Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Die Corona-App schlägt an, Balingens Oberbürgermeister winkt ab
Nach einem Corona-Fall im Rathaus fühlen sich die Gemeinderäte gut bis gar nicht informiert
BALINGEN - Nach dem Bekanntwerden eines Corona-Falls im Balinger Rathaus ist die Verwirrung groß. Ein paar Räte wussten alles, andere nichts. Eine Spurensuche.
Was ist geschehen? Eine rote Warnung auf der Corona-App hatte im Dezember einige Balinger Gemeinderäte aufgeschreckt. Nach kurzer Recherche fanden sie heraus, dass der Infizierte, dessen Kontakt die App wohl aufgezeichnet hatte, gemeinsam mit ihnen an zwei Sitzungen am 1. und 2. Dezember teilgenommen hatte. Dass die Verwaltung den Vorfall nicht offen, zum Schutz des Betroffenen wenigstens aber anonymisiert, kommuniziert hatte, stieß einigen sauer auf.
Balingens Oberbürgermeister Helmut Reitemann bestätigt auf Nachfrage die Teilnahme eines infizierten Mitarbeiters an beiden fraglichen Sitzungen, „die unter Einhaltung der Coronaregeln stattgefunden haben“. Diese sehen Mindestabstand und das Tragen einer Maske vor, wenn man sich im Sitzungssaal bewegt. „Weder der betreffende Mitarbeiter noch wir als Arbeitgeber wussten zu diesem Zeitpunkt von einer möglichen Infektion, da beim Mitarbeiter keine Symptome auftraten.“Am Freitag, 4. Dezember, sei der Mitarbeiter vom Gesundheitsamt darüber informiert worden, dass er selbst engen Kontakt zu einem Infizierten gehabt habe, also ein sogenannter K1-Kontakt ist. Er habe sich am Tag drauf testen lassen. Davon habe die Verwaltung am Montag, 7. Dezember erfahren. Der Mitarbeiter befand sich in Quarantäne. Einen Tag später, am 8. Dezember, sei die Verwaltung darüber informiert worden, dass der Corona-Test positiv ausgefallen war.
„Da ich selbst nach den genannten Sitzungen noch Kontakt mit dem Mitarbeiter hatte, habe ich unmittelbar nach Bekanntwerden des positiven Testergebnisses einen Schnelltest durchgeführt, der negativ ausgefallen ist“, schreibt Reitemann.
Der Mitarbeiter habe auf Anfrage dem Gesundheitsamt alle Kontakte seit seinem eigenen K1-Kontakt mitgeteilt, darunter auch seine Teilnahme an den Sitzungen. „Das Gesundheitsamt hat unserem Mitarbeiter gegenüber die Sitzungsteilnahmen nicht als sogenannte K1-Kontakte gewertet, weshalb wir auch keine weiteren Schritte veranlasst haben“, erklärt der OB.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Hahn erklärt, er habe am Donnerstag in der Kürze der Zeit versucht, seine Fraktionskollegen zu erreichen. „Alle, die ich erreichen konnte, haben mir bestätigt, dass seitens der Verwaltung ausreichend informiert wurde.“Bis zu seinen Ratskollegen scheint diese Information indes nicht durchgedrungen zu sein.
Erwin Feucht (Grüne) gab sich bei einem kurzen Telefonat zurückhaltend: Er habe von dem Vorfall nichts mitbekommen und könne daher auch keine Stellungnahme abgeben. Seine Fraktionskollegin Sevgi TuranRosteck wusste eigenen Angaben zufolge ebenso wenig von dem Vorfall. SPD-Rat Ulrich Teufel habe zwar von den roten Warn-Apps einiger Kollegen gehört, dass die Stadtverwaltung einen Coronafall in ihren eigenen Reihen nicht dem Gemeinderat kommuniziert hätte, habe er jedoch erst einem Zeitungsbericht entnommen. „Ich gehe davon aus, dass die Verwaltungsspitze jetzt ausreichend sensibilisiert ist und entsprechende Vorsicht walten lässt, nachdem die Betroffenen dies moniert haben“, schreibt Teufel. Die übrigen Fraktionen äußerten sich bis Redaktionsschluss nicht.
Offenbar war die Infektion zumindest im nichtöffentlichen Teil der Sitzung des Gemeinderats am 15. Dezember durchaus ein Thema. So bestätigt es zumindest Klaus Hahn: „Zudem wurde auch in der Sitzung des Gemeinderats im Dezember hierüber gesprochen.“Aktuell seien für ihn und seine Fraktion „keine Fragen offen“. Offenkundig hatten einige Räte den Vorsitzenden in dieser Dezember-Sitzung
von sich aus auf die Warnung in der App angesprochen und nachgefragt, warum sie über den Vorfall nicht informiert worden waren.
Das Tübinger Regierungspräsidium sieht als zuständige Kommunalaufsichtsbehörde jedenfalls kein Fehlverhalten des Oberbürgermeisters. „Die Sitzungen des Gemeinderats und seiner Ausschüsse finden regelmäßig in der Stadthalle in Balingen statt. Dort besteht ein Platzangebot, das die Einhaltung der CoronaVorschriften ohne Weiteres zulässt. Der betroffene Mitarbeiter befand sich bei den genannten Sitzungen in einem ausreichenden Sicherheitsabstand zu den Mitgliedern des tagenden Ausschusses“, schreibt Karin Rochner, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums.
„Der erkrankte Mitarbeiter hat dem zuständigen Gesundheitsamt seine Teilnahme an den Sitzungen Anfang Dezember mitgeteilt“, so Rochner weiter. „Die geschilderten räumlichen Verhältnisse in der Stadthalle hat das Gesundheitsamt dazu veranlasst, die Sitzungsteilnehmer nicht als sogenannten K1-Kontakte zu identifizieren.“