Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Impfstoff und die Geldanlage
Welche Aktien von den neuen Forschungsfortschritten profitieren
STUTTGART - Monatelang hat die Menschheit darauf gewartet und plötzlich war sie da – die Nachricht vom Durchbruch bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Corona. Seitdem ticken die Kapitalmärkte unter neuen Vorzeichen. Prompt legten die Börsen vergangene Woche den Hebel um, als Dax und EuroStoxx um fünf und sechs Prozent nach oben sprangen. Bis es eine flächendeckende Versorgung mit dem Impfstoff geben wird, werden freilich noch einige Monate ins Land ziehen. Dennoch lohnt ein Blick auf die geänderten Erwartungen und die Mechanismen, die auf die verschiedenen Assetklassen wirken.
Natürlich kann der Aktienmarkt als Ganzes zu den Gewinnern der neuen Situation gezählt werden. Erst recht aber schossen die Aktien der Mainzer Biotechnologiefirma Biontech und des US-Pharmakonzerns Pfizer nach oben, die dem CoronaImpfstoff so dicht auf der Spur sind. Auch die Aktien von Touristikkonzernen und Airlines machten Freudensprünge, allein die Lufthansa legte um 20 Prozent zu. Dagegen zeigt Dax-Mitglied Delivery Hero als bisheriger Lockdown-Profiteur, wie schnell sich die Stimmung gegen einen wenden kann. Die Aktie verlor um die sechs Prozent.
Aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht sind auch die Rentenmärkte, also der Handel mit festverzinslichen Wertpapieren. So führten die positiven Impfstoff-Nachrichten zu deutlich steigenden Zinsen, was umgekehrt Kursverluste bei Anleihen bedeutet. In der Folge ist in den USA für die staatlichen US-Treasuries die Eins vor dem Komma wieder in greifbare Nähe gerückt, zehnjährige Staatsanleihen rentieren dort mit 0,95 Prozent, was angesichts von Minuszinsen in Europa respektabel aussieht. So ist die zehnjährige Bundesrendite zwar an einem Tag um 14 Punkte gestiegen, notiert aber mit minus 0,48 Prozent immer noch im negativen Bereich. Unterm Strich aber bedeutet dies, dass jene Anlagemöglichkeiten, die für gewöhnlich als sichere Häfen gelten, eher gemieden werden. Für den behäbigen Rentenmarkt sind derartige Bewegungen untypisch und gelten als heftige Reaktion.
Bei Rohstoffen sorgte indessen die Meldung vom Corona-Impfstoff für steigende Nachfrage nach Ölprodukten. Oder anders ausgedrückt: Es werden bald wieder mehr Kilometer zurückgelegt. Dennoch dürften viele Firmen das Prinzip Homeoffice, das man während des Lockdowns zu schätzen gelernt hat, beibehalten und auf diese Weise den Berufsverkehr in Grenzen halten. Ebenso wie Inlandsflüge vielfach besser durch Videokonferenzen zu ersetzen sind. Auch Basismetalle wie Nickel, Zink und Kupfer gewannen an Wert aufgrund von Hoffnungen, dass die Weltkonjunktur nach Überwindung der Coronavirus-Pandemie deutlich anziehen wird. „Sollte der Impfstoff seine Vorschusslorbeeren einlösen können, erwarte ich, dass die Ölpreise unter den Rohstoffen weiterhin das größte Aufwärtspotenzial haben“, sagt dazu Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege der Deutschen Bank.
Neben Staatsanleihen guter Schuldenländer leiden auch die Kurse von Edelmetallen unter der aufkommenden Hoffnung. Sowohl Gold als auch Silber knickten vergangene Woche um fünf Prozent ein. Innerhalb kurzer Zeit reagierte der Goldkurs mit einem Verlust von 100 Dollar auf die Impfstoff-Nachricht. Nachdem der Preis für das gelbe Metall noch im August auf fast 2070 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) geklettert war, fiel er nun auf weniger als 1900 Dollar. Ein wirksamer Impfstoff dürfte geringere Konjunkturhilfen
seitens der Geld- und Fiskalpolitik zur Folge haben. Somit würden mittelfristig auch deutlich steigende Inflationsraten weniger wahrscheinlich, weshalb die Edelmetalle Gold und Silber in einer ersten Reaktion so stark nachgaben.
Abzuwarten bleibt noch, inwieweit sich die Impfstoff-Nachrichten auf ein mögliches US-Fiskalpaket auswirken werden, das Joe Biden schnüren will. Vermutlich wird die Gestaltungsfreiheit des Presidentelect ja durch einen gespalteten Kongress eingeschränkt sein. Daher dürfte es kaum zu einem „Grand Deal“im Kongress mit fiskalischer Unterstützung von mehr als einer Billion US-Dollar kommen, sondern zu einem von Kompromiss geprägten Konjunkturprogramm. Vor diesem Hintergrund sind es besonders die Zykliker unter den Aktien wie Industrie, Chemie, Technologie oder Medizintechnik, denen die Deutsche Bank beste Kurschancen einräumt.