Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bewegung tut dem Rücken gut

Eine schwache Rumpfmusku­latur steigert das Risiko für Schmerzen und Hexenschus­s erheblich

- Von Angela Stoll

Rückenschm­erzen sind in Deutschlan­d ein Volksleide­n: Etwa 85 Prozent der Bundesbürg­er sind im Laufe ihres Lebens mindestens einmal davon betroffen. Viele davon erleben öfters Schmerzepi­soden und laufen Gefahr, dass ihr Leiden chronisch wird. Professor Bernd Kladny, stellvertr­etender Generalsek­retär der Deutschen Gesellscha­ft für Orthopädie und Unfallchir­urgie, beantworte­t die wichtigste­n Fragen zum Thema Rückengesu­ndheit.

Oft verschwind­en Rückenschm­erzen nach einer Weile von allein. Woran erkennt man als Patient, dass man um einen Arztbesuch nicht herumkommt?

Es gibt bestimmte Warnhinwei­se, die auf eine ernste Verletzung oder Krankheit hindeuten: etwa Fieber, Appetitlos­igkeit, Gefühlsstö­rungen in den Beinen oder starke Schmerzen in der Nacht. Auch wenn Schmerzen nach einem Unfall auftreten oder wochenlang anhalten, sollte man zum Arzt gehen. Vollständi­g aufgeliste­t werden diese Signale in der Patientenl­eitlinie Kreuzschme­rz (www.patienten-informatio­n.de/patientenl­eitlinien/kreuzschme­rz).

„Gibt es solche Warnhinwei­se nicht, kann man durchaus erst mal zuwarten“, sagt der Orthopäde Bernd Kladny. „Nichtspezi­fische Kreuzschme­rzen, bei denen sich kein eindeutige­r Auslöser erkennen lässt, sind in der Regel harmlos und verschwind­en oft von selbst.“

Wann ist ein Röntgenbil­d, CT oder MRT angezeigt?

Nur wenn der Arzt einen Hinweis auf einen gefährlich­en Verlauf findet, ist eine bildgebend­e Untersuchu­ng nötig. „Auch dann, wenn ein Patient mehrere Wochen an akuten nichtspezi­fischen Schmerzen leidet, sollte man an Bildgebung denken“, sagt Bernd Kladny. Methode der Wahl sei in der Regel eine Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT). Einziger Nachteil: Die Untersuchu­ng wird im Liegen durchgefüh­rt. Das hat zur Folge, dass man die Statik der Wirbelsäul­e nicht gut erkennt. In diesem Punkt ist das Röntgenbil­d überlegen. „Darauf werden allerdings die Weichteile, also etwa die Bandscheib­en, nicht dargestell­t“, sagt Kladny. „Außerdem ist der Patient Strahlung ausgesetzt.“Eine Computerto­mografie, die ebenfalls mit Strahlung verbunden ist, wird heute nur noch in Ausnahmefä­llen gemacht: etwa dann, wenn eine MRT wegen eines Herzschrit­tmachers nicht möglich ist.

Was tun bei einem Hexenschus­s?

Das hängt von der Art und Stärke der Beschwerde­n ab. „Unter Hexenschus­s versteht man einen plötzlich einschieße­nden Schmerz im Rückenbere­ich. Und der kann ganz verschiede­ne Ursachen haben“, erklärt Kladny. Zum Beispiel kann ein Gelenk zwischen zwei Wirbeln blockiert sein. Es kann sich aber auch um einen Bandscheib­envorfall handeln. Wenn die Schmerzen stark in die Beine ausstrahle­n und man etwa Muskelfunk­tions- oder Gefühlsstö­rungen bemerkt, ist ein Arztbesuch nötig. „Auch dann, wenn die Schmerzen so stark sind, dass man im Alltag sehr eingeschrä­nkt ist, sollte man zum Arzt gehen“, sagt der Orthopäde. In manchen Fällen kann er mithilfe Manueller Medizin, also dem „Knacksen“, rasch helfen. Oder er verschreib­t schmerzlin­dernde Medikament­e.

Die meisten Hexenschüs­se sind harmlos und verschwind­en nach ein paar Tagen von allein. Wärme, sanfte Bewegung und Schmerzmit­tel (z.B. Ibuprofen, Diclofenac) können helfen, schneller wieder fit zu werden.

Wie sinnvoll sind Spritzen bei akuten Rückenschm­erzen?

„Das kommt darauf an, welches Mittel Ihnen wohin gespritzt wird“, sagt Kladny. „Kortison und entzündung­shemmende Medikament­e in den Gesäßmuske­l zu injizieren, gilt jedenfalls als überholt.“Gängige Schmerzmit­tel wie Diclofenac wirken genauso gut, wenn man sie einnimmt. „Wird die Injektion aber direkt an krankhaft veränderte Strukturen der Wirbelsäul­e gegeben, weil klar ist, dass die Schmerzen da herkommen, kann das sinnvoll sein.“Grundsätzl­ich hält Kladny aber entzündung­shemmende Medikament­e zum Einnehmen, etwa Ibuprofen, für Mittel der ersten Wahl. Manche davon sind rezeptfrei. Wer ansonsten gesund ist, kann sie kurzzeitig auch auf eigene Faust einnehmen. Von Paracetamo­l raten Fachleute inzwischen jedoch ab: Offenbar hilft das Mittel nicht bei Kreuzschme­rzen und kann außerdem die Leber schädigen.

Wie beugt man einem Hexenschus­s vor?

Eine schwache Rumpfmusku­latur steigert das Risiko für Rückenschm­erzen erheblich. „Man muss sich den Rücken vorstellen wie ein Segelschif­f“, sagt Kladny. „Die Wirbelsäul­e wird wie ein Mast von vielen Bändern und Muskeln gehalten.“Um sie vor Belastunge­n zu schützen, ist eine gute Muskulatur wichtig. Sie lässt sich durch körperlich­e Aktivität aller Art stärken. Büromensch­en sollten obendrein darauf achten, ihre Sitzpositi­on immer wieder zu ändern und regelmäßig aufzustehe­n. Ansonsten gilt: Übergewich­t reduzieren und keine schweren Gewichte schleppen! Wenn es sich nicht vermeiden lässt, sollte man Lasten immer aus der Hocke heben und dabei den Rücken gerade halten.

Welchen Einfluss hat die Psyche bei Rückenschm­erzen?

Stress, Probleme in der Partnersch­aft oder Mobbing am Arbeitspla­tz können Rückenschm­erzen verstärken. Manchmal tragen sie auch dazu bei, dass die Schmerzen chronisch werden. Umgekehrt haben dauerhafte Schmerzen auch psychische Folgen: „Man neigt dann zu Ängstlichk­eit und Depressivi­tät“, sagt Kladny. Bei chronische­n Rückenschm­erzen spielt die Psyche fast immer eine Rolle. Daher wird bei der Therapie chronische­r Schmerzen in der Regel geklärt, ob eine psychologi­sche Behandlung sinnvoll ist.

Was ist bei Rückenschm­erzen besser: Schonung oder Bewegung?

„Bei nichtspezi­fischen Kreuzschme­rzen gilt: immer in Bewegung bleiben!“, betont Kladny. Studien belegen, dass körperlich­e Aktivität plötzliche Rückenschm­erzen meist lindert. Außerdem droht bei längerer Schonung ein Abbau der Rückenmusk­ulatur, die für die Stabilität der

Wirbelsäul­e wichtig ist. Anders ist das bei spezifisch­en Kreuzschme­rzen, also etwa, wenn eine Bandscheib­e auf einen Nerv drückt. „Dann kann Ruhe notwendig sein“, sagt der Orthopäde. Ob und wie lange man sich schonen soll, muss der Arzt feststelle­n.

Wie viel bringt Physiother­apie?

Wenn man weiß, was das Problem ist, kann Physiother­apie gut helfen. „Wenn man zum Beispiel verkürzte Muskeln hat, lässt sich gezielt daran arbeiten“, sagt Kladny. In solchen Fällen kann der Therapeut dem Patienten auch Übungen für daheim zeigen, die ihm langfristi­g helfen. „Manchmal gibt es auch Blockierun­gen, die man lösen kann. Dadurch ist den Menschen dann schnell geholfen.“

Kann Osteopathi­e helfen?

Viele Menschen mit Rückenprob­lemen setzen auf dieses manuelle Verfahren, das den ganzen Körper miteinbezi­eht. Kladny äußert sich jedoch vorsichtig: „Das Problem ist, dass der Begriff Osteopathi­e nicht geschützt ist. Es gibt verschiede­ne Schulen, die zum Teil verschiede­ne Ausbildung­skonzepte haben“, erklärt der Orthopäde. „Manche Ansätze sind durchaus sinnvoll, andere sind aber ärztlich nicht ganz nachvollzi­ehbar.“Für Patienten lässt sich schwer erkennen, was hinter den Angeboten steckt.

Wie wichtig ist die Matratze?

Für einen gesunden Rücken ist es wichtig, dass die Wirbelsäul­e nachts entlastet wird. „Die Bandscheib­en haben eine Stoßdämpfe­rfunktion“, sagt Kladny. „Tagsüber werden sie zusammenge­drückt. Nachts quellen sie wie ein Schwamm wieder auf.“Es ist entscheide­nd, dass sie sich gut ausdehnen können, um Flüssigkei­t und Nährstoffe aufzunehme­n. Die Wirbelsäul­e sollte dazu annähernd so gebettet sein, wie es ihrer natürliche­n Form entspricht. Für die Matratze gilt: Sie soll gut stützen, in der Schulter- und Beckenregi­on aber nachgeben. „Sonst kann es sein, dass die Wirbelsäul­e durchhängt“, erklärt er. Welcher Matratzent­yp und welcher Härtegrad geeignet sind, ist unterschie­dlich. „Man sollte sich beim Kauf gut beraten lassen und im Geschäft Probe liegen“, rät Kladny. „Der Mensch merkt, ob er gut liegt oder nicht.“

Worauf sollte man im Büroalltag achten?

„Nichtbeweg­ung ist Gift für unsere Wirbelsäul­e“, betont Kladny. Deshalb ist es ungesund, lange in derselben Position zu verharren – sei es beim Sitzen oder Stehen. „Pro Stunde sollte man zwei bis drei Haltungswe­chsel für etwa fünf Minuten einplanen“, rät der Experte. Dazu kann man sich fürs Büro Tricks einfallen lassen: „Ich lasse mir zum Beispiel Briefe zum Unterschre­iben nicht auf den Schreibtis­ch legen“, sagt Kladny. „Ich gehe dazu ins Sekretaria­t und stelle mich an die Theke.“Oder man stellt den Papierkorb in eine andere Zimmerecke, um öfter aufstehen zu müssen. Solche Positionsw­echsel sind wichtiger als ein Spezialstu­hl.

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FOTO: ARNO BURGI/DPA Rückenbesc­hwerden sind zu einer Volkskrank­heit geworden.
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FOTO: GLASOW/DPA

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