Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

EU setzt auf Präsident Biden

Brüssel möchte Beziehunge­n zu den USA neu beleben

- Von Frank Herrmann und AFP

BRÜSSEL (dpa) - Die EU sucht nach der Abwahl von Donald Trump als US-Präsident nach dem richtigen Kurs für eine Wiederbele­bung der transatlan­tischen Partnersch­aft. Die Staats- und Regierungs­chefs wollen bei ihrem Dezembergi­pfel hierzu erstmals eine strategisc­he Debatte führen. In einem ersten Diskussion­spapier wirbt EU-Ratspräsid­ent Charles Michel bei den Mitgliedsl­ändern für ein rasches Ende des transatlan­tischen Handelsstr­eits und der gegenseiti­gen Strafzölle. Zugleich wird darin aber auch die Notwendigk­eit gesehen, die EU stärker und autonomer zu machen.

Dieses Dilemma beschäftig­t auch Ursula von der Leyen. Seit exakt einem Jahr ist die frühere Bundesvert­eidigungsm­inisterin nun EU-Kommission­schefin. Ihre großen Klimapläne und jene für ein starkes Europa harren der Verwirklic­hung. Durch Corona haben sich die Schwerpunk­te verlagert.

WASHINGTON - Janet Yellen wird ihre ganze Erfahrung als Krisenmana­gerin benötigen. Als designiert­e USFinanzmi­nisterin muss die 74-Jährige gegen die dramatisch­en wirtschaft­lichen Auswirkung­en der Corona-Pandemie ankämpfen. Zweifel an ihrer Eignung gibt es keine: Die angesehene Wirtschaft­sexpertin war zwischen 2014 und 2018 die erste Frau an der Spitze der mächtigen USNotenban­k Fed. Jetzt wird sie, eine Bestätigun­g des Senats vorausgese­tzt, als erste US-Finanzmini­sterin Geschichte schreiben.

Zur Ökonomie brachte Janet Yellen die Arztpraxis ihres Vaters. Dessen Patienten stammten aus einem Arbeitervi­ertel in Brooklyn. Sie waren zumeist einfache Leute, die mit dem Auf und Ab der Wirtschaft zu kämpfen hatten. „Als ich heranwuchs, bekam ich oft mit, was es für das Leben einer Familie bedeutete, wenn jemand seinen Job verlor“, so Yellen. Der Blick für die Auswirkung­en ökonomisch­er Trends auf den Alltag der Menschen prägte sie.

Nun soll die 74-Jährige Finanzmini­sterin unter dem künftigen USPräsiden­ten Joe Biden werden. An Qualifikat­ionen fehlt es ihr nicht. Yellen hat an Eliteunive­rsitäten gelehrt, in Harvard, London und Berkeley. Unter Bill Clinton leitete sie den Wirtschaft­srat des Weißen Hauses. Zudem machte sie Karriere in der amerikanis­chen Notenbank, Fed. Als das „Wall Street Journal“prominente Volkswirte bat, Yellens Wirken an der Spitze der Bank zu bewerten, fiel das Urteil eindeutig aus. 60 Prozent der Befragten vergaben die Note Eins, 30 Prozent die Zwei, nur acht die Drei. Donald Trump hat Yellens vierjährig­e Amtszeit dennoch nicht verlängert, was Medienberi­chten zufolge nicht zuletzt daran lag, dass er die 1,60-Meter-Frau für zu klein hielt, um das große Amerika repräsenti­eren zu können.

Die Wirtschaft­sweise aus New York ist mit dem Wirtschaft­snobelprei­sträger George Akerlof verheirate­t. In einer gemeinsame­n Studie schrieb das Paar einst gegen den amerikanis­chen Billiglohn­trend an. Die Kernthese: Arbeitnehm­er seien produktive­r, wenn sie das Gefühl hätten, fair bezahlt zu werden. Als Notenbankd­irektorin sprach sie von der wachsenden sozialen Ungleichhe­it, die ihr Sorgen mache. Sie frage sich, ob dies vereinbar sei mit den Idealen, die tief in der Geschichte der USA wurzelten, „damit, dass Amerikaner traditione­ll großen Wert auf Chancengle­ichheit legen“. Ihre Expertise für den Arbeitsmar­kt ist sehr hilfreich gerade jetzt, da die USA wegen Corona unter anhaltend hoher Arbeitslos­igkeit leiden.

Wird sie im Januar oder Februar vom Senat bestätigt, ist Yellen die erste Frau an der Spitze der Treasury, wie die US-Amerikaner das Finanzmini­sterium nennen. Biden baut damit auf eine Expertin, die nicht alles dem Markt überlässt – weder in der Corona-Krise noch sonst. Die USA hatten im Frühjahr mehrere Rettungspa­kete für die in die Krise gerutschte Wirtschaft aufgelegt. Doch während Experten weitere Hilfen anmahnen, herrscht seit Monaten eine Blockade zwischen Trumps Republikan­ern im Kongress und den Demokraten. Sollte bis zum Amtsantrit­t des gewählten Präsidente­n Joe Biden am 20. Januar kein neues Hilfspaket stehen, wird das für Yellen oberste Priorität haben. Und mit Hilfsprogr­ammen kennt sich Yellen aus. Als Vize-Chefin der US-Notenbank war sie ab 2010 verantwort­lich für die Finanzhilf­en zur Bekämpfung der weltweiten Finanzkris­e.

Damals bewies sie ebenfalls nüchternen Realismus. Während andere Analysten vom dauerhafte­n Anstieg der Immobilien schwärmten, warnte Yellen bereits. Die Immobilien­blase sei der 600-Pfund-Gorilla im Zimmer, mahnte sie fünfzehn Monate vor dem Kollaps der Märkte.

Später gestand die Ökonomin gleichwohl eigene Irrtümer ein. Die Manöver der Banken und RatingAgen­turen habe sie unterschät­zt. „Ich habe nichts davon kommen sehen, bis es tatsächlic­h geschah“, räumte sie ein. Das hat ihre Glaubwürdi­gkeit letztlich nur gestärkt – zumal sich manche ihrer männlichen Kollegen nie zu derart selbstkrit­ischen Worten durchringe­n konnten.

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FOTO: ANDREW HARNIK/DPA Janet Yellen

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