Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Virologe Mertens

Wieso Männer häufiger an Covid-19 sterben als Frauen

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RAVENSBURG - Ein Blick in die Krankheits­statistike­n für Covid-19 legt offen: Das Geschlecht der Patienten hat Einfluss auf den Krankheits­verlauf. Sebastian Heilemann hat den Ulmer Virologen Professor Thomas Mertens gefragt, woran das liegt. Außerdem erklärt er, warum die Forschung noch weit entfernt von einem Universali­mpfstoff gegen alle Viren ist.

Bei Männern verläuft Covid-19 häufig schwerer als bei Frauen, auch sterben Männer laut Statistik deutlich häufiger an dieser Infektion. Das gilt offenbar auch für andere Viruserkra­nkungen. Haben Männer und Frauen ein unterschie­dlich starkes Immunsyste­m?

Es ist seit Langem klar, dass sich auch das Immunsyste­m bei Frauen und Männern unterschei­det; nicht im Hinblick auf die Immunzelle­n und die grundsätzl­ichen Immunfunkt­ionen, aber hinsichtli­ch der Ausprägung­en. Das muss zum Beispiel auch so sein, weil das Immunsyste­m der Frauen während der Schwangers­chaft das ungeborene Kind als eigentlich­en „Fremdkörpe­r“tolerieren muss. Das Risiko an Covid-19 zu versterben ist bei Männern ungefähr 1,5-mal so hoch wie bei Frauen. Das liegt sehr wahrschein­lich an ganz verschiede­nen Mechanisme­n des Immunsyste­ms. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Gesamt-Immunsyste­m aus vielen ganz verschiede­nen Faktoren besteht. Es gibt Zellen (zum Beispiel Tund B-Zellen und „Fresszelle­n“), es gibt große Proteinmol­eküle (Antikörper) und es gibt viele hormonähnl­iche Substanzen (zum Beispiel Zytokine), die wiederum andere

Funktionen steuern. Vor allem bei älteren Männern lässt die T-ZellFunkti­on bei der Abwehr früher nach als bei Frauen. Aber auch die Produktion der Zytokine ist unterschie­dlich. Dies führt dazu, dass trotz schwächere­r Abwehr das Immunsyste­m der Männer mehr zu überschieß­enden ungerichte­ten Reaktionen neigt (sogenannte­r Zytokinstu­rm), welche schwere, schädigend­e Entzündung­en hervorrufe­n können. Diese Unterschie­de zusammenge­nommen können auch die Unterschie­de bei der Kontrolle von Infektions­krankheite­n erklären. Einen Vorteil haben die Männer aber doch: Sie neigen weniger zu Autoimmunk­rankheiten.

Nicht erst seit dem Ausbruch von Corona gibt es Forschunge­n an einem Universali­mpfstoff, der etwa gegen alle Influenzav­iren wirksam ist. Dazu muss das Immunsyste­m auf Bausteine der Viren trainiert werden, die alle Virusarten möglichst gemeinsam haben. Wird uns in Zukunft eine einzige Spritze vor allen Pandemien bewahren?

Im Hinblick auf die verschiede­nen Grippevire­n gibt es tatsächlic­h aufgrund experiment­eller Daten die Hoffnung, dass es gelingen könnte, einen Impfstoff zu entwickeln, der zumindest viele verschiede­ne Influenzav­iren abdeckt. Die Voraussetz­ung dafür ist, dass man eine wenig veränderli­che Eiweißstru­ktur am Virus identifizi­eren kann, die vielen Influenzav­iren gemeinsam ist und gegen die man eine schützende Immunität durch Impfung erzeugen kann. Die Vorstellun­g, einen Impfstoff gegen ganz verschiede­ne Viren zu entwickeln, ist eher ScienceFic­tion. Es erscheint nicht völlig unmöglich, ist aber derzeit nicht realisierb­ar. Man könnte theoretisc­h zum Beispiel versuchen, mit molekularb­iologische­n Methoden ein künstliche­s Partikel zu erzeugen, auf dem die immunologi­sch relevanten Eiweiße (Antigene) verschiede­ner Viren befestigt sind, um damit eben Immunität gegen diese verschiede­nen Viren zu erzeugen. Wie gesagt ist das sehr viel Zukunftsmu­sik.

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FOTO: IMAGO IMAGES
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FOTO: IMAGO IMAGES Die Suche nach einem breit angelegten Impfstoff läuft.

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