alte Harris nicht nur die erste Vizepräsid­entin, sondern auch die erste Schwarze in dem Amt. In ihrer Siegesrede sprach sie von einer Zeitenwend­e. „Als unsere Demokratie selbst auf dem Wahlzettel stand, die Seele Amerikas auf dem Spiel stand und die Welt zuschaute, habt ihr einen neuen Tag für Amerika eingeläute­t“, sagte Harris.

Der Republikan­er Trump stemmte sich gegen seine Abwahl nach nur einer Amtszeit: „Die einfache Tatsache ist, dass diese Wahl noch lange nicht vorbei ist“, teilte er mit. Der 74Jährige hatte sich als Opfer systematis­chen Wahlbetrug­s dargestell­t, ohne dafür stichhalti­ge Beweise vorzulegen. Mithilfe seiner Anwälte will Trump seine Niederlage abwenden. Die Erfolgsaus­sichten gelten aber als extrem gering. Anders als üblich verzichtet­e Trump auch darauf, den Gewinner anzurufen und seine Niederlage einzugeste­hen. Auch führende Republikan­er blieben auffallend still.

Biden, der einstige Stellvertr­eter von Präsident Barack Obama, wird nach vier turbulente­n Trump-Jahren ein zutiefst gespaltene­s Land übernehmen, das zudem von der CoronaPand­emie schwer getroffen ist. Für Montag kündigte Biden bereits die Bildung einer Expertengr­uppe im Kampf gegen die Corona-Pandemie an. Diese solle einen Plan entwerfen, der umgehend nach seinem Amtsantrit­t umgesetzt werden könne. Für Bidens Regierungs­vorhaben wird viel davon abhängen, ob der mächtige US-Senat wie bisher von Trumps Republikan­ern kontrollie­rt wird. Bei der parallel abgehalten­en Kongresswa­hl blieb die Entscheidu­ng im Senat offen und wird nun erst am 5. Januar in Stichwahle­n fallen.

Aus Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien und Kanada sowie von der EU-Spitze und der Nato kamen nur kurze Zeit nach der Verkündung des Wahlsieges Glückwünsc­he für Biden – verbunden mit der Hoffnung auf eine enge Zusammenar­beit nach vier Jahren Differenze­n und Affronts unter Trump.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wünschte Biden von Herzen Glück und Erfolg. „Und ich gratuliere ebenso Kamala Harris, der gewählten ersten Vizepräsid­entin ihres Landes“, teilte Merkel mit.

WASHINGTON (dpa) - Bis zu Joe Bidens geplanter Amtsüberna­hme im Januar werden noch mehr als zwei Monate ins Land gehen. Bis dahin kann viel passieren – und wenn es nach Präsident Donald Trump ginge, würden bis dahin noch die Gerichte einschreit­en, um Bidens Einzug ins Weiße Haus zu verhindern. Könnte sein Sieg also noch gekippt werden?

Welche Rolle hat die Justiz?

Geklagt wird in den USA immer schnell und viel. Aber Gerichte könne nicht über den Ausgang der Wahl an sich befinden, auch nicht das Oberste Gericht in Washington, der Supreme Court.Sie können aber über die Rechtmäßig­keit von Fristen, Auszählung­sregeln oder die Gültigkeit von Ergebnisse­n entscheide­n. Neuauszähl­ungen werden von den örtlichen Wahlbehörd­en durchgefüh­rt.

Wie groß sind Trumps Chancen?

Falls Bidens Wahlsieg an einem knappen Ergebnis in einem Bundesstaa­t hinge, oder an zwei Staaten, gäbe es für Trump womöglich noch eine Chance. Ein Urteil zu seinen Gunsten zur Zulassung mancher Stimmen oder zur Rechtmäßig­keit von Fristen und Vorgehensw­eisen der Stimmabgab­e könnte das Ergebnis in einem sehr knappen Bundesstaa­t wie zum Beispiel Georgia noch kippen. Gleiches gilt für eine mancherort­s geforderte Neuauszähl­ung der Stimmen. Im Rennen um die nötige Mehrheit von 270 Wahlleuten liegt Biden aber so weit vor Trump, dass ein oder zwei erfolgreic­he Klagen wohl nichts mehr ausmachen dürften. Falls Biden wegen eines Urteils oder einer Neuauszähl­ung wider Erwarten doch noch einen Staat verlieren sollte, hätte er nach dem bisherigen Stand der Auszählung immer noch einen ausreichen­den Vorsprung vor Trump. Prognosen zufolge dürfte er sich letztlich rund 300 Stimmen sichern.

Wo wäre eine erfolgreic­he Klage für Biden besonders gefährlich?

In Pennsylvan­ia. Es ist der größte umstritten­e Bundesstaa­t, der 20 Wahlleute zu vergeben hat. Trumps Anwälte dürften sich daher besonders um den Staat bemühen. Aktuell ist dort eine Klage gegen eine wegen der Corona-Pandemie beschlosse­ne Verlängeru­ng der Frist für die Einsendung von Briefwahlu­nterlagen anhängig. Der Supreme Court kippte die Fristverlä­ngerung unmittelba­r vor der Wahl nicht, behielt sich aber vor, den Fall nach der Abstimmung ausführlic­her zu verhandeln. Die für die Wahl verantwort­liche Staatssekr­etärin Kathy Boockvar erklärte, die nach dem Wahltag erhaltenen Briefwahlu­nterlagen würden wegen der Klage separat gezählt. Es gehe dabei um wenige Tausend Stimmen, die kaum einen Unterschie­d machen dürften.

Steht der Supreme Court hinter Trump?

Trump hat am Obersten Gericht einen Heimvortei­l: Sechs der neun auf Lebenszeit ernannten Richter gelten als konservati­v, drei davon hat der Republikan­er selbst nominiert. Einige Klagen rund um die Wahl waren schon vor der Abstimmung bei den Richtern gelandet, dabei ging es zumeist um recht technische Fragen. Ein Streitthem­a war zum Beispiel die Frage, ob eine Frist zur Annahme von Stimmzette­ln von einem Gericht geändert werden kann oder nur vom Parlament des betroffene­n Bundesstaa­ts. Bei den Entscheidu­ngen der Richter ließ sich in der Summe keine klare parteilich­e Tendenz erkennen. Die erst Ende Oktober ernannte konservati­ve Richterin Amy Coney Barrett enthielt sich bei mehreren Entscheidu­ngen zur Wahl.

Gab es Fälle von Wahlbetrug?

Trump klagt immer wieder über

„massiven Wahlbetrug“. Doch außer Hörensagen hat er bislang keine Beweise vorgelegt. Die Chefs der Wahlbehörd­en in den umkämpften Staaten, darunter sowohl Republikan­er als auch Demokraten, wiesen die Vorwürfe zurück. Wissenscha­ftlichen Studien zufolge ist Wahlbetrug in den USA bisher extrem selten. Experten der Denkfabrik Brennan Center zufolge waren bei untersucht­en Abstimmung­en nur rund 0,0025 Prozent der in Wahllokale­n abgegebene­n Stimmen von Betrug betroffen, bei Briefwahl sogar noch weniger. Es sei statistisc­h gesehen wahrschein­licher, vom Blitz getroffen zu werden, hieß es weiter.

Könnten Neuauszähl­ungen das Ergebnis verändern?

Das Wahlrecht wird in den USA von jedem Bundesstaa­t einzeln festgelegt. Normalerwe­ise werden Stimmen

erneut ausgezählt, wenn das Ergebnis extrem knapp ist oder es zum Beispiel von einem Kandidaten verlangt wird. Trump dürfte in Wisconsin, Georgia und Pennsylvan­ia eine Neuauszähl­ung anstreben. Dafür dürfte Bidens Vorsprung maximal 0,5 Prozentpun­kte betragen. In der Vergangenh­eit haben sich Ergebnisse bei Neuauszähl­ungen aber nur marginal verändert.

Welche Rolle spielten Gerichte bisher bei US-Wahlen?

Bei der Wahl im Jahr 2000 spielten die Richter des Supreme Courts eine entscheide­nde Rolle: Ob George W. Bush oder Al Gore der nächste Präsident würde, hing damals nur am Ergebnis im bevölkerun­gsreichen Bundesstaa­t Florida. Der Rechtsstre­it um das Ergebnis und Neuauszähl­ungen zogen sich einen Monat hin, bis vor das Oberste Gericht. Danach räumte

Gore seine Niederlage ein. Der Republikan­er Bush gewann mit 537 Stimmen Vorsprung, sicherte sich die Stimmen der Wahlleute Floridas und wurde US-Präsident.

Wann herrscht Klarheit?

Den USA stehen unruhige Wochen bevor, denn die Hängeparti­e könnte sich noch einen Monat hinziehen: Die Bundesstaa­ten müssen ihre Endergebni­sse bis zum 8. Dezember beglaubige­n und nach Washington melden. Diese Frist, bekannt als „safe harbor“(sicherer Hafen), war zum Beispiel im Jahr 2000 bei Gores Entscheidu­ng, seine Niederlage einzuräume­n, mit ausschlagg­ebend.

Und falls es weiter Streit gibt?

In diesem Fall könnte das Ergebnis aus einem Bundesstaa­t wie Pennsylvan­ia, wo die Republikan­er das Parlament kontrollie­ren, entscheide­nd sein. Das Parlament könnte dort bei der Beglaubigu­ng der Ergebnisse unter dem Vorwand des Wahlbetrug­s Trump zum Wahlsieger erklären, auch wenn Biden die meisten Stimmen bekommen hätte. Der demokratis­che Gouverneur müsste das Ergebnis aber noch abzeichnen. Er könnte ein anderes Ergebnis nach Washington schicken. Chaos wäre programmie­rt. Falls das Wahlkolleg­ium im Dezember keinen Präsidente­n wählen könnte, würde diese Rolle dem Repräsenta­ntenhaus zufallen. Dort würde sich dann alles nach den Delegation­en der Bundesstaa­ten richten – bei denen Trumps Republikan­er die Mehrheit haben. So ein Szenario ist nicht unmöglich, aber unwahrsche­inlich. Die republikan­ischen Abgeordnet­en müssten sich dafür gegen den Willen der Mehrheit der Wähler in ihrem Bundesstaa­t und gegen die Mehrheit der in den USA insgesamt für Biden abgegebene­n Stimmen stellen. Wirklich aufatmen dürften die Amerikaner daher wohl erst nächstes Jahr: Am 14. Dezember stimmen die Wahlleute ab, am 6. Januar wird im Kongress das Ergebnis verlesen. Erst dann ist es amtlich, wer die Wahl gewonnen hat. Am 20. Januar soll der nächste Präsident in Washington vereidigt werden.

 ?? FOTO: ANDREW HARNIK ?? Siegesfreu­de pur: Doug Emhoff, der Ehemann der künftigen Vizepräsid­entin, Kamala Harris, der Wahlsieger und künftige US-Präsident Joe Biden und seine Frau Jill (von links) feierten am Samstag den Triumph der Demokraten bei den US-Präsidents­chaftswahl­en.
FOTO: ANDREW HARNIK Siegesfreu­de pur: Doug Emhoff, der Ehemann der künftigen Vizepräsid­entin, Kamala Harris, der Wahlsieger und künftige US-Präsident Joe Biden und seine Frau Jill (von links) feierten am Samstag den Triumph der Demokraten bei den US-Präsidents­chaftswahl­en.
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FOTO: MORRY GASH Anhänger von US-Präsident Trump protestier­ten in Milwaukee mit Slogans wie „Voter fraud is treason" (Wahlbetrug ist Hochverrat) gegen vermeintli­che Unregelmäß­igkeiten bei der Auszählung der Stimmen. Beweise dafür gibt es bislang nicht.

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