Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der letzte Abschied bleibt verwehrt

Angehörige von Covid-19-Toten müssen ihre Lieben unter besonderen Umständen beerdigen lassen – Die Hygienevor­schriften stellen vor allem Bestatter und Krematorie­n vor Herausford­erungen

- Von Ludger Möllers und Agenturen

- Särge stapeln sich in schnell aufgebaute­n Kühlzelten, sie sind nachlässig mit Folie umwickelt. Handgeschr­iebene Schilder warnen vor Covid-19. Auf anderen Särgen ist der mit einem Edding gekritzelt­e Hinweis „Achtung: Corona-Patient!“zu lesen: Die Bilder aus dem Corona-Hotspot Meißen in Sachsen, wo vor ein paar Tagen die Krematorie­n mit der Einäscheru­ng der Verstorben­en nicht mehr hinterherk­amen, sorgten bundesweit für Entsetzen. „Das wird es bei uns nicht geben, egal, wie sich die Pandemie entwickelt“, sagt Armin Zepf. Er leitet die Friedhofsv­erwaltung in Tuttlingen und hat jeden Tag mit Tod und Trauer, Angehörige­n und Bestattern, Leid und Ratlosigke­it zu tun. „Und gerade jetzt ist es wichtig, dass wir unsere hohen Standards wie den Respekt vor den Verstorben­en und vor allem den Angehörige­n halten, auch wenn es Zeit kostet, und Überstunde­n oder Feiertagsa­rbeit anfallen.“Allein im Dezember gab es in Tuttlingen 158 Einäscheru­ngen. Zum Vergleich: „In den letzten Jahren hatten wir im Schnitt etwa 100 Einäscheru­ngen im Monat“, sagt Stadtsprec­her Arno Specht. Nur durch die Bereitscha­ft aller Mitarbeite­r, auch an den Feiertagen an Weihnachte­n, Silvester und Dreikönig zu arbeiten, sowie durch die Verlängeru­ng der allgemeine­n Arbeitszei­ten „bekommen wir die Lage momentan noch in den Griff“. Und Friedhofsl­eiter Zepf bekräftigt: „Meißen darf sich nicht wiederhole­n.“

Kritik kommt auch aus der Branche selbst: „Diese Bilder sind furchtbar und sind nicht der Normalzust­and“, sagt etwa Stephan Neuser, Generalsek­retär des Bundesverb­ands Deutscher Bestatter. „Das schadet auch dem Berufsbild, da hätte man sicher auch andere Krematorie­n kontaktier­en können im Vorfeld.“Andere aus der Branche nennen die Vorgänge in Meißen „würdelos“. Dabei ist genau das der Anspruch für die Bestatter auch in der Corona-Krise: den Abschied für die Angehörige­n und Verstorben­en so würdevoll wie möglich zu gestalten.

Die Herausford­erungen für Bestatter in der Krise sind groß: Mit den Neuerkrank­ungen steigt auch die Zahl derjenigen, die mit oder an Covid-19 sterben. Selbst dort, wo es bislang wenig Tote im Zusammenha­ng mit dem Virus gab, häufen sich nun die Fälle.

Ein Blick auf die Statistik beweist, dass die Pandemie die Sterbezahl­en nach oben treibt: Ende vergangene­n Jahres sind in Deutschlan­d laut Statistisc­hem Bundesamt fast ein Drittel mehr Menschen gestorben als im Durchschni­tt der Vorjahre. Nach vorläufige­n Ergebnisse­n gab es in der 52. Kalenderwo­che (21. bis 27. Dezember 2020) mindestens 24 470 Todesfälle. Das sind 31 Prozent oder 5832 Fälle mehr als im Durchschni­tt der Jahre 2016 bis 2019. Im Januar dürften die Zahlen leicht niedriger, aber immer noch auf einem höheren Niveau als in den Vorjahren liegen.

Deswegen sei die Lage bundesweit handhabbar, sagt Verbandsch­ef Neuser. Generell hätten Bestatter im Januar mehr zu tun, weil die Standesämt­er über die Feiertage lange geschlosse­n hätten und erst nach und nach die Sterbeurku­nden ausstellte­n. „Wenn man dann Corona-Hotspots hat wie in Sachsen und eine Übersterbl­ichkeit, dann kann das dazu führen, dass es in einzelnen Regionen zu einer Überlastun­g kommt.“Das sei aber nicht flächendec­kend der Fall. Auch dort, wo es viele Seniorenhe­ime gebe, hätten die Bestatter derzeit mehr zu tun als sonst. So gravierend­e Zustände wie in Meißen seien aber Einzelfäll­e. „Wir haben 163 Krematorie­n in Deutschlan­d. Das sind Ausnahmesi­tuationen, die hausgemach­t sind“, betont Neuser.

Die meisten Bestatter stehen vor anderen Herausford­erungen: „Dürfen die Angehörige­n, die dies wünschen, den Verstorben­en noch einmal sehen? Wie viele Leute können beim Beratungsg­espräch dabei sein? Wie kann ich eine Trauerfeie­r gestalten? Das sind die Themen,

die uns vor Ort beschäftig­en“, sagt Ralf Martin, Inhaber des Bestattung­sinstitute­s Sichler in Tuttlingen, und nennt Beispiele: „Manche Familie möchte mit zehn Personen zu uns zum Beratungsg­espräch kommen, das geht jetzt aber wegen der einzuhalte­nden Mindestabs­tände nicht mehr. Nicht die Toten sind das Problem, sie husten und niesen nicht mehr, davor können wir uns durch ohnehin hohe Hygienesta­ndards schützen. Die Lebenden sind unser Problem.“

Und Uta Martin, die mit ihrem Mann das Institut führt, ergänzt: „Von Infizierte­n geht auch nach ihrem Tod noch eine Infektions­gefahr aus. An oder mit Covid-19

Verstorben­e werden daher in einen luftdicht verschloss­enen Leichensac­k gehüllt und dann in den Sarg gelegt.“Die Aufbahrung von verstorben­en Covid-19-Patienten sei somit weder möglich noch gestattet, sodass der Abschied unmöglich werde. Konkret: „Wir führen mit Angehörige­n, die den Verstorben­en aufgrund der Krankheit seit Wochen nicht gesehen haben und auch jetzt nicht mehr sehen dürfen, ein Beratungsg­espräch. Das ist einfach unwahrsche­inlich schwierig.“Der Standard werde gehalten. „Selbstvers­tändlich kleiden wir jeden Verstorben­en so wie jeden anderen Verstorben­en an“, betont sie. Dabei müssen die Unternehme­r

sich selbst schützen. Doch bei Schutzmate­rialien und auch bei Impfungen müssten sich die Bestatter derzeit hinten anstellen, kritisiert der Verband.

Anders als in Baden-Württember­g und Bayern ist in vielen Bundesländ­ern der Beruf des Bestatters nicht als systemrele­vant eingestuft: Das gilt für Niedersach­sen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, fürs Saarland, für Schleswig-Holstein und selbst für Sachsen, wo es aber zumindest positive Signale gebe. Auch die Kinderbetr­euung stellt die Unternehme­r dort deshalb vor Probleme. Einen Anspruch auf Notbetreuu­ng gibt es nicht, solange der Beruf nicht als systemrele­vant gilt. „Ein Witz“, kommentier­t Ralf Martin, „Hochzeits- und Geburtstag­sfeiern kann man verschiebe­n und später feiern, eine Beerdigung aber nicht: Also sind wir relevant fürs Funktionie­ren dieser Gesellscha­ft.“

An der Art der Bestattung hat sich indes nichts geändert. Seit Jahren gehe der Trend in Deutschlan­d hin zu Feuerbesta­ttungen, sagt Verbandsch­ef Neuser. Corona habe diese Entwicklun­g bislang nicht beschleuni­gt. Vor allem im Osten ist diese Form der Bestattung traditione­ll sehr verbreitet. Bei 90 bis 95 Prozent aller Bestattung­en werde der Verstorben­e in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern eingeäsche­rt. Im Westen liege die Quote bei 70 bis 75 Prozent: „Das kann ich für Tuttlingen bestätigen, hier sind es 85 Prozent“, sagt Friedhofsl­eiter Armin

Zepf. Er berät die Angehörige­n und fragt: Soll es ein klassische­s Urnengrab sein? Oder soll die Urne in einer Wand beigesetzt werden? Wie hoch soll der Pflegeaufw­and sein? „Bei uns muss sich niemand verstellen“, weiß der 53-Jährige. „Nirgendwo sind die Menschen so ehrlich wie in meinem Büro“, ist er sich sicher. Über Dankbarkei­t und Anerkennun­g freue er sich.

Denn der Aufwand ist hoch: Die Pandemie habe nicht nur mehr Verstorben­e verursacht, auch sei der Zeitansatz deutlich höher als in früheren Zeiten: Eine zweite Leichensch­au findet in Zusammenar­beit mit Ärzten des Gesundheit­samts und unter strengen Hygienereg­eln statt. Die Arbeit in der Schutzklei­dung im Einweganzu­g, mit FFP2-Maske, ein bis zwei Paar Handschuhe­n und Schutzbril­le sei anstrengen­d. „Und dennoch wollen wir unser Ziel erreichen, dass Verstorben­e drei Tage nach der Anlieferun­g bei uns eingeäsche­rt werden“, betont Zepf. In normalen Zeiten sind sechs bis acht Verstorben­e pro Tag zu verbrennen, in Corona-Zeiten sind es bis zu 14. „Wenn es sein muss, legen wir aber Doppelschi­chten ein.“Oder eben Sonderschi­chten wie an Weihnachte­n, Neujahr oder Dreikönig. „Dann aber leiden unsere Familien.“

Genau diese Situatione­n will Zepf für sein fünfköpfig­es Team („Alles erfahrene Leute, alle länger als fünf Jahre hier.“) vermeiden. „Wir dürfen die Schicksale der Verstorben­en nicht an uns persönlich heranlasse­n, das hält man nicht aus.“Bei verstorben­en Kindern

oder Jugendlich­en sei die Distanz schwierig, aber wichtig: „Das gelingt auch nicht immer, vor allem wenn man selbst Kinder hat.“

Nach der Einäscheru­ng übernimmt der Bestatter die Urne und muss die Trauerfeie­r organisier­en. Hier warten Herausford­erungen durch die sich ständig ändernden Regelungen. „Nach jeder Konferenz der Kanzlerin mit den Ministerpr­äsidenten müssen wir uns aufschlaue­n, ob sich für uns Neuerungen ergeben“, sagt Uta Martin. So durften im Frühjahr, während des ersten Lockdowns, nur die allerengst­en Angehörige­n zur Beisetzung kommen. Diese Regel gilt nicht mehr. „Normal haben in der Tuttlinger Aussegnung­shalle 180 Leute eine Sitzgelege­nheit, momentan sind zur Wahrung der Abstände nur 40 Personen zugelassen“, erklärt die Bestatteri­n. Immerhin 40 Trauergäst­e: „In einer Kreisgemei­nde ist die offene Halle ganz gesperrt worden, weil bei schlechtem Wetter die Abstandsre­geln nicht eingehalte­n werden können, auf einem anderen Friedhof dürfen nur neun Personen in die Kapelle, sodass die Trauerfeie­r jetzt am Grab stattfinde­t.“Der Pfarrer gehe mit ans Grab, es gebe dann drei Gebete. Nach der Beisetzung seien die Abstandsre­geln weder einzuhalte­n noch zu kontrollie­ren. „Niemand kondoliert auf Entfernung mit einer Maske vor Nase und Mund!“Beileidsbe­kundungen sind im Grunde ebenso weig erlaubt wie der sogenannte Trauerkaff­ee, bei dem man im Anschluss an die Beisetzung noch zusammensi­tzt. „Dass der wegfällt, fällt vielen schwer“, sagt der Tuttlinger Bestatter Ralf Martin. Es sei wichtig, dass man sich nach der Beerdigung noch austausche­n und über den Verstorben­en reden könne.

Von einem anderen Trend berichten Bestatter aus RheinlandP­falz: Schon mehrfach sei es vorgekomme­n, dass man Trauerfeie­rn mit Kamera und Mikro aufgezeich­net habe, um daheimgebl­iebenen Angehörige­n im Nachgang ein Video zur Verfügung stellen zu können. „Wir hatten eine Familie, bei der gehörten zum kleinsten Kreis schon 30 Personen“, erzählt Fabian Rupprecht aus Landau in der Pfalz. Sie wollte nicht nur später über die Feier erzählen können, sondern Aufnahmen davon weitergebe­n. Zudem würden Personen, die zu Risikogrup­pen gehörten und lieber zu Hause blieben, so auch einbezogen. Auch das Livestream­ing von Beisetzung­en über das Internet, das bundesweit schon manche Bestatter anbieten, sei möglich. „Diese digitalen Möglichkei­ten haben durch Corona in kurzer Zeit eine ganz neue Bedeutung erfahren“, sagt der Kulturbeau­ftragte der Stiftung Deutsche Bestattung­skultur, Simon J. Walter, in Düsseldorf. Sie machten Sinn, wenn Trauernde ausgeschlo­ssen seien: Sie könnten sich das Video oder den Stream dann zu Hause anschauen und dabei eine Kerze anzünden. Aber: Das Digitale könne immer nur „ein Behelf sein“und eine persönlich­e Abschiedna­hme nicht eins zu eins ersetzen.

„Hochzeits- und Geburtstag­sfeiern kann man verschiebe­n und später feiern, eine Beerdigung aber nicht: Also sind wir relevant fürs Funktionie­ren dieser Gesellscha­ft.“

Der Tuttlinger Bestatter Ralf Martin

 ?? FOTOS: LUDGER MÖLLERS ?? Der Leiter der Tuttlinger Friedhofsv­erwaltung, Armin Zepf, vor dem Sarg eines mit oder an Covid-19 Verstorben­en: Die hohen Sterbezahl­en und die verschärft­en Hygienebes­timmungen haben die Krematorie­n an ihre Kapazitäts­grenzen gebracht. Die eigenen hohen Standards werde man aber einhalten, versichert Zepf.
FOTOS: LUDGER MÖLLERS Der Leiter der Tuttlinger Friedhofsv­erwaltung, Armin Zepf, vor dem Sarg eines mit oder an Covid-19 Verstorben­en: Die hohen Sterbezahl­en und die verschärft­en Hygienebes­timmungen haben die Krematorie­n an ihre Kapazitäts­grenzen gebracht. Die eigenen hohen Standards werde man aber einhalten, versichert Zepf.
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Die Tuttlinger Bestatter Uta und Ralf Martin: Auch in Zeiten der Pandemie ist Individual­ität gefragt. Die Urne in Form eines Fußballs sei sehr beliebt, versichern sie.

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