Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Binger Dorfladen schließt
Nachdem der Landmarkt gescheitert ist, gibt auch die jetzige Inhaberin Ende des Jahres auf
BINGEN - Vor einigen Wochen sah es noch rosig aus: Der Dorfladen Regiokauf in Bingen feierte sein einjähriges Bestehen, Inhaberin Birgit Rokweiler-Rothengaß sprach von einem Pflänzchen, das gedeihe. Nun sieht die Lage anders aus. Die 36-Jährige zieht sich Ende des Jahres aus Bingen zurück. „Es wird mir zu viel“, sagt sie.
Rokweiler-Rothengaß führt mit ihrem Mann einen weiteren Dorfladen in Herdwangen-Schönach, außerdem ist sie Mutter eines dreijährigen Mädchens. Wegen der beiden Geschäfte habe sie überwiegend Zeit im Büro verbracht, um Organisatorisches wie Personalplanung und Buchhaltung zu übernehmen. Als ihre Vollzeitkraft in Herdwangen-Schönach kündigte und die Geschäftsführerin im Laden einspringen sollte, habe sie nicht mehr gewusst, wie sie das schaffen soll. Gleichzeitig, sagt sie, habe sie auch gemerkt, dass sie durch die Arbeit im Laden mit den Kunden wieder viel mehr aufblühe. „Der Entschluss hat schon länger geschlummert, aber schließlich habe ich ihn für mich und meine Gesundheit getroffen“, sagt sie heute.
Der Umsatz sei nicht der Treiber für die Entscheidung gewesen, betont Rokweiler-Rothengaß: „Jeden Monat wurde es mehr.“Dennoch hatte das Geld Einfluss auf den Beschluss, denn es sei zu wenig Gewinn gewesen, um mehr Personal einzustellen, und genau das hätte sich Rokweiler-Rothengaß gewünscht. Durch die Kündigung der Mitarbeiterin in HerdwangenSchönach gebe es 2021 keinen Ersatz mehr, wenn jemand in einem der Läden in Urlaub ist. „Zerreißen kann ich mich nicht, aber nochmal Schulden aufnehmen wollte ich auch nicht. Irgendwann ist man nicht mehr frei genug dafür“, sagt die 36-Jährige. Sie ist aber überzeugt: „Wenn jemand selbst im
Laden arbeitet, vielleicht noch mit einer Teilzeitkraft, dann lässt sich damit
Geld verdienen.“
Obwohl sie die Entscheidung entschlossen getroffen hat, zeigt Rokweiler-Rothengaß trotzdem Wehmut. Ihr Wunsch: den Laden möglichst an jemanden übergeben, der ihn mit Herzblut weiterführen möchte. Auch das Personal wolle weitermachen. Von ihnen komme allerdings niemand als neuer Inhaber in Frage. „Sie sind alle in einer ähnlichen Situation wie ich: eine Mitarbeiterin ist frisch Mutter, eine andere fühlt sich zu alt, eine ist Studentin“, so die Geschäftsführerin. Das Risiko tragen wolle keiner.
Deshalb sucht Rokweiler-Rothengaß jemand Externes. Gespräche finden aktuell bereits statt, die Chancen auf einen Nachfolger sieht sie bei 50 Prozent. Damit ein potenzieller neuer Inhaber es möglichst leicht hat, wolle Rokweiler-Rothengaß zu Beginn helfen. „Wir würden die Zahlen offenlegen, könnten Tipps geben und wären auch wegen des Mobiliars bereit für Gespräche“, sagt sie. Selbst ein Jahr auf Probe könne sie sich vorstellen. „Es wird nie wieder so leicht sein in Bingen, ein Geschäft zu öffnen wie jetzt“, ist sie sicher. Ihr sei wichtig, dass ihre Entscheidung nicht das Ende bedeutet, denn Bingen tue ein Dorfladen gut. Ihn zu schließen,
„Zerreißen kann ich mich nicht“, sagt Birgit Rokweiler-Rothengaß, Inhaberin des Dorfladens.
würde viel Arbeit und Erfolg kaputt machen.
Darüber hinaus räumt sie dem Laden gute Chancen ein. Durch das Café und die Bioprodukte bediene er eine Nische, einige Kunden des früheren Sigmaringer Bioladens seien inzwischen nach Bingen abgewandert. Außerdem liege das Geschäft gut an der Durchfahrtsstraße und habe ein buntes Sortiment. „Ich hatte das Gefühl, der Fluch war gebrochen“, sagt sie und meint die wechselnden Inhaber. Nachdem der Laden, der fast 100 Jahre lang in Familienbesitz war, schloss, hat ihn die Familie Schillings 2014 übernommen, 2019 gaben sie auf. Nun ist auch der Regiokauf bald Geschichte. Bis 12 Uhr an Heilig Abend soll das Geschäft offen bleiben. Danach möchte sich RokweilerRothengaß wieder auf ihren Laden in Herdwangen-Schönach und ihre Familie konzentrieren. Was in Bingen passiert, ist offen.