Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
So klimaschädlich sind Fernsehen und Streaming
Eine Studie des Umweltbundesamtes kommt zu einem überraschenden Ergebnis
- Die Restaurants und Kneipen sind zu, Sport im Verein und Besuche bei Freunden fallen flach: In Zeiten von Lockdown und Ausgangssperre bleiben die Menschen abends notgedrungen zu Hause. Um der Langeweile zu entkommen, flüchten sich viele in die fiktive Welt der Serien und Filme.
Das führte 2020 zu einem Boom sowohl beim linearen Fernsehen als auch beim Streaming, dem Abruf von Videos aus dem Internet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). So schalteten im Vorjahr 72 Prozent der über 13-Jährigen jeden Tag den Fernseher ein. Das waren 3,1 Prozent mehr als 2019.
Zudem sahen die Menschen auch länger fern, im Schnitt drei Stunden und 40 Minuten pro Tag, was einem Anstieg von zehn Minuten gegenüber dem Vorjahr entspricht.
Auch Streaming hat 2020 deutlich zugelegt: Im Vergleich zu 2019 stieg die Reichweite derjenigen, die Filme und Serien aus dem Internet abriefen, um knapp ein Drittel. Auch die Sehdauer legte zu. So hielten sich Zuschauer 2020 im Schnitt drei Minuten länger mit den Streaming-Angeboten auf als noch im Vorjahr.
Zuschauer über 50 nutzen dabei vor allem die Mediatheken von ARD und ZDF, wie eine zweite Studie der GfK herausgefunden hat. Bei unter 30-Jährigen sei das deutlich seltener der Fall, auch wenn sie am häufigsten Streaming-Dienste nutzen. Allerdings bevorzugen sie amerikanische Angebote gegenüber deutschen wie Netflix, Amazon Prime und Disney+. Laut der Studie greifen 82 Prozent der Befragten einmal pro Monat auf ein Streaming-Abo bei diesen oder anderen Anbietern zurück. Über alle Altersklassen hinweg streamen bereits 54 Prozent.
Bei all dem Enthusiasmus für das bewegte Bild rückt eine Sache oft in den Hintergrund: der Klimaschutz. Sowohl beim Fernsehen als auch Streamen wird CO2 freigesetzt.
Wie viel, das hängt von mehreren Faktoren ab. In einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) wurde diese nun erstmals für das Streaming untersucht, dabei wurden die Treibhausgas-Emissionen konkret gemessen. Bisher habe man nur mit Rechenmodellen und Annahmen gearbeitet und sei zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. „Die Datenlage zur Klimawirkung digitaler Infrastruktur war mehr als dürftig“, sagt Bundesumweltministerin Svenja Schulze.
Gemessen haben die Forscher deshalb nun den CO2-Ausstoß in einem Rechenzentrum. In Rechenzentren stehen die Server, auf denen sich die Filme und Serien der StreamingDienste befinden.
Zum Arbeiten benötigen die Server Strom und müssen gleichzeitig von Klimaanlagen heruntergekühlt werden, damit sie nicht überhitzen. Dies setzt CO2 frei.
Pro Stunde Videostreaming in HDQualität sind es mit 1,5 Gramm CO2 jedoch vergleichsweise wenig, wie die Forscher herausgefunden haben.
Laut Schulze kann dieser Wert je nach Art des Rechenzentrums jedoch erheblich schwanken. „Das Rechenzentrum, in dem die Energie am ineffizientesten genutzt wurde, emittiert zehnmal mehr CO2 als notwendig. Und der Grund ist, dass die Server dort zu gering ausgelastet waren, dass die Gebäudetechnik überdimensioniert ist. Und das ist wirklich Potenzial für den Klimaschutz“, sagt sie.
Auch bei der Art und Weise, wie die Serien und Filme auf die Endgeräte der Nutzer übertragen werden, gibt es zum Teil starke Unterschiede. Das sagt auch Jens Gröger, der die Studie für das UBA durchgeführt hat. So sei das Streamen über Glasfaser wesentlich sparsamer als das über ältere Mobilfunkstandards.
Wer zum Beispiel eine Stunde „Game of Thrones“in HD über einen Glasfaser-Anschluss streamt, emittiert nur zwei Gramm CO2 pro Stunde. Verbraucher mit Kupferkabel kommen auf das Doppelte. Das Streaming aus dem Mobilfunknetz setzt bei einer Datenübertragung mit 5G fünf Gramm CO2 pro Stunde frei, bei der Übertragung mit 4G 13 Gramm.
Am klimaschädlichsten ist das Streamen aus dem alten UMTS- oder 3G-Netz: Dann können 90 Gramm Kohlendioxid pro Stunde „Game of Thrones“in die Luft emittiert werden.
Nicht berücksichtigt wurde bei der Berechnung der Stromverbrauch des Endgeräts, wobei auch dieser laut Gröger eine Rolle spielt. So verbrauchen große Fernsehgeräte gleichermaßen beim Streaming und beim linearen Fernsehen über Antenne, Kabel oder Satellit viel Energie.
So kann eine Stunde lineares Fernsehen, je nach Art und Größe des Geräts, zwischen 50 und 200 Gramm CO2 emittieren, wie das Verbraucherportal Stromauskunft mitteilt.
Schulze will auf die Ergebnisse der Studie reagieren. Zum einen fordert sie mehr Transparenz vonseiten der Rechenzentren. „Ich will, dass für Rechenzentren
ein verbindlicher Energieausweis eingeführt wird, der eben Auskunft gibt über Energieverbrauch und Leistungsfähigkeit“, sagt sie.
Ferner will sie das Glasfasernetz in Deutschland ausbauen lassen. Ziel sei eine flächendeckende Verfügbarkeit bis 2025. Ob das allerdings realistisch ist, ist angesichts der Tatsache, dass 2020 nur rund zwölf Prozent der Haushalte an das Glasfasernetz angeschlossen waren, fragwürdig.
Jens Gröger kennt noch andere Tipps, mit denen Verbraucher ihren CO2-Ausstoß beim Fernsehen und
Streamen selbst senken können. Neben der Nutzung von LAN oder WLAN statt Mobilfunk helfe auch eine geringere Bildschirmauflösung, sagt er. Wer zum Beispiel eine Stunde Videos in HD statt in Ultra-HD am Fernseher schaut, verbraucht 700 Megabyte statt sieben Gigabyte – also etwa nur ein Zehntel des Datenvolumens.
Weiterhin könne man das automatische Abspielen von Videos standardmäßig ausschalten, um den Datenverbrauch zu reduzieren. „Ansonsten lädt Streaming zum Dauerkonsum ein“, warnt Gröger. Auch könnten Nutzer zu einem klimafreundlichen Telekommunikationsanbieter wechseln. Allerdings geben die Anbieter derzeit noch keine Daten zu ihrem CO2-Fußbadruck heraus. Ebenso wenig tun dies die Streaming-Dienste Amazon Prime und Netflix.
Gröger vermutet, dass sie zum Teil noch keine eigenen Daten über ihren Energieverbrauch und Umwelteinfluss besitzen. „Bei den Betreibern gibt es noch einen großen Nachholbedarf, was Umweltbewusstsein, Energiemonitoring und Transparenz gegenüber ihren Kunden angeht.“