Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Baustellen des Bundestrai­ners

Joachim Löw hat diverse Problemzon­en – 83 Prozent der Fans sind gegen ihn

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FRANKFURT (dpa/SID) - Mit der nächsten letzten Chance für den ewigen Joachim Löw nimmt der DFB die Baustellen des Bundestrai­ners mit ins nächste Jahr. Am Tiefpunkt der Stimmung rund um die deutsche Nationalma­nnschaft darf der 60-Jährige seinen streitbare­n „Weg der Erneuerung“ungehinder­t fortsetzen – ein kalkuliert­es Risiko mit ungewissem Ergebnis. Während die Ex-Weltmeiste­r Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng weiter außen vor bleiben dürften, braucht der Deutsche Fußball-Bund dringend Ergebnisse. Die Monate bis zur EM 2021 werden lang. Und die Probleme nicht kleiner.

WELTMEISTE­R-TRIO

„Ich freue mich, dass Jogi weitermach­en darf. Er hat sich dieses Vertrauen in der Vergangenh­eit verdient“, sagte Boateng der „Bild“. Ob er wirklich so glücklich darüber war, bleibt sein Geheimnis. Mit Bayern-Teamkolleg­e Müller und dem Dortmunder Hummels steht er sinnbildli­ch für Löws schleppend­en Neuanfang nach der schmachvol­len WM 2018. Nun stimmte der DFB aber Löw zu, dass die WM 2022 und die EM 2024 „bereits zum jetzigen Zeitpunkt in den weiteren sportliche­n und personelle­n Überlegung­en eine Rolle spielen müssen“.

Das liest sich wie eine weitere Absage an das erfahrene Weltmeiste­r-Trio.

Die Fragen nach einem Comeback der in ihren Vereinen überzeugen­den Routiniers werden spätestens dann wieder aufflammen, wenn die MärzLänder­spiele in der WM-Qualifikat­ion nicht überzeugen­d verlaufen. Zeit für Experiment­e hat Löw nicht mehr. Die Gegner werden bei der Auslosung am Montag ermittelt, wegen der Corona-Pandemie digital. Löw muss deshalb nicht in die Schweiz reisen – und kann sich einem weiteren öffentlich­en Auftritt entziehen.

Immerhin: Wie auch der DFB in seinem Löw-Bekenntnis lobend erwähnte, ist Deutschlan­d in Topf 1 gesetzt. Die richtig starken Gegner wie Spanien, England und Frankreich drohen deshalb nicht. Ein weiteres Debakel in einem Pflichtspi­el wie beim 0:6 zuletzt in Spanien wird dadurch unwahrsche­inlicher.

FAN-INTERESSE

Der enge Zeitplan erhöht das Risiko für den DFB und Löw. Es bestehe „die feste Überzeugun­g“, dass Löw und sein Trainertea­m „trotz einer für alle herausford­ernden Situation erfolgreic­he Spiele und Ergebnisse liefern werden“, teilte der DFB mit. Und wenn nicht? Noch einen Rückschlag wie das frühe Aus bei der WM 2018 kann sich Löw, kann sich der DFB nicht leisten. Es geht auch um die Gunst des Publikums. Die geringen TV-Einschaltq­uoten zuletzt dürften als Warnsignal gelten – auch für den für die Nationalte­ams verantwort­lichen DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Zwar bleiben Löw nun mehrere Monate, um in aller Ruhe im Breisgau die ersehnte Aufbruchst­immung vorzuberei­ten. Der in sich gekehrte Bundestrai­ner fiel bislang jedoch nicht als großer Motivator auf.

Vor der EM folgen noch zwei weitere Testspiele in der unmittelba­ren Turniervor­bereitung. Geht der erneute Neustart unter dem Ewig-Bundestrai­ner schief, würde das bei den Fans die Lust auf die EM-Vorrundens­piele daheim gegen Frankreich, Portugal und Ungarn im Juni 2021 in München schmälern. Löw muss liefern.

KADER

Seine Hoffnungen ruhen nun umso stärker auf den Säulen seines Teams. Seine wenigen verblieben­en Weltmeiste­r wie Manuel Neuer oder Toni Kroos sollen die Mannschaft tragen. Joshua Kimmich als weiterer zentraler Baustein in Löws Kadergerüs­t wird nach seiner Meniskus-OP noch einige Wochen ausfallen. Weitere wichtige Spieler wie Leon Goretzka bewegen sich angesichts des XXL-Kalenders der Topclubs schon jetzt an der Belastungs­grenze. Im Angriff sind die ebenfalls mehrfach belasteten Timo Werner, Serge Gnabry und Leroy Sané gesetzt.

Dass Löw trotz allem derzeit formstarke­n Ex-Nationalsp­ielern wie etwa Max Kruse eine Chance gibt, scheint genauso ausgeschlo­ssen wie eine Rückkehr von Boateng, Hummels oder Müller. Auch das gehört seit Jahren zum Weg von Löw, der nie allein nach dem Leistungsp­rinzip, sondern gerade mit Blick auf die Turniere auch nach dem aus seiner Sicht besten Kadergefüg­e nominiert hat. Der DFB weiß das und er unterstütz­t das.

„Der Bundestrai­ner wird alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um mit der Mannschaft eine begeistern­de EM 2021 zu spielen“, hieß es. Der WM-Titel 2014 hat Löw recht gegeben, die Blamage 2018 widerlegte ihn. Löw müsse seinen Spielern die unbedingte Leidenscha­ft vermitteln, forderte sein einstiger Weltmeiste­r-Kapitän Philipp Lahm zuletzt in der „Sport Bild“. Die Fans haben ihr Urteil laut SIDUmfrage offenbar schon gefällt. Danach hätten sich 82,5 Prozent der Befragten einen sofortigen Neubeginn ohne den aktuellen Bundestrai­ner gewünscht.

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FOTO: CHRISTIAN CHARISIUS/DPA Quo vadis, Joachim Löw? Der Bundestrai­ner muss sich etwas einfallen lassen.

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