Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die Delegierten wählen im Wohnzimmer ihren neuen Chef
Die Christdemokraten bestimmen ihren neuen Parteivorsitzenden – Die wichtigsten Informationen und Hintergründe zum Parteitag
BERLIN - Diesmal ist alles anders. Auch um die Verpflegung werden sich die CDU-Delegierten während des ersten digitalen Parteitags selbst kümmern müssen. Für die Gesandten aus dem Westmünsterland ist allerdings gesorgt. Sie haben gehaltvolle Pakete per Post bekommen – inklusive Bauernschwarzbrot, Schinken und Lagerkorn „selbst gebrannt mit Herz und Hand“. Insgesamt ist die Kalorienzufuhr aber das wohl geringste Problem beim Online-Treffen der Christdemokraten. „Noch nie hat eine Partei ihren Vorstand digital gewählt“, hebt Generalsekretär Paul Ziemiak hervor. Was Sie zum Parteitag wissen müssen.
Digitale Premiere
Spannend wird es am heutigen Samstagmorgen ab ungefähr 9.40 Uhr. Dann stellen sich die drei Kandidaten Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen in dieser – alphabetischen – Reihenfolge vor. Dafür dürfen sie, aber erst nach einem negativen Corona-Schnelltest, in das Parteitagsstudio auf dem Berliner Messegelände kommen und rund 15 Minuten lang ihre Bewerberrede halten. Ohne Publikum in eine Kamera zu sprechen, das ist etwas, wovor alle drei einigermaßen Respekt haben. Übrigens könnten sich noch Samstagfrüh weitere Kandidaten für den
Vorsitz melden, gerechnet wird damit allerdings nicht. Sollte keiner der drei Bewerber bereits im ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen, gibt es eine Stichwahl, was wiederum als wahrscheinlich gilt.
Ihre Stimme geben die Delegierten in einer Art digitalen Wahlkabine ab. Die CDU greift dabei auf die Software eines privaten Dienstleisters zurück. Die Zugänge wurden in den vergangenen Tagen analog und auf einem sicheren Weg übergeben, wie es heißt. Auch die Delegierte Angela Merkel hat demnach inzwischen ihren Zugangscode freigerubbelt und an der Probeabstimmung am Mittwoch teilgenommen. Per Verschlüsselungstechnik wird gewährleistet, dass die Wahl geheim ist.
Eingeplant wird für die Wahlgänge ungefähr eine halbe Stunde. Gut möglich nämlich, dass sich der ein oder andere Delegierte dann mit Problemen im eigens eingerichteten Callcenter meldet. Immerhin fielen bei der Vorbereitung Fragen wie: „Was ist denn eigentlich ein Browser?“
Doch selbst wenn technisch alles glattgeht und die CDU am Mittag einen neuen Chef hat, rechtlich verbindlich ist die Wahl dann noch nicht. Deswegen spricht die Partei von einer „digitalen Vorauswahl“. Die Delegierten müssen anschließend auf einem Briefwahlbogen das Ergebnis schriftlich bestätigen und zur Post bringen. Am Freitag wird dann ausgezählt. Gewählt wird übrigens nicht nur der Chef, sondern der gesamte Vorstand.
Abschied von Annegret KrampKarrenbauer
Sie hatte die kürzeste Amtszeit und den längsten Abschied: Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte nach 430 Tagen ihren Rückzug vom CDUParteivorsitz an und musste dann – coronabedingt – noch weitere 340 Tage bis zur Wahl eines neuen Vorsitzenden warten. Die frühere saarländische Ministerpräsidentin war im Dezember 2018 angetreten, die Christdemokraten im Geiste ihrer Vorgängerin Angela Merkel weiterzuführen – und nach dem Ende der Ära Merkel das Kanzleramt zu übernehmen. Mit einer überzeugenden Rede beim Parteitag in Hamburg hatte sich Kramp-Karrenbauer gegen ihre Mitbewerber Friedrich Merz und Jens Spahn durchgesetzt. Dieser Erfolg blieb allerdings der größte in ihrer Zeit als CDU-Chefin. Bereits wenige Monate nach ihrer Wahl folgte Patzer auf Patzer: zuerst ein missglückter Witz bei einer Karnevalsrede, dann die unglückliche Reaktion auf die via Video verbreitete Attacke des YouTubers Rezo. Einen Schlussstrich zog die Saarländerin im Februar 2020, nachdem sie sich in Thüringen mit der Forderung nach Neuwahlen in dem Bundesland nicht gegen die Landes-CDU durchsetzen konnte. „Für das Kanzleramt reichen keine 99 Prozent“, sagte sie vor wenigen Tagen der „Süddeutschen Zeitung“in einem Interview. Diese Erkenntnis habe sie dazu bewogen, nicht härter um das Kanzleramt zu kämpfen. Als Verteidigungsministerin will sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben. Ob sie darüber hinaus in der Politik weitermachen will, lässt Kramp-Karrenbauer offen.
Teammitglied Jens Spahn
Hätte Jens Spahn im Februar vergangenen Jahres erahnen können, dass er Ende 2020 zum beliebtesten Politiker Deutschlands aufsteigt, hätte er sich vermutlich nicht in das „Team Laschet“eingereiht. Doch nun bleibt dem Gesundheitsminister nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Wenn er, wie von verschiedenen Medien berichtet wurde, seine eigenen Chancen als Kanzlerkandidat auslotet, fällt auf ihn der Ruf der Illoyalität zurück. Diese Eigenschaft würde ihn nicht unbedingt als Kanzler empfehlen. Wenn er die Füße stillhält und Teamgeist zeigt, verzichtet er womöglich auf einen weiteren Karrieresprung. Bislang ein nicht auflösbares Dilemma für Jens Spahn – es sei denn, es tun sich weitere Alternativen auf.
Kanzlerkandidat der Umfragen
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, besagt das Sprichwort. Davon könnte Spahn profitieren, falls sich der neue CDU-Vorsitzende nicht mit CSU-Chef Markus Söder darauf einigen kann, wer denn nun der neue Kanzlerkandidat der Union werden soll. In diesem Fall wäre Spahn „der naheliegende Kompromiss-Kandidat“, schreibt die Zeitung „Die Welt“. Wenn sich die Union an den Umfragen orientiert, kommt sie allerdings an Söder, der zum Auftakt des Parteitags ein Grußwort sprach, nicht vorbei. Er ist laut aktuellem „Politbarometer“der Einzige, dem eine Mehrheit der Befragten (54 Prozent) die Kanzlerschaft zutraut. Dass er selbst geneigt sein könnte, künftig von Nürnberg aus nach Berlin statt nach München zu pendeln, hat der bayerische Ministerpräsident mehrfach bestritten. „Mein Platz ist in Bayern“, pflegte er im Sommer auf Fragen nach seinen Ambitionen zu antworten.
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