Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Ich möchte nicht nur Vollzeit-Mama sein“
Berufstätige Eltern sehen sich häufig im Zwiespalt: Sie können es ihrem Umfeld kaum recht machen
SIGMARINGEN - Beruf und Kinder unter einen Hut zu bringen, ist gar nicht so einfach. Neben den logistischen Herausforderungen sehen sich berufstätige Eltern auch vielen Vorurteilen, keinem von beiden – weder Job noch Nachwuchs – gänzlich gerecht werden zu können, ausgesetzt. Elvira Beigel aus Laiz weiß das aus eigener Erfahrung: Als Lehrerin arbeitet sie 60 Prozent, bereits ein Jahr nach der Geburt ihres ersten Kindes ging sie wieder in die Schule. Auch nach dem zweiten Kind nahm Beigel nur ein Jahr Elternzeit. Eine Entscheidung, die im ländlichen Umfeld manchmal auf Unverständnis stößt. „Nach der Geburt meines Sohnes hieß es im Kollegium, das gehe ja gar nicht, so früh wieder arbeiten zu gehen. Da kommt man sich schlecht vor. Andersherum bin ich in den Augen der Vollzeit-Kollegen nur die halbherzige Halbtagskraft. Das ist ein Zwiespalt“, sagt die Laizerin. Dabei sei es natürlich auch eine finanzielle Frage: „Wenn man ein Haus gekauft und umgebaut hat, fragt die Bank nicht, ob man nicht noch Lust auf zusätzliches Jahr Elternzeit hätte.“
Beigel war aber von vornherein klar, dass sie die Kinder in die Fremdbetreuung geben möchte. „Ich wollte nicht nur Vollzeit-Mama sein.“Ihr vierjähriger Sohn und ihre einjährige Tochter besuchen den städtischen
Kindergarten beziehungsweise die Kindertagesstätte am Josefsberg und fühlen sich dort sehr wohl – eine wichtige Voraussetzung für die Mutter, um arbeiten gehen zu können. „Ich liebe meine Kinder über alles, aber ein Stück Unabhängigkeit ist mir wichtig. Und den Kindern tut der Kindergarten so gut“, ist sich Elvira Beigel sicher. „Das Spielangebot und das soziale Umfeld könnte ich daheim oder bei einer Krabbelgruppe gar nicht auffangen“, so die Laizerin. Der Kindergarten würde Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse wie Schlafens- oder Essenszeiten nehmen. Und auch mal ein Auge zu drücken, wenn Beigel mit etwas Verspätung aufschlagen würde. „Um 12.30 Uhr ist meine letzte Schulstunde aus, um 13 Uhr muss ich die Kinder holen“, so Beigel, die in Tailfingen arbeitet. Das klappe nicht immer auf die Minute genau.
Ihre Familie unterstützt Beigel voll und ganz. „Meine Mutter war, als ich klein war, zwei Jahre zu Hause und war seither immer arbeiten, ich kenne das nicht anders“, so die 37Jährige, die in Polen aufgewachsen ist, wo Fremdbetreuung unter drei Jahren schon vor mehr als 30 Jahren üblich war. Unter ihren Kolleginnen ist sie eher heute noch Ausnahme. „Die meisten bleiben bis zu fünf Jahre weg“, sagt die Lehrerin.
In ihrer vierköpfigen Familie ist Organisation das halbe Leben: Der Große besuche fünf Vormittage und zwei Nachmittage den Kindergarten, die Kleine seit ihrer Eingewöhnung im September die Vormittage, bald aber auch zwei Nachmittage. Beigels Mann, der die Eingewöhnung der Tochter übernommen habe, ist hauptberuflicher Feuerwehrmann, hat zwar manchmal dienstags frei, erfährt dies aber erst kurzfristig. Manchmal absolviert er auch 24Stunden-Dienste. Bei Lehrerkonferenzen oder Elternabenden werde es organisatorisch schwierig, alle Termine
unter einen Hut zu bekommen. Die Großeltern wohnen zwar im selben Ort, sind aber auch alle noch berufstätig.
Einen Kindergartenplatz zu bekommen sei großes Glück. Besonders in großen Städten, aber auch in Sigmaringen müsse man sich frühzeitig kümmern, am besten noch während der Schwangerschaft. „Meine Tochter hat den Platz nur bekommen, weil sie als Geschwisterkind bevorzugt wurde“, sagt die Laizerin. Das Betreuungsangebot schätzt Beigel in Sigmaringen als gut ein. Hier fehle es an fast nichts. Nur mehr männliche Bezugspersonen im Erzieherberuf seien wünschenswert. „Vor allem für Alleinerziehende wäre das eine wertvolle Ergänzung.“