Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Macrons Zwickmühle
Präsident macht Polizeigewalt zur Chefsache – Beamte in Untersuchungshaft
Christine Longin
PARIS - Lange hatte sich der Präsident zurückgehalten. Als in der Nationalversammlung die Wogen in der Debatte um das Sicherheitsgesetz hochschlugen, hüllte sich Emmanuel Macron in Schweigen. Am Montag aber machte der Staatschef das umstrittene Gesetz zur Chefsache und berief im Elysée-Palast eine Dringlichkeitssitzung ein. Ergebnis: Das Filmverbot von Polizisten, gegen das am Wochenende Zehntausende auf die Straße gingen, soll komplett neu formuliert werden. „Die Situation, in die Sie mich gebracht haben, hätte vermieden werden können“, kritisierte Macron laut dem Fernsehsender BFMTV Innenminister Gérald Darmanin, der sich für das Filmverbot in Artikel 24 des Sicherheitsgesetzes stark gemacht hatte.
Der politische Ziehsohn von ExPräsident Nicolas Sarkozy wird durch die Entscheidung Macrons nun brüskiert. „Artikel 24 ist nicht verstanden worden. Es bleiben zu viele Fragen offen“, kritisierte der Fraktionschef der Präsidentenpartei LREM, Christophe Castaner. Deshalb solle eine Überarbeitung nun Klarheit schaffen. Castaner distanzierte sich offen von Initiativen Darmanins. So hatte der frühere Konservative vorgeschlagen, Journalisten sollten sich für die Berichterstattung über Demonstrationen akkreditieren und damit den Zorn aller Medien auf sich gezogen.
Macron hatte Darmanin als Nachfolger von Castaner im Juli zum Innenminister berufen, um damit seine Kompetenzen im Bereich der inneren Sicherheit zu stärken. Der 38-Jährige hatte von Anfang an eine harte Hand gezeigt und das Thema Polizeigewalt mit markigen Worten abqualifiziert. Nach den Demonstrationen vom Wochenende wies er vor allem auf die mehr als 90 Polizisten hin, die bei Ausschreitungen am Rande der Kundgebungen verletzt wurden. Zahlen von verletzten Demonstranten oder Journalisten nannte er nicht.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen machte den Fall eines Fotografen bekannt, den ein Polizist ins Gesicht geschlagen hatte. Der 24-Jährige war 2016 aus dem syrischen Aleppo, wo er den Bürgerkrieg fotografiert hatte, nach Frankreich geflohen. Er hatte Gewalt gegen Demonstranten mit seiner Kamera festgehalten und war trotz seines Hinweises, dass er zur Presse gehöre, verprügelt worden. Wie wichtig Aufnahmen von Polizeieinsätzen sind, dokumentierten in der vergangenen Woche gleich zwei Videos: Am Montag filmten Augenzeugen, wie Polizisten teilweise mit Fußtritten Hunderte Geflüchtete vom Pariser Platz der Republik vertrieben. Am Donnerstag zeigten Bilder einer Überwachungskamera, die das Onlinemagazin Loopsider veröffentlichte, wie vier Polizisten den schwarzen Musikproduzenten Michel Zecler krankenhausreif prügelten und rassistisch beschimpften. Gegen die Männer laufen inzwischen Ermittlungsverfahren. Zwei von ihnen kamen in Untersuchungshaft, zwei wurden unter Justizaufsicht gestellt
„Diese Bilder sind nicht akzeptabel. Sie machen uns Schande“, räumte Macron am Freitagabend auf Facebook ein. Die Polizisten, die Gesetze durchsetzen müssten, sollten diese Gesetze auch respektieren, forderte der Staatschef, der sich ausdrücklich zur Meinungs- und Pressefreiheit bekannte. „Frankreich darf Hass und Rassismus nicht gedeihen lassen.“Die Regierung solle Vorschläge machen, um die Beziehung zwischen Polizei und Bevölkerung zu verbessern.
Eine Möglichkeit ist eine Reform der Polizeiaufsichtsbehörde IGPN. Die Demonstrierenden dürfte eine solche Entscheidung allerdings nicht besänftigen. Sie fordern, den umstrittenen Artikel 24 komplett zu streichen. Damit würde der Präsident allerdings seinen Innenminister so vor den Kopf stoßen, dass sein Rücktritt droht. Die nun angekündigte Neufassung des umstrittenen Textes scheint für Macron das kleinere von zwei Übeln zu sein. „Es ist schwierig zurückzuweichen, ohne einen Teil der Glaubwürdigkeit in Themen der inneren Sicherheit zu verlieren“, zitiert die Zeitung „Le Monde“einen Regierungsberater.