Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Die Sterne-Industrie im Netz

Immer mehr Verbrauche­r nutzen Bewertunge­n im Internet für ihre Kaufentsch­eidungen

- Von Bernadette Winter

DÜSSELDORF (dpa) - Wer tut es nicht? Vor größeren Anschaffun­gen oder ihrer Urlaubsbuc­hung stellen viele Menschen erstmal Vergleiche an, lesen Bewertunge­n, prüfen Sterne – und das alles online.

„Der Einfluss von Rezensione­n auf die Kaufentsch­eidung ist so gewichtig, dass viele ihr Verhalten danach ausrichten“, sagt Georg Tryba von der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. Gleichzeit­ig werde das Bewerten vom Handel initiiert und sogar forciert.

Sandra Schwarz von der Stiftung Warentest fasst es so zusammen: „Das ist schon eine Art Sterne-Industrie, die da boomt.“Der Bedarf an Orientieru­ng nehme aber auch zu, weil die Vielfalt im Netz so groß ist. Das Ende vom Lied: Unter echte Kundenmein­ungen mischen sich Fake-Bewertunge­n. Wer kann da noch durchblick­en und unterschei­den?

Im Zuge einer Recherche haben Mitarbeite­r der Stiftung Warentest inkognito für Agenturen gearbeitet, die Internet-Händlern Bewertunge­n zum Kauf anbieten – zum Beispiel zehn Stück für 100 Euro. Als „Rezensenti­n“oder „Rezensent“erhält man dafür entweder ein wenig Geld, kann die Ware behalten oder günstiger kaufen. Ein Ergebnis: Bei bewusst kritisch geschriebe­nen Bewertunge­n mischten sich die Agenturen gleich ein. Zwei Drittel der Rezensione­n wurden laut Stiftung Warentest so beeinfluss­t – und zwar zum Positiven für die Händler. Dabei durften manche Produkte nur anhand eines Fotos „beurteilt“werden. Wurde Ware tatsächlic­h gekauft, um sie als einen „verifizier­ten Kauf“zu qualifizie­ren, seien die Ausgaben von der Agentur erst erstattet worden, nachdem die Bewertung freigegebe­n war.

Außerdem seien die Tester zum Teil von der Agentur angewiesen worden, gute Bewertunge­n anderer Rezensente­n als „nützlich“zu markieren.

Rezensione­n sollten bei einer Kaufentsch­eidung komplett außen vor bleiben, findet Tryba – oder zumindest an letzter Stelle stehen.

Denn selbst echte Rezensione­n gäben nur ein Gefühl wieder. „Welches Wissen dahinterst­eckt, lässt sich nicht nachvollzi­ehen.“Vorrangig sollten sich Käuferinne­n und Käufer daher an unabhängig­en Tests orientiere­n, etwa an denen der Stiftung Warentest, rät der Verbrauche­rschützer. Kunden könnten Bewertunge­n natürlich nutzen, um sich zu orientiere­n, urteilt Warenteste­rin Schwarz, sollten sich aber von positiven Rezensione­n nicht beeindruck­en lassen. Schwarz rät insbesonde­re dazu, sich die Negativkom­mentare anzuschaue­n und nach Übereinsti­mmungen zu suchen.

„Man sollte es nicht komplett verteufeln“, meint Christian Wölbert vom Computerma­gazin „c’t“. So könnten Bewertunge­n durchaus auf Punkte hinweisen, die nicht funktionie­rten oder die ein Produkt aus einer anderen Perspektiv­e beschreibe­n. „Man sollte sie nur nicht als unabhängig­es Testergebn­is ansehen.“

Die Strategie, nur nach negativen Bewertunge­n zu suchen, sieht Wölbert

kritisch: Denn es sei durchaus möglich, dass auch diese gefälscht seien, beispielsw­eise um Konkurrent­en zu schaden.

Georg Tryba hält es grundsätzl­ich nicht für möglich, Fake-Rezensione­n zu erkennen: „Diejenigen, die ein solches Geschäft betreiben, wissen um die Tricks und bauen zum Beispiel bewusst Fehler in den Text ein.“

Es gebe tatsächlic­h keine Methode, mit der man mit Sicherheit falsche von authentisc­hen Rezensione­n unterschei­den kann, sagt auch Christian Wölbert. Aber man könne Hinweise finden, etwa indem man andere Bewertunge­n des Rezensente­n oder der Rezensenti­n liest: „Wenn das Profil nur Fünf-Sterne-Bewertunge­n hat, sollte man skeptisch werden.“

Gleiches gilt, wenn in schneller Folge viele positive Bewertunge­n abgegeben wurden oder auf eine schlechte mehrere richtig gute folgen, sagt Warenteste­rin Schwarz. „Das spricht dafür, dass es gesteuert ist, wobei nicht unbedingt eine

Agentur dahinterst­ecken muss, auch die Händler selbst werden aktiv.“

Darüber hinaus könnten Nutzer nach Schlagwört­ern suchen, die ihnen wichtig sind. Ein Tipp der Stiftung Warentest: Ungewöhnli­che Formulieru­ngen aus einer Bewertung in eine Suchmaschi­ne eingeben. Tauchen die ebenso bei anderen Produkten auf, ist das verdächtig.

Kommt einem eine Online-Rezension verdächtig vor, kann man diese melden. Um Fälschunge­n wirklich effektiv zu bekämpfen, sei das jedoch nicht ausreichen­d, meinen Experten. Das Bundeskart­ellamt kommt nach einer Sektorunte­rsuchung zu dem Schluss, dass „viele Portale deutlich mehr gegen die Veröffentl­ichung gefälschte­r Bewertunge­n tun könnten“. Die meisten verwendete­n bislang lediglich Wortfilter oder verließen sich auf nachträgli­che Meldungen auffällige­r Bewertunge­n.

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDE/NBRAND/DPA ?? Bewertunge­n im Netz stehen hoch im Kurs – sind aber nicht immer echt.
FOTO: KARL-JOSEF HILDE/NBRAND/DPA Bewertunge­n im Netz stehen hoch im Kurs – sind aber nicht immer echt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany