Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Trumps nächster Fauxpas
US-Präsident boykottiert Bidens Amtseinführung
WASHINGTON (dpa) - Der scheidende US-Präsident Donald Trump hat unter wachsendem Druck eine geordnete Amtsübergabe versprochen und den Sturm des Kapitols in Washington durch seine Anhänger verurteilt. „Wie alle Amerikaner bin ich empört über die Gewalt, Gesetzlosigkeit und das Chaos“, sagte er in einer Videobotschaft. Es sei nun Zeit für „Heilung und Versöhnung“. Trumps Ton markierte eine Abkehr von seiner zuletzt meist aggressiven Rhetorik. Wenig später jedoch folgte der nächste Fauxpas. Er erklärte bei Twitter, nicht an der Amtseinführung seines Nachfolgers Joe Biden am 20. Januar teilnehmen zu wollen. Bei den Demokraten nahmen derweil die Forderungen nach einer Amtsenthebung Trumps zu.
In der Nacht zum Freitag starb ein Polizist an den Folgen von Verletzungen, die er bei Zusammenstößen mit den Angreifern erlitten hatte. Damit kamen bei den Krawallen vom Mittwoch mindestens fünf Menschen ums Leben.
WASHINGTON - Steven Sund hat Konsequenzen gezogen. Der Chef der Polizeitruppe, die das Kapitol in der US-Hauptstadt Washington zu bewachen hat, wird am 16. Januar seinen Hut nehmen. Damit beugt er sich der Forderung Nancy Pelosis, der Parlamentspräsidentin. Sie zeigte sich schockiert davon, dass am Mittwoch Hunderte in den Parlamentssitz eindringen konnten. Den Mann, der in ihr Büro eingebrochen war, konnte die Polizei indes am Freitag festnehmen.
Zuvor hatte Sund noch versucht, der Kritik die Spitze zu nehmen. Mit einer Attacke von solcher Heftigkeit, sagte er, habe man einfach nicht rechnen können. Auf eine derartige Revolte sei man schlicht nicht vorbereitet gewesen. Der gewalttätige Angriff auf das Kapitol habe alles in den Schatten gestellt, was er in seinen 30 Berufsjahren erlebte. Die Gewerkschaft der Parlamentspolizei sprach vom schlimmsten Überfall auf den Sitz der Legislative, seit britische Truppen im Jahr 1814 in Washington einmarschierten und Teile der Stadt verwüsteten. In einem Statement ist aber auch von einer Führung die Rede, die ihre Mitglieder im Stich gelassen habe. Zu denen, die gemeint sind, gehört offenbar Sund.
Warum die Wächter den Angreifern völlig überfordert gegenüberstanden und förmlich überrannt wurden, soll eine Untersuchungskommission klären, auf deren rasche Einsetzung Demokraten wie Republikaner drängen. Was es bislang gibt, sind Informationsbruchstücke, die noch um weitere Erkenntnisse ergänzt werden müssen, damit sie ein schlüssiges Gesamtbild ergeben.
So soll die Capitol Police mit ihren 2300 Beamten bewusst auf Verstärkung verzichtet haben. Drei Tage zuvor habe das Verteidigungsministerium nachgefragt, ob sie die Unterstützung der Nationalgarde benötige, berichtet die Nachrichtenagentur AP. Die Offerte sei abschlägig beschieden worden. Dann, als der Mob bereits eingedrungen war in die heiligen Hallen, soll das Justizministerium angeboten haben, bewaffnete FBI-Agenten zu entsenden. Auch dies habe die Capitol Police zunächst abgelehnt. Offenbar, schreibt AP, habe sie sich lediglich auf eine Demonstration für freie Meinungsäußerung eingestellt, wie sie Washington seit der Wahl am 3. November schon mehrfach erlebte.
Auch das FBI, die Bundespolizei, dürfte sträflich unterschätzt haben, was sich vor dem Angriff zusammenbraute. Bereits am 19. Dezember hatte Donald Trump Werbung für seine Kundgebung am 6. Januar gemacht, dem Tag der Besiegelung des Wahlergebnisses durch die Abgeordneten. „Kommt, es wird wild!“, schrieb er auf Twitter. US- Medien zufolge rechnete das FBI mit rund 20 000 Teilnehmern, während es tatsächlich mehr als doppelt so viele waren.
In der Kritik steht auch, was Joe Biden thematisierte: Nachsicht gegenüber weißen Anhängern Trumps, kompromisslose Härte gegenüber Schwarzen, wenn sie sich gegen Polizeigewalt auflehnen. „Keiner kann mir erzählen, dass eine Gruppe von ‚Black Lives Matter‘ nicht ganz anders behandelt worden wäre als die Banditen, die das Kapitol stürmten“, legte der designierte Präsident den Finger in die Wunde. „Und das ist inakzeptabel, völlig inakzeptabel.“
Im Juni, wenige Tage nach dem Tod von George Floyd, hatten Uniformierte friedliche Demonstranten im Lafayette Park, direkt vor dem Weißen Haus, noch aus dem Weg geknüppelt, weil Trump durch den Park zur Kirche St. John’s laufen wollte, um sich mit der Bibel in der Hand filmen zu lassen. Folgt man der „Washington Post“, dann wollten die Zuständigen eine Wiederholung solcher Szenen unbedingt vermeiden. Sowohl Muriel Bowser, der Bürgermeisterin der Stadt, als auch Mark Milley, der Stabschef der Streitkräfte, sei daran gelegen gewesen, eine Militarisierung des Polizeieinsatzes zu vermeiden. „Indem sie keine Überreaktion wollten, haben sie wahrscheinlich unterreagiert.“