Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
94 Sekunden neuer Mozart
Unbekanntes Stück in Salzburg vorgestellt
Solche Anrufe gehören sicher zu den Höhepunkten im Leben eines Musikwissenschaftlers: Der Stiftung Mozarteum wurde aus Privatbesitz ein Stück aus Mozarts eigener Hand angeboten, das niemand kennt. Die Verantwortlichen waren ebenso begeistert wie vorsichtig, durften das Autograph in Amsterdam sehen und zwei Wochen lang in Salzburg überprüfen. Papier und Tinte wiesen auf die Mozartzeit, mit Handschriftenvergleichen konnte die Entstehungszeit auf Frühjahr 1773 eingegrenzt werden, als der 17jährige Mozart mit seinem Vater auf Italienreise war. Mozart hat es wohl seiner Schwester Nannerl geschickt, über sie kam es zu Franz Xaver Mozart, dem jüngsten Sohn des Meisters. Nach dessen Tod kam das einzelne Blatt wohl in verschiedene Hände, wurde aber nie untersucht. Die Mozartforscher haben die Echtheit bestätigt, vermutlich handelt es sich um den Klavierauszug eines unbekannten Orchesterstücks.
Genau am 255. Geburtstag Mozarts wurden die „94 Sekunden neuer Mozart“zur Eröffnung der digital abgehaltenen Mozartwoche im großen Saal des Salzburger Mozarteums präsentiert. In seiner unvergleichlich übersprudelnden Art stellte Intendant Rolando Villazon das Stück gemeinsam mit Dr. Ulrich Leisinger vor, der südkoreanische Pianist Seong-Jin Cho brachte es zum ersten Mal zum Klingen: ein heiteres Allegro in D-Dur mit hüpfenden Tanzbässen, einer spielerisch verzierten
Oberstimme und einem ruhigeren Mittelteil. Im Köchelverzeichnis hat es die Nummer KV 626b/16 bekommen, denn alle Fundstücke werden hinter dem berühmten Requiem KV 626 gereiht. Übrigens gelten 50 bis 100 Kompositionen Mozarts als verloren, immer wieder wird etwas entdeckt. Es lohnt sich also, die Augen aufzuhalten in Speichern und Antiquariaten, damit vielleicht einmal wieder ein besonderer Anruf nach Salzburg gehen kann.
Die Uraufführung und alle Konzerte der Salzburger Mozartwoche, die bis Sonntag, 31. Januar dauert, können über das Streamingportal www.myfidelio.at abgerufen werden.