Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Menschenversuche und Hinrichtungen
Digitales Gedenkbuch soll an ehemalige KZ-Häftlinge des NS-Lagerkomplexes Natzweiler-Struthof erinnern
MANNHEIM/NATZWEILER (lsw) Grausame Menschenversuche, Hinrichtungen und mörderische Arbeitseinsätze: Für Tausende Gefangene muss der Alltag im NS-Lagerkomplex Natzweiler-Struthof unerträglich gewesen sein. 22 000 Menschen kamen dort um. Ein deutsch-französisches Team will nun mit einer Online-Datenbank an das Schicksal Zehntausender Menschen erinnern, die von 1941 bis 1944 im deutschen KZ Natzweiler-Struthof im besetzten Frankreich untergebracht waren.
„Die Datenbank stellt eine Art digitales Gedenkbuch dar, mit dem die einst zu Nummern degradierten Menschen und ihre individuelle Verfolgungsgeschichte namentlich erinnert werden soll“, sagt Marco Brenneisen, der Vorsitzende des VGKN und wissenschaftlicher Leiter des Vereins KZ-Gedenkstätte Mannheim-Sandhofen. Man wolle auf diese Weise Angehörige und Gedenkstätten bei der Suche nach Vermissten unterstützen. Der Aufbau der Datenbank soll aber auch den Weg für weitere Forschungsprojekte ebnen, wie der VGKN-Vorsitzende betont.
Die ehemaligen Häftlinge alle mit Namen, Sterbedaten und Nationalität aufzuführen, ist ein deutsch-französisches Mammutprojekt. Vorangetrieben wird es vom Europäischen Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers
(Centre Européen du Résistant Déporté/CERD), Träger der Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Natzweiler, und dem Verbund der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler (VGKN). Das Land BadenWürttemberg fördert das Projekt.
„In der Datenbank sollen möglichst alle Personen erfasst werden, die im Konzentrationslager Natzweiler und in den mehr als 50 Außenlagern im Elsass, in Lothringen, in Württemberg, Baden, Hessen und dem heutigen Bundesland Rheinland-Pfalz inhaftiert waren“, sagt Brenneisen. Das ehemalige KZ in Mannheim ist eines von mehr als 30 Lagern auf dem Gebiet des heutigen
Baden-Württemberg, das zum Lagerkomplex des elsässischen Natzweiler-Struthof gehörte.
Maßgeblich unterstützt der französische Historiker Robert Steegmann das Unterfangen, die KZ-Gefangenen sozusagen beim Namen zu nennen. „Die Datenbank ist ein wesentliches Werkzeug für die Forschung, aber vor allem für die Rückkehr zu einer längst vergessenen primären Wahrheit. Ein Häftling ist für mich keine Nummer. Er ist ein Mensch und hat einen Namen und eine Lebensgeschichte“, betont der Historiker, dem es in jahrelanger Forschung gelungen ist, die Geschichte des KZ Natzweiler-Struthof wissenschaftlich aufzubereiten.
Wie schwierig die Suche nach Angehörigen werden kann, zeigt sich etwa daran, dass die Mehrzahl der Gefangenen in mehreren Konzentrationslagern oder Außenlagern inhaftiert war. Das, so Brenneisen, soll in der Datenbank in chronologischer Abfolge sichtbar gemacht werden. Dabei sollen vorliegende Angaben zu anderen Haftorten außerhalb des Natzweiler-Komplexes aufgenommen werden.
Auch das KZ Neckarelz (NeckarOdenwald-Kreis) etwa war Teil des Lagerkomplexes. In den Neckarlagern wurden Tausende Menschen verschiedenster Herkunft aus rassistischen, politischen und weltanschaulichen Gründen ihrer Menschenwürde beraubt. Dorothee Roos, Vorsitzende des Vereins KZGedenkstätte Neckarelz, begrüßt das Datenbank-Projekt. „In den vergangenen Jahren haben kirchliche Gruppen, aber auch Schulklassen die Gedenkstätte besucht. Das Interesse ist nach wie vor groß“, sagt sie.
Nach Angaben von Marco Brenneisen werde es zwei Datenbanken geben. Eine durch ein Passwort geschützte Version, auf der zum Beispiel Forscher Zugriff erhalten und detaillierte Angaben zu Häftlingen abrufen können. Außerdem gebe es noch eine datenschutzkonforme öffentliche Version auf der Internetseite www.natzweiler.eu mit den Grundangaben zu möglichst vielen Häftlingen.