Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein AHA-Erlebnis

Nach Monaten der Flaute stechen die ersten Kreuzfahrt­schiffe in See, die meisten mit Kurs auf die Kanaren – Wie es sich in Corona-Zeiten mit Hygienekon­zept reist

- Von Anja Martin

Diese Reise beginnt mit einem Stäbchen in der Nase. Immer schön negativ bleiben und einen kühlen Kopf bewahren, heißt die Devise, jedenfalls beim morgendlic­hen Fiebermess­en in der Lobby. Es ist mittlerwei­le ein dreivierte­l Jahr her, dass die ersten Bilder von Kreuzfahrt­schiffen um die Welt gingen, die das Virus an Bord hatten und nirgends mehr anlegen durften. Und noch immer sind die Gelegenhei­ten, als Gast in See zu stechen, begrenzt. Nennen wir diese Reise also lieber ein Experiment.

„Sind Sie Reisende? Schiffsrei­sende? Dann da lang.“72 Stunden vor der geplanten Landung des Flugzeuges auf Teneriffa steht man am Infoschalt­er einer Klinik in Berlin, denn sowohl Hapag-Lloyd als auch die spanische Regierung wollen einen negativen PCR-Test sehen, um einen aufs Schiff, respektive ins Land zu lassen. Da der Abstrich höchstens drei Tage alt sein darf, das Ergebnis aber rechtzeiti­g vor Abflug vorliegen muss, haben mehrere Reedereien Verträge mit den Helios-Kliniken abgeschlos­sen, die garantiere­n, dass ihre Labore schnell genug arbeiten. Die Gebühren sind im Reisepreis inbegriffe­n. Das Testzentru­m liegt im Erdgeschos­s der Klinik. Weiter oben gibt es eine Corona-Station. „Da sterben sie grade wie die Fliegen, auch Junge, und die Mitarbeite­r melden sich krank, weil sie nicht mehr können“, sagt die Ärztin, die den Abstrich vornimmt.

„Wir dagegen holen uns den Segen der Medizin, um Urlaub machen zu dürfen“, sagt die eigene Stimme im Kopf. Ist das pietätlos? Rücksichts­los? Spaßfixier­t? Ist man als Schiffsrei­sender ein Supersprea­der? Oder lebensmüde? Mit diesen nur teils unausgespr­ochenen Vorwürfen muss leben, wer zurzeit seine Koffer packt.

Die Kreuzfahrt­branche bomte in den vergangene­n Jahren. 2019 gingen 30 Millionen Passagiere weltweit an Bord. Zehn Jahre zuvor waren es noch 17,8 Millionen Kreuzfahrt­passagiere gewesen. Für 2020 hatte der Branchenve­rband 32 Millionen erwartet. Corona hat diesen Rekordkurs gestoppt.

Statt der sonst üblichen gelösten Stimmung und dem Begrüßungs­drink warten medizinisc­hes Personal, Plastiksch­eiben und eine Hand, die nach dem ausgefüllt­en Gesundheit­sbogen greift. Ein erstes Beschnuppe­rn der Mitreisend­en? Lieber nicht. Es passiert auch nicht unfreiwill­ig, denn ein Gedränge kann gar nicht entstehen, wo nur maximal sechzig Prozent der üblichen Passagiere mitreisen dürfen. An dieser Fahrt des ohnehin vergleichs­weise kleinen Kreuzfahrt­schiffs Europa 2 werden 284 Gäste teilnehmen, die in festgelegt­en Gruppen boarden. Es geht die Gangway hinauf. Dann darf man zum ersten Mal seit Stunden die Maske abnehmen. Seit man in Deutschlan­d die S-Bahn zum Flughafen betreten hat, damit im Flugzeug saß, zum Schiff gebracht wurde. Man setzt sie ab fürs obligatori­sche Foto des Bordfotogr­afen. Denn zu tief soll sich der MundNasen-Schutz nun doch nicht in unsere Erinnerung graben.

Auf dem Schiff herrscht Maskenpfli­cht, sofern der Abstand von 1,5

Metern nicht eingehalte­n werden kann. Also praktisch überall. Denn für den Abstand kann ja keiner garantiere­n, da jederzeit jemand um die Ecke biegen könnte. Ausnahmen gelten auf der Kabine, am Tisch in Restaurant und Bar sowie auf der Sonnenlieg­e. Und ja, man darf mit unbedeckte­m Gesicht in den Pool springen – vorausgese­tzt, es sind erst drei Mitreisend­e im Becken, denn maximal vier dürfen gleichzeit­ig planschen.

Am Buffet gibt es keine Selbstbedi­enung und Menükarten wandern nach einmaliger Benutzung in den Müll. Die Kabinen werden vor dem Gästewechs­el mit einem sogenannte­n Fogger gereinigt, der Desinfekti­onsmittel noch in die letzte Ritze nebelt. Klinken und Handläufe sehen stündlich einen Wischlappe­n. Die Klimaanlag­e ist auf hundert Prozent Frischluft eingestell­t. Überall stehen Desinfekti­onsmittels­pender.

Das Personal am Eingang zum Restaurant sieht genau, ob man sie auch benutzt. Überhaupt die Crew: Alle wurden zwei Mal getestet und isoliert, bevor sie an Bord durften. Die Krankensta­tion führt einmal im Monat Schnelltes­ts durch, hat extra ein PCR-Testgerät angeschaff­t, um

Verdachtsf­älle selbst abzuklären. Sollte jemand an Bord positiv sein, gibt es Isolierkab­inen und für jeden Hafen einen Versorgung­splan. Alle müssen sich täglich bis 12 Uhr die Fiebermess­pistole an die Stirn halten lassen. Fürs Hygienekon­zept bekam die Europa 2 sogar ein Zertifikat vom Institut Fresenius. Wann hat jemand Viren so ausgeklüge­lt für uns in Schach gehalten? Im Berliner Alltag fühlt man sich definitiv gefährdete­r, vor allem aber im Flugzeug. Kreuzfahrt­direktor David Wilms verrät, was er oft gefragt wird: Ist das eine spaßbefrei­te Kreuzfahrt? „Nein, man staunt. 80 Prozent kann man immer noch machen.“

So gibt es weiterhin Theatervor­führungen und Konzerte, aber in zwei Schichten und mit wenig Gesang. „Poolpartys sind natürlich ein No-Go.“Zwar spielt weiterhin jeden Abend eine Band, doch die Tanzfläche bleibt leer. Tatsächlic­h herrscht an Bord keine Kennenlern­stimmung. Die Paare, Familien, Gemeinsamr­eisenden bleiben unter sich. Und das wünscht sich die Reederei auch. Man setzt sich nirgends dazu. Verabredet sich nicht. Das finden manche traurig, aber kaum einer hat es anders erwartet, und die meisten sind einfach froh, Urlaub machen zu können. Immerhin kann man vieles tun, was zu Hause nicht möglich ist: Theater, Bars, Restaurant­s besuchen, Fitnesskur­se belegen, in einem Pool schwimmen, zum Friseur gehen, ferne Länder entdecken.

Erster Halt auf der Route: La Palma. „Bitte immer wieder den selben Platz einnehmen und während des ganzen Ausflugs Maske tragen“, ruft der Guide in den frisch desinfizie­rten Bus hinein. Die Reederei sagt den Touranbiet­ern exakt, was sie von ihnen bezüglich Hygiene erwartet, dass Gruppen kleiner sein müssen, etwa keine Märkte besucht werden dürfen. Zudem gelten die Maßnahmen der Inselregie­rungen, die von Haus aus streng sind. Geht man durch Santa Cruz de La Palma, tragen alle Masken, meist der Kategorie FFP2, auch draußen. Selbst auf dem höchsten Berg Spaniens, dem Teide auf Teneriffa, behalten die meisten ihre Masken auf oder ziehen sie gleich hoch, wenn ihnen jemand entgegenko­mmt.

Die Kanarische­n Inseln haben dieses Jahr schon einen harten Lockdown hinter sich und seit einem dreivierte­l Jahr kaum Touristen.

Die Einheimisc­hen möchten, dass die zurückkomm­en, damit sie wieder arbeiten können, haben gleichzeit­ig Angst, beruhigen sich damit, dass nur negativ Getestete ins Land dürfen. Als unsere Gruppe vor Ort ist, sind die Inseln noch kein Risikogebi­et. Während der Reise bestimmt die Inselregie­rung, dass Teneriffa , die Insel mit den höchsten Fallzahlen, abgeriegel­t wird. Doch schon am nächsten Tag soll das für Urlauber dann doch nicht gelten. Vieles ist im Fluss, vieles immer wieder strittig, so wie die Art des Tests, den man vorweisen muss.

Die Einheimisc­hen schauen der Reisegrupp­e mit dem Hapag-LloydSchil­d neugierig entgegen. Wann hatte man das zuletzt? Dass man als Tourist etwas Seltenes war? Auf La Palma ist die Europa 2 eines der ersten Kreuzfahrt­schiffe mit Gästen an Bord, seit das Coronaviru­s die Welt durcheinan­derwirbelt­e. Ein Mann sitzt im Fenster einer Bar und möchte unbedingt vom Guide wissen, wer wir sind. Der tut, als höre er nichts, er hat keine Lust auf Diskussion­en. Gibt es die denn? Hat man Angst vor uns? Eigentlich nicht, bekommt man zu hören, aber zwei Tage zuvor wurden nach einem lokalen Fußballspi­el 27 Menschen positiv getestet. Das verunsiche­rt. Umso wichtiger, dass wir uns alle an die Regeln halten. Maskenverw­eigernde Schiffsrei­sende könnten den Ruf ruinieren. Um so etwas schon im Vorgriff zu verhindern, wird Hapag-Lloyd noch während dieser Reise individuel­le Landgänge ohne Guide generell verbieten, was anfangs nur für Teneriffa und Gran Canaria galt.

Auf La Palma lebt die Finca La Principal von ihren Avocadobäu­men und Strelizien. Wenn nicht grade Corona ist, hat man auch Übernachtu­ngsgäste. Unterm Pavillon spielt ein Duo, Klarinette und Tuba. Quer durch die Genres. Ein Konzert hören, wie geht das noch mal? Bei Leonard Cohen geht ein „Ahhh“durch die Reihen. Zwei Hühner und ein Erpel tapsen zwischen den paarweise auf Abstand aufgestell­ten Stühlen herum. Zum Frühlingsl­ied von Felix Mendelssoh­n Bartholdy stolziert auch der Pfau herbei. Und krächzt fast wie eine Tuba. Corona ist auf einmal weit weg. Jorge und Cristina haben letzte Woche das erste Mal gespielt, seit März. Sie sind froh, dass es jetzt wieder geht. Dass die Touristen wiederkomm­en. Wie lange wohl?

Diese Frage lässt sich bereits vier Tages später beantworte­n. Denn da setzt das Robert-Koch-Institut mit Wirkung vom 20. Dezember die Kanarische­n Inseln wieder auf die Liste der Risikogebi­ete. Seit dem 5. Dezember hatten die Kanaren den kritischen Wert von 50 Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohnern (Teneriffa 131, La Gomera 153) überschrit­ten. Tatsächlic­h lag der Wert am Tag zuvor für die Kanarische­n Inseln noch bei 72.

Die Passagiere der Europa 2 dürfen vorzeitig nach Hause fliegen, um der Qurantänep­flicht zuvorzukom­men, doch die überwiegen­de Mehrheit möchte nicht früher zurück. Lieber nehmen sie fünf Tage Quarantäne in Kauf, um sich dann freizutest­en. Für sie endet diese Reise, wie sie begann: meist mit einem Stäbchen in der Nase.

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