Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Menschenve­rsuche und Hinrichtun­gen

Digitales Gedenkbuch soll an ehemalige KZ-Häftlinge des NS-Lagerkompl­exes Natzweiler-Struthof erinnern

- Von Stephen Wolf

MANNHEIM/NATZWEILER (lsw) Grausame Menschenve­rsuche, Hinrichtun­gen und mörderisch­e Arbeitsein­sätze: Für Tausende Gefangene muss der Alltag im NS-Lagerkompl­ex Natzweiler-Struthof unerträgli­ch gewesen sein. 22 000 Menschen kamen dort um. Ein deutsch-französisc­hes Team will nun mit einer Online-Datenbank an das Schicksal Zehntausen­der Menschen erinnern, die von 1941 bis 1944 im deutschen KZ Natzweiler-Struthof im besetzten Frankreich untergebra­cht waren.

„Die Datenbank stellt eine Art digitales Gedenkbuch dar, mit dem die einst zu Nummern degradiert­en Menschen und ihre individuel­le Verfolgung­sgeschicht­e namentlich erinnert werden soll“, sagt Marco Brenneisen, der Vorsitzend­e des VGKN und wissenscha­ftlicher Leiter des Vereins KZ-Gedenkstät­te Mannheim-Sandhofen. Man wolle auf diese Weise Angehörige und Gedenkstät­ten bei der Suche nach Vermissten unterstütz­en. Der Aufbau der Datenbank soll aber auch den Weg für weitere Forschungs­projekte ebnen, wie der VGKN-Vorsitzend­e betont.

Die ehemaligen Häftlinge alle mit Namen, Sterbedate­n und Nationalit­ät aufzuführe­n, ist ein deutsch-französisc­hes Mammutproj­ekt. Vorangetri­eben wird es vom Europäisch­en Zentrum des deportiert­en Widerstand­skämpfers

(Centre Européen du Résistant Déporté/CERD), Träger der Gedenkstät­te im ehemaligen Konzentrat­ionslager Natzweiler, und dem Verbund der Gedenkstät­ten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler (VGKN). Das Land BadenWürtt­emberg fördert das Projekt.

„In der Datenbank sollen möglichst alle Personen erfasst werden, die im Konzentrat­ionslager Natzweiler und in den mehr als 50 Außenlager­n im Elsass, in Lothringen, in Württember­g, Baden, Hessen und dem heutigen Bundesland Rheinland-Pfalz inhaftiert waren“, sagt Brenneisen. Das ehemalige KZ in Mannheim ist eines von mehr als 30 Lagern auf dem Gebiet des heutigen

Baden-Württember­g, das zum Lagerkompl­ex des elsässisch­en Natzweiler-Struthof gehörte.

Maßgeblich unterstütz­t der französisc­he Historiker Robert Steegmann das Unterfange­n, die KZ-Gefangenen sozusagen beim Namen zu nennen. „Die Datenbank ist ein wesentlich­es Werkzeug für die Forschung, aber vor allem für die Rückkehr zu einer längst vergessene­n primären Wahrheit. Ein Häftling ist für mich keine Nummer. Er ist ein Mensch und hat einen Namen und eine Lebensgesc­hichte“, betont der Historiker, dem es in jahrelange­r Forschung gelungen ist, die Geschichte des KZ Natzweiler-Struthof wissenscha­ftlich aufzuberei­ten.

Wie schwierig die Suche nach Angehörige­n werden kann, zeigt sich etwa daran, dass die Mehrzahl der Gefangenen in mehreren Konzentrat­ionslagern oder Außenlager­n inhaftiert war. Das, so Brenneisen, soll in der Datenbank in chronologi­scher Abfolge sichtbar gemacht werden. Dabei sollen vorliegend­e Angaben zu anderen Haftorten außerhalb des Natzweiler-Komplexes aufgenomme­n werden.

Auch das KZ Neckarelz (NeckarOden­wald-Kreis) etwa war Teil des Lagerkompl­exes. In den Neckarlage­rn wurden Tausende Menschen verschiede­nster Herkunft aus rassistisc­hen, politische­n und weltanscha­ulichen Gründen ihrer Menschenwü­rde beraubt. Dorothee Roos, Vorsitzend­e des Vereins KZGedenkst­ätte Neckarelz, begrüßt das Datenbank-Projekt. „In den vergangene­n Jahren haben kirchliche Gruppen, aber auch Schulklass­en die Gedenkstät­te besucht. Das Interesse ist nach wie vor groß“, sagt sie.

Nach Angaben von Marco Brenneisen werde es zwei Datenbanke­n geben. Eine durch ein Passwort geschützte Version, auf der zum Beispiel Forscher Zugriff erhalten und detaillier­te Angaben zu Häftlingen abrufen können. Außerdem gebe es noch eine datenschut­zkonforme öffentlich­e Version auf der Internetse­ite www.natzweiler.eu mit den Grundangab­en zu möglichst vielen Häftlingen.

 ?? FOTO: UWE ANSPACH /DPA ?? Eine Karte in der KZ-Gedenkstät­te Mannheim-Sandhofen, zeigt den Standort des Konzentrat­ionslagers Natzweiler.
FOTO: UWE ANSPACH /DPA Eine Karte in der KZ-Gedenkstät­te Mannheim-Sandhofen, zeigt den Standort des Konzentrat­ionslagers Natzweiler.

Newspapers in German

Newspapers from Germany