Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kreativität als Schwerstarbeit eines Alkoholikers
David Finchers „Mank“ist ein Film zur Filmgeschichte und ein Rückblick auf die Entstehung von „Citizen Kane“
Irgendwo im amerikanischen Westen, im Frühjahr 1940, noch vor Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg: Von Anfang an durchzieht die Atmosphäre dieses SchwarzWeiß-Films etwas Geheimnisvolles und Mysteriöses – wie in einem klassischen Film noir.
Ein Mann wird mit dem Auto auf eine Ranch gefahren, nach einem schweren Unfall geht er an Krücken. Mit ihm kommen auch seine Krankenpflegerin, eine Assistentin und ein Agent. Die nächsten Wochen wird er hier verbringen. Aber dies ist keineswegs ein reiner Erholungsaufenthalt, eher ähnelt alles einer privilegierten Gefangenschaft, dem erzwungenen Rückzug in ein Kloster. Der Mann, die Hauptfigur dieses Films, ist Herman Mankiewicz, Bruder des aufkommenden Regisseurs Joseph L. Mankiewicz. Herman, den alle nur Mank nennen, ist ein bekannter und erfolgreicher, wenn auch etwas aus dem Tritt geratener Drehbuchautor des legendären HollywoodStudios RKO.
Mankiewicz ist schrullig und auf seine Art genial, aber er ist auch ein schwerer Alkoholiker und sozial derart unerträglich, dass es außer seiner Ehefrau niemand auf Dauer mit ihm aushält. Und er auch nicht mit seinen Mitmenschen. Aber Mankiewicz ist eben auch sehr gut, darum soll er das Kinodebüt für einen schreiben, der ebenfalls den Ruf hat, nicht nur ein Genie, sondern auch ein schwieriger Zeitgenosse zu sein: Als erfolgreicher Theatermacher und Autor des Radioknallers „Krieg der Welten“, der halb Amerika für ein paar Stunden an die Invasion von Außerirdischen glauben ließ, war Orson Welles berühmt geworden. Im Kino aber musste er sein Können erst noch beweisen. Darum stellte man ihm mit Mankiewicz einen erfahrenen Könner zur Seite.
Die beiden kommunizierten vor allem über Telefon und über Notizen zu den jeweiligen Drehbuchfassungen, die per Kurier hin und her geschickt wurden. Das Ergebnis war
„Citizen Kane“, eines der berühmtesten Werke der klassischen StudioÄra Hollywoods, und für viele bis heute der beste Film der Filmgeschichte. Allemal ist er einer der sagenumwobensten und von vielen Anekdoten und Unklarheiten umrankten. Unter anderem umstritten ist auch, welchen Anteil Orson Welles überhaupt am Drehbuch hatte, das unter dem von Mankiewicz auch seinen Verfassernamen trägt.
In „Mank“erzählt David Fincher nun seine Version dieser Geschichte.
Sie ist nicht schmeichelhaft für Welles, dafür um so gnädiger mit Mankiewicz. Darin folgt Fincher der berühmten US-Kritikerin Pauline Kael und deren legendärer Abrechnung mit Welles in ihrem Buch „Raising Kane“. Aus Manks Leben gegriffen setzt sich „Citizen Kane“hier im Hirn und auf der Leinwand (bzw. dem Bildschirm) vor den Augen der Zuschauer zusammen.
Man könnte diesen Film also als eine akademische Film-im-Film-Arbeit und persönliche Liebhaberei eines Regisseurs abtun, der sich diese Laune erlauben kann. Das ist „Mank“aber keineswegs. Ja, diese detaillierten Innenansichten aus der größten Ära Hollywoods sind filmgeschichtlich hochinteressant, der Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik enthüllend.
Aber „Mank“ist mehr: Eine Erinnerung an das Schaffen und die Bedeutung der oft vergessenen Drehbuchautoren, vor allem aber eine Verbeugung vor dem kreativen Prozess als solchem, der Versuch, dem
Undarstellbaren visuelle Gestalt zu geben: der Beziehung zwischen Schwerstarbeit und Genie, zwischen den Einflüssen der Fakten und der sogenannten Wirklichkeit einerseits zur Inspiration, die diese zu etwas Neuem, Überrealem veredelt. Fincher hat dies auf gewisse Weise auch schon in seinen sensiblen Darstellungen des Ermittlungshandwerks in „Seven“und „Zodiac“geleistet – aber hier geht es nun um Künstler. Insofern ist dies auch Finchers bisher persönlichster Film.
Gary Oldman (der einmal mit der gleichen Frau verheiratet war wie Fincher) spielt Mankiewicz, und auch sonst ist die Besetzung interessant und ungewöhnlich: Lily Collins seine Assistentin Rita Alexander, Newcomerin Tuppence Middleton seine Frau, Amanda Seyfried die Hollywood-Diva Marion Davies, die auch die Lebensgefährtin des Medienmagnaten William Randolph Hearst (Charles Dance) war, der als das Vorbild der Kane-Figur gilt. Und Tom Burke spielt Welles.
Zugleich erscheint „Mank“überaus aktuell in seinem Bild einer USA, in der die Exzesse der Oberschicht mit der Korruption einer ganzen Gesellschaft und dem Größenwahnsinn einzelner Superreicher einhergehen. Hollywood lieferte dazu die Begleitmusik, um so schlimmer, wenn es, wie in diesem Fall, dann nicht das Gewünschte lieferte, sondern gar einen seiner reichen Gönner direkt angriff. So wie William Randolph Hearst einst den Schriftsteller Upton Sinclair in einer Medienkampagne politisch nahezu ruinierte, so versuchte er auch, die Karriere von Mankiewicz, der ihm nicht gehorchen wollte, zu zerstören und den Film „Citizen Kane“zu verhindern.
Im Jahr 2020 muss man in alldem, wie in der grundsätzlichen politischen Paranoia, die der Film schildert, ein Spiegelbild des Trumpismus sehen.
Es ist Finchers erste Kinoarbeit seit „Gone Girl“vor über sechs Jahren. Ein Herzensprojekt bereits seit über 20 Jahren. Doch auch 1997, direkt nach „Seven“und „The Game“und im Ruf, das größte Junggenie seiner Generation zu sein, erlaubte man ihm keinen Schwarz-Weiß-Film. Es musste erst Netflix kommen, um diese anspruchsvolle Feier künstlerischer Kreativität, die mehr ist, als nostalgische Beschwörung alten Hollywood-Zaubers und Nerd-Kult für Cinephile, doch noch möglich zu machen.
Ab 4.12. auf Netflix; nach Wiedereröffnung auch im Kino.