Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Stetten am kalten Markt lehnt den billigsten Bieter ab
Gemeinderat weicht von der Vergabe-Routine ab – Bauleiter: Nicht auskömmlich kalkuliert
STETTEN AM KALTEN MARKT - Der Gemeinderat hat in seiner jüngsten Sitzung unter der Leitung von Bürgermeisterstellvertreter Klaus-Dieter Halder bei der Vergabe der Sanierung der Storzinger Schneckenbergstraße das günstigste Angebot auf Anraten des beauftragten Bauleiters abgelehnt. Das Argument: Das Angebot sei nicht auskömmlich kalkuliert.
Da das Ratsgremium in der Regel verpflichtet ist, das günstige Angebot anzunehmen, ist ein solches Vorkommnis höchst selten und hat seine Gründe. Der Leiter der Finanz-Bauund Liegenschaftsverwaltung, Ermilio Verrengia, sowie der in der Sitzung anwesende Bauleiter des Planungsbüros Sweco, Erwin Scher, erläuterten die Hintergründe dieser ungewöhnlichen Empfehlung. In Abwesenheit von Bürgermeister Maik Lehn, der dieser Tage zum zweiten Mal Vater geworden ist, informierte Verrengia die Anwesenden über zehn Angebote, die seit der Ausschreibung Anfang November die Verwaltung erreichte. Eine der Offerten, ein Pauschalangebot, lag mit 395 000 Euro Euro rund 43 Prozent niedriger als die Kostenschätzung des Planungsbüros. Die anderen Bieter spannten den Kostenbogen von knapp 460 000 Euro bis 841 000 Euro.
„Ich bin richtig erschrocken, als ich das günstigste Angebot sah. Ich dachte erst, kann ich mich so verrechnet haben“, sagte der Bauleiter. Aber nach Prüfung des Gebots seien er und sein Planerstab „davon überzeugt, dass das Angebot nicht auskömmlich kalkuliert ist“. Nach Auffassung des Planungsbüros könne ein derart komplexes Bauvorhaben nicht pauschal kalkuliert werden.
Scher erläuterte Punkte, die nicht definiert sind wie beispielsweise Grabarbeiten im Fels, dessen Menge nicht berechenbar ist.
Die im Vorfeld vorgenommenen Erkundungen würden nur punktuelle Informationen liefern. In einer solchen Hanglage wie in Storzingen können die Abweichungen gravierend sein, was sich sowohl positiv wie negativ auf die Kosten auswirken kann. „Dies kommt einem reinen Glücksspiel gleich!“, so der Bauleiter. Zudem wurden für die Ausschreibung nur an zwei Stellen der Mauerscheiben Bodenproben entnommen, deshalb könnten die tatsächlichen Verhältnisse von den angenommenen des Planungsbüros abweichen. Außerdem ist die genaue Mengenermittlung der bei zwei von fünf Bodenproben festgestellten Bleibelastung erst beim Ausbau der alten Straße möglich. Sollten sich andere Bodenverhältnisse ergeben, berechtige dies den Unternehmer auch bei einem Pauschalangebot zu Nachträgen.
Verrengia und Scher skizzierten Szenarien, die beim Annahme dieses Gebots auftreten könnten: Sollten die kritischen Positionen deutlich überschritten werden, kann die Firma Nachträge stellen, die deutlich über den Kosten liegen, die nach Leistungsbeschreibung angefallen wären. Umgekehrt wäre die Abrechnung für die Gemeinde günstiger, würde die kritischen Positionen deutlich unterschritten. Möglich wäre auch, dass sich die Firma total verkalkuliert hat, deshalb während der Bauzeit in finanzielle Schieflage gerät und ein anderer den Bau fertigstellen muss. „Dann schießen die Kosten in die Höhe!“. Möglicherweise versuche die Baufirma mit allen Mitteln Kosten zu sparen, fächerten Verrengia und Scher weitere Fallstricke auf.
Deshalb könne die Qualität der Leistungen unter den Sparzwängen leiden, die von der Bauaufsicht nicht zu beeinflussen seien. Scher: „Das Planungsbüro ist der Meinung, dass erbrachte Leistung auch bezahlt werden muss – nicht mehr, aber auch nicht weniger!“Dies könne nur über Abrechnung einzelner Positionen gewährleistet werden. Das Gremium folgte dem Rat, den Zuschlag der Firma Clemens Müller aus Albstadt zu erteilen, die ein Angebot in Höhe von 459 719, Euro eingereicht hat.