Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Weichenstellung für mehr Impfungen
Weitere 300 Millionen Dosen für die EU, mehr Spritzen pro Ampulle – Kritik an Terminvergabe
BERLIN/BRÜSSEL (dpa/AFP) - Mit zusätzlichem Corona-Impfstoff im Millionenumfang und einer besseren Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten drücken Deutschland und die EU bei der Massenimpfung gegen das Virus aufs Tempo. „Das ist ein guter Tag im Kampf gegen die Pandemie“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag in Berlin. Dennoch gibt es weiterhin Kritik an der schleppend gestarteten Impfkampagne und der Verteilung des Vakzins durch die Bundesländer.
Zuvor hatte es mehrere Schritte gegeben, die die Kampagne beschleunigen dürften. So können die aktuellen Lieferungen des ersten zugelassenen Impfstoffs von Biontech/ Pfizer mehr Menschen zur Verfügung stehen, weil eine Entnahme von sechs statt fünf Dosen zugelassen wurde. Spahn betonte, dies und die weiteren aktuellen Entwicklungen bedeuteten „mehr Impfstoff, mehr Schutz, weniger Angriffsfläche für das Virus“. Positiv ist auch, dass das Biontech/Pfizer-Vakzin offenbar auch gegen die mutierte Corona-Variante wirksam zu sein scheint.
Der zweite zugelassene Impfstoff des US-Herstellers Moderna kommt ab diesem Dienstag bei den Bundesländern an. Zunächst sollen 63 600 Dosen eintreffen. Größere Lieferungen sind in der vierten, sechsten und achten Kalenderwoche geplant, dann von 674 400 Dosen. EU-weit gibt es zudem eine neue Vereinbarung über bis zu weiteren 300 Millionen Dosen des Biontech/PfizerImpfstoffs. 75 Millionen Dosen davon sollten bereits bis Ende des zweiten Quartals zur Verfügung stehen, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in Brüssel. Von den zugelassenen Mitteln hat sich die EU mittlerweile 760 Millionen Einheiten gesichert. Damit könnten mehr als 80 Prozent der EU-Bevölkerung geimpft werden. Außerdem erwarte die europäische Arzneimittelbehörde EMA den Antrag des Herstellers Astrazeneca auf eine EU-Zulassung. Mit einer Zustimmung wird gerechnet. Die EU hat von dem Präparat 400 Millionen Dosen bestellt.
Kritik gibt es unterdessen an der Impfterminvergabe durch die Bundesländer. Die aktuell Impfberechtigten sollten „ohne weitere Unterstützung in der Lage sein, ihren Termin verlässlich zu erhalten“, erklärte Claudia Schmidtke, die Patientenbeauftragte der Bundesregierung. „Es war eine bewusste Entscheidung der
Länder, die Vergabe der Impftermine in eigener Verantwortung zu regeln“, erklärte Schmidtke. „Im Ergebnis erleben die Menschen nun völlig unterschiedliche, teils sehr komplexe Wege der Terminvereinbarung.“Insbesondere für die ältere Zielgruppe sei dies nicht nachvollziehbar. Dies führe zu Unverständnis und Stress.
Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery kritisierte die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern. Er sagte der „Rheinischen Post“, er halte die Terminvergabe über die allgemeine Nummer 116 117 für „schlecht geregelt“. Es hätte von vornherein einen bundesweit identischen Weg über Telefon und eine Internetplattform zu Impfterminen geben müssen. Das hätten die Länder nicht gut organisiert, wie sich jetzt herausstelle.
BERLIN (dpa) - Ein Gespenst mit dem kryptischen Namen B.1.1.7 geht um. In etlichen Ländern wurde diese Variante des Coronavirus inzwischen nachgewiesen, mehrfach auch schon in Deutschland. Sie ist nach derzeitigem Stand wahrscheinlich ansteckender als frühere Formen. Noch schlimmer aber wäre es, wenn die bisher verfügbaren Impfstoffe gegen B.1.1.7 und ähnliche Varianten wie 501Y.V2, kürzlich erstmals in Südafrika nachgewiesen, weniger gut oder gar nicht mehr wirken würden. Wahrscheinlich ist das aber nicht, wie eine aktuelle Analyse bestätigt.
Demnach wirkt zumindest der Impfstoff von Biontech/Pfizer auch gegen bestimmte Varianten des Coronavirus. Untersucht wurden die Antikörper im Blut von 20 geimpften Menschen, wie aus der noch nicht in einem Fachjournal veröffentlichten und von unabhängigen Experten geprüften Studie des US-Pharmaunternehmens Pfizer und der Universität Texas hervorgeht. Demnach erreicht der Impfstoff bei den abgewandelten Formen wahrscheinlich ebenfalls eine Wirksamkeit von um die 95 Prozent.
Die Variante B.1.1.7 war im Dezember erstmals in Großbritannien nachgewiesen worden. Ähnlich wie die in Südafrika aufgetauchte Variante 501Y.V2 zeichnet sie sich durch Veränderungen im Erbgut aus, die mehrere Veränderungen beim sogenannten Spike-Protein auf der Oberfläche zur Folge haben. Mit ihm dockt das Virus an Körperzellen an, um in diese einzudringen. Das SpikeProtein
ist aber auch das indirekte Ziel der in Deutschland zugelassenen RNA-Impfstoffe von Biontech/ Pfizer und Moderna.
Die Mittel regen Körperzellen an, dieses Protein herzustellen. Das gaukelt dem Körper eine Infektion vor, das Immunsystem wird aktiviert und bildet unter anderem Antikörper gegen das Protein. Sie sollen bei einer späteren Infektion bei der schnellen Abwehr des Virus helfen, indem sie an das Spike-Protein binden und es so für die Abwehr als „feindlich“markieren.
Theoretisch wäre es durchaus denkbar, dass Veränderungen am Spike-Protein von Sars-CoV-2 dazu führen, dass sich die gebildeten Antikörper nicht mehr binden können. Der Impfstoff wäre damit unwirksam. Doch bislang gibt es keine Hinweise darauf. Forscher sind optimistisch, dass das auch so bleibt. Denn der Immunantwort eines Geimpften ist gar nicht so leicht zu entkommen.
Das liegt unter anderem daran, dass Menschen nach der CoronaImpfung nicht nur eine einzelne Art schützender Antikörper gegen das Spike-Protein herstellen, sondern viele verschiedene, wie der Berliner Virologe Christian Drosten im NDRPodcast erklärte. Fachleute sprechen von polyklonalen Antikörpern. Dieser Antikörper-Mix kann an einer Vielzahl von Bindestellen am SpikeProtein angreifen. Deshalb dürften einzelne Veränderungen an diesem Protein erst einmal wenig Auswirkungen haben. Sehr viel spreche dafür, „dass die Veränderungen bisher bei Weitem nicht so substanziell sind, dass die jetzt kommenden Impfstoffe nicht wirken“, sagt auch Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am LeibnizInstitut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.
Zudem gebe es durchaus Limits, wie stark sich das Spike-Protein verändern kann, erklärte Adam Lauring, Experte für die Evolution von RNAViren an der US-amerikanischen Universität Michigan, kürzlich in einem Podcast. „Es hat nicht unbegrenzt viele Möglichkeiten, durch Veränderungen den Antikörpern zu entkommen, weil es ja immer noch seine Aufgabe erfüllen muss.“Dazu gehört es, sich an Körperzellen zu binden und dem Virus das Eindringen zu ermöglichen.
Drosten betont noch einen weiteren Aspekt. „Die Immunität läuft nicht nur über Antikörper.“Sogenannte T-Zellen, die ebenfalls Teil des menschlichen Immunsystems sind, hätten andere Bindestellen als Antikörper. Die Bindestellen der TZellen seien am Anfang einer Epidemie oft noch gar nicht von solchen Mutationen betroffen. Die meisten Impfstoffe riefen wohl auch eine ganz gute T-Zell-Immunität hervor, so Drosten.
Einen Effekt wie bei der Grippe – Fachleute sprechen von Gendrift – erwartet Drosten bei Sars-CoV-2 erst in einigen Jahren, wenn das Coronavirus endemisch geworden ist. Grippe-Impfstoffe müssen wegen Veränderungen der Viren immer wieder angepasst werden.
Grundsätzlich sei es bei einer hohen Zahl an Neuinfektionen wahrscheinlicher, dass Varianten mit für sie günstigen Mutationen entstehen und sich verbreiten, sagt Jörg Timm, Leiter des Instituts für Virologie an der Uniklinik Düsseldorf. „Nach dem jetzt begonnenen Impfstart können das auch Varianten sein, vor denen die Impfantwort nicht ausreichend schützt.“Daher müssten Fälle sehr gut untersucht werden, bei denen es trotz Impfung zu einer Infektion komme.
Doch selbst wenn der schlimmste Fall eintreten sollte und Corona-Varianten nicht mehr auf den Impfstoff anspringen: „Tatsächlich lassen sich gerade die RNA-Impfstoffe technisch relativ einfach modifizieren. Es müsste dann allerdings geklärt werden, wie die erneute Zulassung eines modifizierten Impfstoffs aussieht“, sagt Timm.