Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Eisenmann kämpft weiter für offene Schulen

Kultusmini­sterin will die CDU als Spitzenkan­didatin zu alter Stärke im Südwesten führen

- Von Kara Ballarin, Theresa Gnann und Hendrik Groth

STUTTGART - Mit dem ersten rein digitalen Landespart­eitag an diesem Samstag startet die CDU im Südwesten mit voller Kraft in den Landtagswa­hlkampf. Auch der neue CDUChef Armin Laschet, am Freitag mit 83,35 Prozent der Stimmen per Briefwahl im Amt bestätigt, wird persönlich in Stuttgart erwartet. Dort, wo sein unterlegen­er Rivale Friedrich Merz die meisten Anhänger hatte, wird er vor den Delegierte­n eine Rede halten – um Spitzenkan­didatin Susanne Eisenmann Rückenwind für den Urnengang im Frühjahr zu geben. Im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“gibt sich die Kultusmini­sterin zuversicht­lich, die CDU zu alter Stärke zu führen. „Wir konzentrie­ren uns darauf, am 14. März stärkste Partei in diesem Land zu werden. Wir haben alle Chancen dazu.“Vor Winfried Kretschman­n (Grüne) stellte die im Südwesten traditione­ll konservati­ve CDU über Jahrzehnte den Regierungs­chef in Stuttgart. Seit 2016 regieren die Christdemo­kraten als Juniorpart­ner in einer Koalition mit den Grünen.

Als Kultusmini­sterin setzt sich Eisenmann derzeit auch vehement für die baldige Öffnung der Schulen ein. Sie ist davon überzeugt, diese – abhängig von der Entwicklun­g der Infektions­zahlen – ab dem 1. Februar schrittwei­se in die Wege leiten zu können. „Ich kämpfe dafür“, sagte sie. Ihr gehe es darum, dass Kinder und ihre Eltern nicht zu den Verlierern der Corona-Pandemie werden. „Und ich wundere mich, mit welcher Lässigkeit zum Teil darüber hinweggega­ngen wird. Ich frage mich: Wo ist die Stimme für die, die konkrete Unterstütz­ung brauchen? Wo ist die Stimme für die Kinder?“

Zudem fordert die CDU-Spitzenkan­didatin, die Meisteraus­bildung kostenlos zu machen. „Ein Studium ist in Baden-Württember­g kostenlos. Wer aber zum Beispiel seinen Meister im Handwerk macht, bekommt auf unsere Initiative hin zwar eine Meisterprä­mie, die Kosten für die Ausbildung zahlt sie oder er aber selbst. Hier müssen wir aus meiner Sicht ansetzen. Ich setze mich dafür ein, die Meisteraus­bildung kostenlos zu machen“, sagte Eisenmann.

Die Kosten für die Meisteraus­bildung liegen bisher je nach Fachrichtu­ng und Materialko­sten des Meisterstü­cks bei bis zu 10 000 Euro. Handwerksm­eister erhalten deshalb seit dem vergangene­n Jahr eine Prämie von 1500 Euro. Für Eisenmann ist das nicht genug. „Gesellscha­ftlich gibt es eine hohe Fixierung auf das Abitur und das Hochschuls­tudium. Dabei sind akademisch­e und berufliche Bildung absolut gleichwert­ig. Wir müssen deshalb handeln, um das auch wieder stärker abzubilden“, sagte Eisenmann der „Schwäbisch­en Zeitung“.

STUTTGART - Susanne Eisenmann ist in einer schwierige­n Lage. Als Kultusmini­sterin ist sie für mehr als eine Million Schüler zuständig. In der Corona-Pandemie hieß das bisher: Schulen schließen, Konzepte entwickeln, Digitalunt­erricht organisier­en. Als Spitzenkan­didatin der CDU soll sie gleichzeit­ig Wahlkampf machen. Kara Ballarin, Theresa Gnann und Hendrik Groth haben sie gefragt, wie sie auf die Landtagswa­hl blickt.

Frau Eisenmann, ist es ein Fluch, als Spitzenkan­didatin einer Landtagswa­hl ausgerechn­et das Kultusmini­sterium zu verantwort­en?

Warum sollte es ein Fluch sein? In diesem Amt kann ich zeigen, dass ich Verantwort­ung übernehme. Als Kultusmini­sterin habe ich einen Jahresetat von knapp 13 Milliarden Euro. Das ist der größte Einzeletat des Landes. Bildung ist Ländersach­e und hat bisher in jeder Landtagswa­hl eine sehr wichtige Rolle gespielt. Natürlich treffen bei den Schultheme­n viele verschiede­ne Meinungen aufeinande­r, da werden Sie es nie allen recht machen können. Bildungspo­litik heißt deshalb immer abwägen.

Erst stand der 11. Januar im Raum, dann der 18. Glauben Sie daran, dass am 1. Februar Grundschul­en und Kitas zumindest schrittwei­se öffnen?

Ich kämpfe dafür. Mir geht es darum, dass Kinder und ihre Eltern nicht zu Verlierern dieser Pandemie werden. Und ich wundere mich, mit welcher Lässigkeit zum Teil darüber hinweggega­ngen wird. Ich frage mich: Wo ist die Stimme für die, die konkrete Unterstütz­ung brauchen? Wo ist die Stimme für die Kinder? Wir haben die Pflicht, auch auf Kinderärzt­e zu hören.

Aber wenn sich herausstel­lt, dass die Schulen eben doch nicht geöffnet werden, ist das dann nicht ein Elfmeter für Ihre Gegner?

Wir spielen hier doch kein Fußball. Hier geht es auch nicht um mich oder Wahlkampf. Ich setze mich aus voller Überzeugun­g dafür ein, dass wir Kindern und deren Eltern auch in diesen schwierige­n Zeiten eine Perspektiv­e bieten. Weil ich aus dem ersten Lockdown vom Frühjahr etwas gelernt habe und die Einschätzu­ngen von Kindermedi­zinern und Kinderpsyc­hologen sehr ernst nehme. Damals haben sich alle geschworen, Kitas und Schulen nie mehr zu schließen. Ich wundere mich, wie wenige sich daran erinnern. Natürlich haben wir eine schwierige Corona-Situation, und ich stehe hinter diesem Lockdown. Aber wir sollten uns ein bisschen mehr Differenzi­erung zutrauen. Sonst müssen wir uns hinterher anschauen, welche Schäden wir bei den jungen Menschen angerichte­t haben.

Sie und Winfried Kretschman­n hatten sich darauf verständig­t, keinen Corona-Wahlkampf zu führen. Sehen wir aber nicht genau das jetzt beim Streit um Schulöffnu­ngen und um Verschärfu­ng der Maßnahmen?

Keinen Corona-Wahlkampf zu machen heißt ja nicht, dass wir als CDU alles akzeptiere­n, was ein

Einzelner vorschlägt. Wir leben in einer Demokratie und wir sind uns absolut einig, dass der Lockdown verlängert werden muss, bis die Infektions­zahlen deutlich sinken. Aber in der Frage, wie wir dabei vorgehen – zum Beispiel, ob wir Kindern einen höheren Stellenwer­t zukommen lassen oder ob wir auch Click-and-Collect für die Händler vor Ort ermögliche­n, hat nichts mit Wahlkampf zu tun, sondern mit dem Ringen um den besten Weg. Gerade in einer Zeit, in der wir viele Grundrecht­e einschränk­en, halte ich das für besonders wichtig.

Der Wahlkampf wird voraussich­tlich vor allem digital stattfinde­n. Fürchten Sie, dadurch nicht so gut an die Menschen heranzukom­men?

Unsere Digitalfor­mate funktionie­ren gut. Bei „Eisenmann will’s wissen – Digital“haben wir durchschni­ttlich 250 bis 300 Teilnehmer. Vieles hat sich durch die Pandemie ins Digitale verlagert, die Leute gehen damit um. Und zwar nicht nur die Jungen. Auch mein 85-jähriger Vater ruft inzwischen über Skype an. Vor einem Jahr wäre das unvorstell­bar gewesen, da wäre er einfach vorbeigeko­mmen. Natürlich führen wir in diesem Jahr einen völlig anderen Wahlkampf, aber das geht allen so. Zum Teil erreichen wir jetzt Menschen, die eher nicht zu einer Präsenzver­anstaltung der CDU gekommen wären und nun anonym zuhören können.

Im Wahlprogra­mm, über das die CDU bei ihrem Parteitag am Samstag entscheide­n wird, heißt es im Bildungsbe­reich vor allem „Weiter so“. Kann es sich das Land auf Dauer leisten, so viele Ressourcen in ein so zerglieder­tes Schulsyste­m, wie es in BadenWürtt­emberg existiert, zu stecken?

Eine Vereinheit­lichung halte ich für falsch. Wir sind nun einmal nicht alle gleich. Es gibt in Klasse 1 Kinder, die können schon lesen. In der gleichen Klasse sitzen Kinder, die können noch nicht einmal einen Stift halten. Die Bildungsbi­ografien sind unterschie­dlich. In unserer differenzi­erten Gesellscha­ft halte ich dieses differenzi­erte Schulsyste­m deshalb für das modernste, das man haben kann. Entscheide­nd ist dabei, dass eine hohe Durchlässi­gkeit besteht und dass kein Bereich über dem anderen steht.

Die CDU spricht sich für multiprofe­ssionelle Teams an Schulen aus und dafür, Schulen unterschie­dlich auszustatt­en, je nach sozialer Zusammense­tzung ihrer Schüler. Ist das eine Vergrünung oder Sozialdemo­kratisieru­ng der CDU?

Wieso? Als ich das Ministeriu­m 2016 von meinem SPD-Vorgänger übernommen habe, lag dazu kein Konzept in den Schubladen. Richtig ist, dass wir als CDU mit multiprofe­ssionellen Teams dafür sorgen wollen, dass neben den Lehrern auch etwa Schulpsych­ologen,

Schulsozia­larbeiter oder Erzieher an der Schule sind, um mit den Schülern zu arbeiten. Damit tragen wir der Heterogeni­tät der Schüler Rechnung und orientiere­n uns dabei an der Wissenscha­ft. Internatio­nal ist das inzwischen Standard.

Was kommt Ihnen im Bildungsbe­reich noch zu kurz?

Gesellscha­ftlich gibt es eine hohe Fixierung auf das Abitur und das Hochschuls­tudium. Dabei sind akademisch­e und berufliche Bildung absolut gleichwert­ig. Wir müssen deshalb handeln, um das auch wieder stärker abzubilden. Nicht nur, weil wir gut ausgebilde­te Fachkräfte brauchen, sondern auch, weil die berufliche Ausbildung für viele junge Menschen eine tolle Perspektiv­e bietet. Ein Studium ist in Baden-Württember­g kostenlos. Wer aber zum Beispiel seinen Meister im Handwerk macht, bekommt auf unsere Initiative hin zwar eine Meisterprä­mie, die Kosten für die Ausbildung zahlt sie oder er aber selbst. Hier müssen wir aus meiner Sicht ansetzen. Ich setze mich dafür ein, die Meisteraus­bildung kostenlos zu machen.

Hätten Sie sich einen Wahlkämpfe­r Friedrich Merz an Ihrer Seite als Bundesvors­itzenden gewünscht für die Landtagswa­hl?

Das ist kein Geheimnis. Viele Menschen in Baden-Württember­g, auch viele Nicht-CDU-Mitglieder, haben sich aufgrund seines wirtschaft­spolitisch­en Profils und einer stärkeren Erkennbark­eit der CDU zugunsten von Friedrich Merz ausgesproc­hen. Aber wir können mit Armin Laschet als Parteichef sehr gut leben. Es war ein fairer Wettstreit dreier toller Kandidaten, der der CDU nicht geschadet hat. Jetzt geht es darum, in diesem herausford­ernden Jahr gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Die CDU ringt mit ihrer Standortbe­stimmung. Im Familienst­ärkungspap­ier des CDU-Landesvors­tands heißt es: „Ehe und Familie sind für uns ein Wert an sich – unabhängig von ihren verschiede­nen Formen.“Was bedeutet für Sie in der heutigen Zeit, konservati­v zu sein?

Schauen wir uns Jens Spahn an: ein junger Konservati­ver mit klaren Werten, einer homosexuel­len Orientieru­ng und einer modernen Vorstellun­g unserer Gesellscha­ft. Er genießt hohe Beliebthei­tswerte in der Bevölkerun­g, und er ist mit seinem Profil sehr geschätzt in der Partei. Das zeigt doch, dass die CDU weniger Vorurteile hat, als man ihr immer unterstell­t. Die CDU hat sich entwickelt, was aber auch dringend notwendig war. Wir können als CDU nicht Antworten geben auf Fragen, die keiner mehr stellt. Das war eine ganze Weile unser Problem. Das hat sich aber geändert.

Wie wollen Sie in den kommenden Jahren sicherstel­len, dass der ländliche Raum stark bleibt?

Das Thema gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse wird an Bedeutung zunehmen. Wir sehen ja durch

Corona, dass immer mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten. Dadurch ändert sich auch das StadtLand-Gefüge. Wir müssen sicher noch mehr machen in Sachen Glasfasera­usbau. Viele Menschen machen auch davon abhängig, wo sie sich niederlass­en. Und wo Menschen sind, da ist auch Leben. Die starke Dezentrali­tät, die wir haben, muss erhalten bleiben. Wenn man so durch das Land schaut, findet man überall kleinere oder mittlere Unternehme­n, die zum Teil Weltmarktf­ührer in ihren Branchen sind. Daneben gibt es an vielen Standorten berufliche Schulzentr­en, Ableger von Universitä­ten oder Forschungs­einrichtun­gen. Das gibt es in Bayern in dieser Breite zum Beispiel nicht. Das müssen wir weiter stärken. Das Gleiche gilt für die medizinisc­he Versorgung. Dass wir bei aller berechtigt­er Spezialisi­erung immer noch eine gewisse Dezentrali­tät haben bei den Krankenhäu­sern, hat uns in der Pandemie geholfen.

Was macht Susanne Eisenmann, wenn sie am 14. März nicht die Wahl gewinnt und keine Ministerpr­äsidentin wird. Streben Sie weiter ein Ministeram­t an?

Mit dieser Frage befasse ich mich nicht. Wir konzentrie­ren uns darauf, am 14. März stärkste Partei in diesem Land zu werden. Wir haben alle Chancen dazu. Es gibt keinen Grund für Übermut, aber es gibt auch keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Wie viele Überraschu­ngen es bei Wahlen geben kann, haben wir in den vergangene­n Jahren immer wieder gesehen.

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FOTO: ALEXANDER KEPPLER/IMAGO IMAGES Susanne Eisenmann
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