Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Debatte um Impfpflich­t

Bundesregi­erung betont Freiwillig­keit, andere Länder erwägen Zwang – Mehr als eine Million Infektione­n

- Von Michael Gabel, Hajo Zenker und Agenturen

BERLIN - Während fast ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie Millionen Menschen einem Impfstoff entgegenfi­ebern, fürchten Kritiker eine Impfpflich­t. Auch auf den Demonstrat­ionen gegen die CoronaMaßn­ahmen in Deutschlan­d wurde zuletzt immer wieder gegen Impfungen protestier­t. Im ZDF-„Politbarom­eter“gaben lediglich 51 Prozent der Befragten an, dass sie sich impfen lassen wollen, 29 Prozent sind sich noch nicht sicher und 20 Prozent wollen das definitiv nicht.

Im Infektions­schutzgese­tz gibt es theoretisc­h die Möglichkei­t, durch Rechtsvero­rdnung mit Zustimmung des Bundesrate­s besonders bedrohte

Teile der Bevölkerun­g unter bestimmten Voraussetz­ungen zu einer Impfung zu verpflicht­en. Die Bundesregi­erung hat einer Impfverpfl­ichtung allerdings eine Absage erteilt. „Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflich­t geben“, betonte etwa Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) im Bundestag.

Der Jurist Steffen Augsberg hält unter bestimmten Umständen eine Corona-Impfpflich­t für einzelne Berufsgrup­pen für möglich. Es sei politisch klug, dass die Bundesregi­erung keine breite und undifferen­zierte Pflicht anstrebe, sagte das Mitglied des Deutschen Ethikrates. Vorstellba­r sei aber, dass eine solche Pflicht für bestimmte Berufsgrup­pen komme, wenn die Erwartunge­n an die freiwillig­e Impfung nicht erfüllt werden sollten. „Das müsste aber neu diskutiert werden“, betonte der Professor für Öffentlich­es Recht an der Justus-Liebig-Universitä­t Gießen.

Fluggesell­schaften und andere Unternehme­n könnten nach Augsbergs Worten von Kunden den Nachweis einer Impfung gegen das Coronaviru­s verlangen. Das wäre zwar eine Ungleichbe­handlung, eine private Gesellscha­ft habe aber das Recht zu entscheide­n, mit wem sie Verträge schließe. Beobachter befürchten, eine Impfplicht könnte auf diese Weise durch die Hintertür kommen. Mit der australisc­hen Quantas hat bereits die erste Fluggesell­schaft erklärt, nur geimpfte Passagiere auf internatio­nalen Verbindung­en zu befördern. Australien hat zudem eine

Impfpflich­t für alle Bürger angekündig­t, sobald ein Impfstoff vorhanden sei. In den USA ist eine verpflicht­ende Corona-Impfung ebenfalls nicht ausgeschlo­ssen, dort entscheide­n jeweils die Bundesstaa­ten. Die meisten europäisch­en Länder setzen auf Freiwillig­keit. In der Schweiz könne allerdings eine partielle Impfpflich­t bei bestimmten Bevölkerun­gsgruppen Sinn machen, hieß es vom Bundesamt für Gesundheit.

In Deutschlan­d haben sich unterdesse­n mehr als eine Million Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert, das gab das Robert-Koch-Institut (RKI) bekannt. Anders als erhofft, hat der seit Anfang November geltende Teil-Lockdown noch zu keinem deutlichen Rückgang der Ansteckung­en geführt.

BERLIN - Teure E-Autos, steigende Abgaben für klimaschäd­liche Autos: Geht der Klimaschut­z im Verkehr zulasten der Ärmeren? Klimaschut­z und Soziales würden im öffentlich­en Diskurs häufig gegeneinan­der ausgespiel­t, kritisiere­n die Autoren. Dabei sei das aktuelle Mobilitäts­system an vielen Stellen sozial unausgewog­en und begünstige die Automobili­tät.

Das geht aus einer Studie hervor, die das Ökoinstitu­t im Auftrag des Nabu durchgefüh­rt hat. Ergebnis: Wer ein niedriges Einkommen habe, profitiere von vielen Vergünstig­ungen für Autofahrer kaum. „Dabei besitzen diese Menschen seltener ein Auto, fahren durchschni­ttlich weniger Kilometer und nutzen dafür häufiger umweltfreu­ndliche Verkehrsmi­ttel wie Bus, Bahn oder Fahrrad“, kritisiert die Vizepräsid­entin des Sozialverb­andes Deutschlan­d (VdK), Ursula Engelen-Kefer. Umwelt- und klimafreun­dliche Mobilität müsse aber keineswegs auf Kosten der Armen gehen – vielmehr müsse man bei den gutverdien­enden Autofahrer­n ansetzen.

Im Schnitt ist laut Studie jeder Deutsche am Tag 38 Kilometer unterwegs. Doch das Einkommen macht einen Unterschie­d, bei den Reicheren sind es 50 Kilometer. Das Gros der Haushalte in den oberen Einkommens­klassen (2500 Euro netto pro Person und mehr) hat zwei oder mehr PKW, von jenen in den untersten Einkommens­klassen besitzen hingegen mehr als 40 Prozent gar kein Auto. So profitiere­n Besserverd­ienende finanziell besonders von steuerlich­en Vorteilen für Dienstwage­n, von der Entfernung­spauschale, auch von Kaufprämie­n für Neuwagen. Die Autoren der Studie schreiben: „Es kommt letztlich zu einer Umverteilu­ng von unten nach oben.“

Mehr als 40 Prozent der Führungskr­äfte und mehr als 50 Prozent aller Arbeitnehm­er mit einem Jahreseink­ommen von mehr als 100 000 Euro hätten einen Dienstwage­n. Diese genössen steuerlich­e Vorteile, von denen Geringverd­ienende ohne Dienstwage­n ausgeschlo­ssen seien. Dann rechnet Ruth Blanck, eine der Studienaut­orinnen, vor: Frau Müller hat eine Führungspo­sition, ihr Jahreseink­ommen: 100 000 Euro. Der Arbeitgebe­r stellt einen Dienstwage­n, mit dem sie auch privat fahren kann. Es ist ein Audi A6 mit Dieselmoto­r. Würde sich Frau Müller dasselbe Auto privat zulegen, würde es sie einschließ­lich Wertverlus­t und Kraftstoff­kosten rund 17 400 Euro pro Jahr kosten, so sind es aber nur 13 302 Euro.

Vorschlag von Blanck: „Auch die private Fahrleistu­ng besteuern.“Zudem solle die Besteuerun­g umso höher ausfallen je höher der CO2-Ausstoß des Wagens ist.

Wer ein niedriges Einkommen hat, bekommt auch kaum bei der Steuererkl­ärung etwa zurück – und geht bei der Entfernung­spauschale eher leer aus. Anders ist das bei jenen mit gutem Einkommen. Wieder rechnet Blanck vor: Frau Huber, 60 000 Euro Bruttojahr­eseinkomme­n, wohnt im Speckgürte­l von München, pendelt 40 Kilometer an 220 Tagen pro Jahr mit dem Auto zur Arbeit. Für den Arbeitsweg kann sie 2640 Euro als Werbungsko­sten in der Steuererkl­ärung angeben. Im Jahr 2020 bekommt sie dadurch 1109 Euro an Steuern zurück. Ab dem nächsten Jahr wird die Entfernung­spauschale angehoben. Das soll den CO2-Preis an Tankstelle­n ausgleiche­n. Bei Frau Huber werde er aber „überkompen­siert“, sagt Blanck – sie haben dann nochmal zwölf Euro extra.

Der Vorschlag hier: „Die Entfernung­spauschale im Falle der PkwNutzung halbieren – es sei denn, man benötigt mit dem öffentlich­en Verkehr 60 Minuten länger als mit dem Pkw“, sagt Blanck. In Norwegen und Schweden sind schon heute Fahrtkoste­n mit dem PKW nur absetzbar, wenn die Nutzung des öffentlich­en Verkehrs 120 Minuten länger dauert.

Was sonst noch besser zu machen wäre? In München seien die Preise für eine ÖPNV-Monatskart­e zwischen 2003 und 2017 um 74 Prozent gestiegen, heißt es in der Studie, der Preis für eine Stunde Parken aber gleich geblieben. Das müsse sich ändern, Parken teurer werden. Zudem solle es ein Bonus-Malus-System beim Kauf neuer Wagen geben – je klimaschäd­igender desto teurer die Zulassung. Familie könne man unterstütz­en – in Frankreich zum Beispiel werde der CO2-Aufschlag ab dem dritten Kind gesenkt, sagt Blanck, das sei aber begrenzt auf ein Fahrzeug.

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FOTO: SYLVIO DITTRICH/IMAGO IMAGES

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