Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kunst in der Krise
Josef Alexander Henselmann sieht den Umgang mit Kultur kritisch, erkennt aber auch Chancen
KRAUCHENWIES - „Noch so ein Jahr, dann wird es brenzlig“, sagt Josef Alexander Henselmann. In den Augen des Künstlers, der zwischen seinen Ateliers in München und Krauchenwies pendelt, wird während der Corona-Pandemie „zu flapsig mit Kunst und Kultur umgegangen“– und dennoch könnte sich in der Krise auch eine Chance verbergen.
„Ich bin bei der Arbeit generell viel alleine und konnte während der vergangenen Monate viele Aufträge abarbeiten. Corona war diesbezüglich nicht das vorherrschende Thema“, sagt der 57-Jährige, der unter anderem mit der Renovierung der Sigmaringendorfer Kirche St. Peter und Paul betraut war. „Ich nenne die momentane Situation gerne SpitzwegZeit. Ich arbeite vor mich hin und lade die Batterien wieder auf. Aber das geht nicht ewig gut“, so Henselmann. Es fehle etwas. Zum einen Ausstellungen, um neue Kunden und Aufträge zu gewinnen und andererseits auch der Einfluss von anderen Menschen und der Austausch mit selbigen.
Mit der Zeit, so Henselmann, habe die Pandemie auch ihren Weg in sein künstlerisches Schaffen gefunden. Explizit habe er sich mit der Einsamkeit von alten Menschen beschäftigt und mit der Einsamkeit in der Menge, so der Künstler, dem es dabei um „die Wechselwirkung von Distanz und Nähe“gehe. Während Henselmann das Thema Distanz in seine Arbeit einfließen lässt, hat seine Lebensgefährtin Christina Haubs an anderer Stelle mit dem Thema zu tun. Sie ist Galeristin und sagt: „Bei uns ist das mit dem Prinzip von Click und Collect eher schwierig.“Vom Sofa aus Kunst betrachten, sie kaufen und anschließend abholen – gerade bei Skulpturen (wie auch Henselmann sie macht) meistens kein praktikabler Weg.
Wie so oft, macht die Not auch in der Kunst erfinderisch. Haubs und Henselmann schwärmen von einer Ausstellung vergangenen Sommer in
Bingen am Rhein, die statt in einer Galerie in einem Garten stattgefunden habe. „Ohne Corona-Krise wäre man womöglich nie auf die Idee gekommen“, so Haubs. „Jetzt, da viele Leute daheim bleiben, trägt die Krise vielleicht auch dazu bei, dass Menschen wieder mehr Geld ausgeben, um ihr Zuhause zu gestalten“, meint Henselmann.
Doch ein schönes Zuhause ersetzt nicht Kunst und Kultur außerhalb des heimischen Wohnzimmers. „Mir kommt es immer wieder so vor, als sei Kunst nicht systemrelevant. Das liegt auch daran, dass sie momentan vernachlässigt wird“, so Henselmann, der ergänzt: „Dabei geht es vordergründig nicht nur ums Geld, sondern auch um eine Öffentlichkeit, die Kunstschaffenden fehlt. Und schlussendlich auch um die Konsumenten, die mehr und mehr frustrierter sind“, so Henselmann, der sich wünscht, dass bei den Debatten und Verordnungen auch ein Blick über den Tellerrand hinaus geworfen wird. Denn gerade „fällt die Kultur hinten runter“.