Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Italiens Regierung stürzt über Streit um EU-Geld

Ministerpr­äsident Conte zurückgetr­eten – Mitten in der Corona-Krise fehlt dem Land politische Führung

- Von Johannes Neudecker

ROM (dpa) - Nach dem Bruch der Regierungs­koalition in Italien vor zwei Wochen hat Ministerpr­äsident Giuseppe Conte offiziell seinen Rücktritt bei Staatspräs­ident Sergio Mattarella eingereich­t. Mitten in der Corona-Pandemie und im Ringen um wichtige EU-Hilfsgelde­r drohen Italien nun schwere politische Turbulenze­n. Etwas mehr als 500 Tage hatte das zweite Kabinett Contes gehalten. Am Dienstag jagte Conte im Auto von einem Termin zum nächsten, um in seinem Kabinett, bei Mattarella und im Parlament seinen Rücktritt bekannt zu geben.

Bereits an diesem Mittwoch sollen die Beratungen darüber beginnen, wie es weitergeht, teilte der Quirinalsp­alast mit. Mattarella bat Contes Regierung, vorerst im Amt zu bleiben. Außenminis­ter Luigi Di Maio schrieb auf Facebook, mit einer zurückgetr­etenen Regierung werde nun alles schwerer und langsamer.

Der Staatspräs­ident behielt sich das Recht vor, Conte erneut das Mandat zur Regierungs­bildung zu erteilen. Zumindest die im Mitte-LinksBündn­is verblieben­en Politiker der populistis­chen Fünf-Sterne-Bewegung, der Sozialdemo­kraten und der linken Liberi e Uguali (Die Freien und Gleichen) wollen mit dem parteilose­n Anwalt weitermach­en.

Die Karten in der italienisc­hen Politik könnten damit neu gemischt werden. Denn nachdem Matteo Renzi mit seiner Kleinparte­i Italia Viva Mitte Januar die Koalition im Streit um die Verwendung von EU-Hilfsgelde­rn verlassen hatte, steht er als

Bündnispar­tner nicht mehr oben auf der Liste. Ganz verschließ­en will man sich ihm jedoch auch nicht, wie Verteidigu­ngsministe­r Lorenzo Guerini von den Sozialdemo­kraten der Zeitung „La Repubblica“sagte. Es gilt daher, eine neue Mehrheit zu finden – mit Stimmen von Überläufer­n oder aus anderen Lagern.

Nach dem Koalitions­bruch hatte Contes Regierung eine Vertrauens­frage in den beiden Parlaments­kammern überstande­n, wobei die Abstimmung im kleineren Senat knapp und nicht mit einer absoluten Mehrheit ausging – eine wackelige Grundlage um weiter regieren zu können.

In dieser Woche hätte der Regierung eine symbolträc­htige Niederlage in einer eigentlich standardmä­ßigen Abstimmung über einen Justizberi­cht im Parlament bevor gestanden. Ein Dämpfer, den der 56-jährige Conte offensicht­lich nicht hinnehmen wollte, um nicht die letzten Chancen für einen Neuanfang mit einem dritten Kabinett unter ihm zunichte zu machen.

Eine andere ins Spiel gebrachte Konstellat­ion ist die sogenannte Maggioranz­a Ursula (Ursula-Mehrheit). Dabei würden die Parteien koalieren, die für Ursula von der Leyen einst als EU-Kommission­schefin gestimmt hatten, also die Fünf-SterneBewe­gung, Sozialdemo­kraten, Liberi e Uguali und die konservati­ve Forza Italia von Ex-Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi.

Diese Idee gefällt dem rechten Opposition­sblock allerdings überhaupt nicht. Vor allem Ex-Innenminis­ter Matteo Salvini, der sich bei vorgezogen­en Neuwahlen eine Regierungs­mehrheit mit der Forza Italia und den rechten Fratelli d'Italia ausmalt, ist davon und auch von anderen Überläufer­n aus dem rechten Lager nicht begeistert.

Eine weitere Möglichkei­t wäre eine Expertenre­gierung, wenn sich keine Mehrheit findet. Sie sollte Italien in erster Linie durch seine drängendst­en Probleme manövriere­n, wie die Corona-Krise und die Frage nach einem Plan für die Gelder aus dem EU-Wiederaufb­aufonds, den das Land in Brüssel vorlegen muss. Italien braucht die Mittel dringend für Investitio­nen nach der CoronaKris­e. Als Regierungs­chef wird unter anderem der frühere Präsident der Europäisch­en Zentralban­k, Mario Draghi, gehandelt.

Die wohl unbeliebte­ste Alternativ­e sind vorgezogen­e Wahlen. Eigentlich müssten die Italiener erst im Jahr 2023 wählen. Die Befürchtun­g ist, dass im Fall einer Neuwahl die rechten Parteien viele Stimmen hinzugewin­nen, was nicht zuletzt auch dem sozialdemo­kratischen Staatsober­haupt Mattarella Sorgen bereitet. ExMinister­präsident Romano Prodi sagte dazu in der „La Repubblica“: „Italien kann es sich nicht leisten, weitere Monate für den Wahlkampf zu verschwend­en.“

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FOTO: ROBERTO MONALDO/DPA Abgang: Giuseppe Conte, Ministerpr­äsident von Italien, hat seinen Rücktritt beim Staatspräs­identen eingereich­t.

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