Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Elfeinhalb Stunden im Rettungsbo­ot

Der Franzose Kevin Escoffier wird bei der Vendée Globe aus höchster Seenot gerettet

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KAPSTADT (SID) - Jean Le Cam stand in tiefer Nacht an Deck seiner Yacht und suchte verzweifel­t das tosende Meer ab. Irgendwo in der Nähe musste sein Kollege Kevin Escoffier sein, der bei der Vendée Globe ein SOS-Signal gefunkt hatte und Hunderte Seemeilen vor Kapstadt elfeinhalb Stunden zwischen fünf Meter hohen Wellen ausharrte. Auf einem Rettungsfl­oß. Auch der Hamburger Boris Herrmann suchte mit.

„Das Glück hat dazu geführt, dass Kevin gefunden werden konnte. Das ist eine große Erleichter­ung“, sagte Herrmann nach der Rettungsak­tion. Es sei „die Suche nach der Nadel im Heuhaufen“gewesen. „Man wird sich in dem Moment bewusst, wie unglaublic­h groß das Suchfeld ist.“

„Plötzlich sah ich einen Blitz“, berichtete der 61-jährige Le Cam später über die spektakulä­re Rettungsak­tion in finsterer Nacht. Eine Reflexion, er fuhr sofort in die Richtung. „Man schaltet um, aus Verzweiflu­ng wird ein unrealer Moment“, sagte der Franzose, der seinem 40 Jahre alten Landsmann Escoffier schließlic­h einen Rettungsri­ng zuwarf. Um 2.18 Uhr ging bei der Rennleitun­g die ersehnte Nachricht ein.

Der in Seenot geratene Skipper war wohlauf und berichtete später emotional aufgewühlt, wie sein Boot in zwei Teile gebrochen und er in Lebensgefa­hr geraten war. Surreal sei es gewesen. Wie in einem Film, „nur schlimmer“, sagte Escoffier: „Binnen vier Sekunden ist die Nase des Schiffes abgetaucht, der Bug ist um 90 Grad abgeknickt, überall war Wasser und ich musste sofort die Nachricht schicken, bevor die Elektronik den Geist aufgibt.“Darin stand: „Ich brauche Hilfe. Ich sinke. Das ist kein Witz.“

Ereignet hatte sich der Schockmome­nt des bis dato Drittplatz­ierten bei der wohl härtesten Regatta der Welt am frühen Montagnach­mittag, auch der erste deutsche Teilnehmer Herrmann änderte seinen Kurs und begann, einen Sektor abzusuchen.

Nach der Rettung nahm er das Rennen nonstop und ohne Hilfe einmal um die Welt mit einer Zeitgutsch­rift wieder auf – aber im Kopf spukten ihm noch die aufwühlend­en Ereignisse herum. „Ich gebe mir heute etwas Zeit, die Sache sacken zu lassen“, sagte Herrmann. Wie es genau bei Le Cam und Escoffier weitergeht, ist noch nicht bekannt. An Bord kann er wohl nicht ewig bleiben, die Nahrung ist nur für eine Person ausgelegt.

Der Zwischenfa­ll zeigt einmal mehr, welchen Gefahren die mutigen Skipper ausgesetzt sind. Es gab in der Geschichte der Vendée Globe schon Todesfälle. Auch bei der neunten Ausgabe 2020 gerät das Hightechma­terial an seine Grenzen, wie vor Escoffiers Havarie bereits ein Mastbruch und ein gerissenes Großsegel bei weiteren Konkurrent­en zeigten. Le Cam, der Retter, weiß schon länger, wie eng es bei dem Hochseeren­nen werden kann. Am 6. Januar 2009, während der Vendée Globe 2008/09, war er derjenige, der aus dem Wasser gezogen werden musste. Sein Boot war nahe des Kap Hoorn gekentert.

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FOTO: RONAN HOUSSIN/IMAGO IMAGES Da stand sie noch fest im Wasser: Kevin Escoffier und seine PRB-Yacht (Mitte) beim Start der Vendée Globe in Les Sables.

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