Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Astra-Zeneca-Impfstoff vorerst wohl nur für Jüngere
Das Unternehmen wird vorerst nur ein Viertel der bestellten Menge liefern – So ist die Lage vor Merkels Impfgipfel
Die Aufregung um den Corona-Impfstoff von Astra-Zeneca geht weiter. Während sich die Europäische Union und der britisch-schwedische Hersteller weiter über ausstehende Lieferungen streiten, wird die Ständige Impfkommission wohl empfehlen, das Vakzin nur für Menschen im Alter von 18 bis 64 Jahren einzusetzen. Grund hierfür, erklärte Gesundheitsminister Jens Spahn am Donnerstag, sei ausschließlich die Datenlage. Es seien „nicht schlechte Daten, sondern zu wenige Daten“, sagte der CDU-Politiker. An diesem Freitag wird in Brüssel über die Zulassung des Vakzins in der EU entschieden.
BERLIN - Das Desaster ist perfekt: Noch vor der für Freitag erwarteten Zulassung des Corona-Impfstoffs von Astra-Zeneca hat auch ein drittes Krisengespräch zwischen der EU und dem Pharmakonzern kein Ergebnis gebracht. Nach EU-Angaben soll im ersten Quartal nur ein Viertel der bestellten Menge geliefert werden. Zudem sollen den Impfstoff nun nur unter 65-Jährige erhalten. Dabei sollte dieses leicht handhabbare und billige Vakzin das Impfen in Europa deutlich beschleunigen helfen. Angesichts der Probleme trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Vertretern der Länder am Montag zu einem Impfgipfel.
Wie ist die Lage?
Völlig verfahren. Seit Wochen aufgebaute Impfzentren bleiben unausgelastet, längst vergebene Termine werden verschoben – der Mangel an Impfstoff ist allgegenwärtig. Er liegt auch darin begründet, dass die massenhafte Produktion höchst anspruchsvoll ist. Was etwa dazu geführt hat, dass sich das Mainzer Unternehmen Biontech, der Entwickler des ersten in der EU zugelassenen Vakzins, frühzeitig mit dem US-Riesen Pfizer zusammentat. Aber auch das half nicht, Lieferengpässe zu vermeiden: In den USA gilt durch ein Präsidentendekret, dass der gesamte in US-Werken produzierte Impfstoff in Amerika verbleiben muss. In Europa baute Pfizer kurzfristig die Produktion im Werk im belgischen Puurs um, damit die Produktivität dort gesteigert werden kann. Das hatte sehr schnell Auswirkungen auf deutsche Impftermine, die ausfallen mussten. Allerdings hat der Hersteller versprochen, nach der Umrüstung von Puurs alle Rückstände im ersten Quartal noch aufholen und letztlich planmäßig liefern zu können. Im zweiten Quartal sollen die Lieferungen sogar deutlich über dem Vereinbarten liegen. Mit dem neuen Produktionsstandort in Marburg soll das im ersten Halbjahr noch einmal spürbar mehr werden. Ganz anders die Lage bei Astra-Zeneca. Hier ist überhaupt nicht absehbar, wann die vertraglich vereinbarten Mengen kommen – wenn sie denn wirklich vertraglich vereinbart sind. Unternehmenschef Pascal Soriot bestreitet jede Verpflichtung.
Die EU-Kommission sieht das komplett anders. Man habe Astra-Zeneca 336 Millionen Euro für Entwicklung und Fertigung vorgestreckt. Demnach hätte der Konzern seit Oktober auf Halde produzieren müssen, damit der Impfstoff sofort nach der Zulassung in der EU in großen Mengen zur Verfügung steht. Stattdessen beliefert Astra-Zeneca problemlos Großbritannien, kürzt aber gnadenlos die Mengen für die EU. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) könne bei der Produktion „immer was passieren, die Produktion von Impfstoffen ist sehr komplex“. „Aber dann muss es alle, die bestellt haben, gleich betreffen und nicht nur die Europäische Union.“
Belgien hat deshalb am Donnerstag Kontrolleure der Gesundheitsbehörden in das Werk in Seneffe geschickt, in dem der Impfstoff von Astra-Zeneca produziert wird. Die Inspekteure sollen klären, ob die Erklärung des Konzerns für den Lieferengpass stimmt – oder ob dort in Wahrheit für
Großbritannien produziert wird. Die EU-Kommission droht zudem, den Vertrag, der eigentlich vertraulich bleiben sollte, zu veröffentlichen. Inzwischen deutete der Konzern Gesprächsbereitschaft an.
Gibt es weitere Probleme mit
Astra-Zeneca? Allerdings. Am Donnerstag wurde auch die Empfehlung der Ständigen Impfkommission in Deutschland bekannt, nach der das Astra-Zeneca-Produkt im Gegensatz zu den beiden bereits zugelassenen Vakzinen nur an Menschen unter 65 Jahren verabreicht werden soll, weil aktuell keine ausreichenden Daten für Ältere vorlägen. Der Impfstoff solle also entsprechend der Priorisierung „jeweils nur den Personen angeboten werden, die 18 bis 64 Jahre alt“sind. „Abgesehen von dieser Einschränkung wird dieser Impfstoff ebenfalls als gleichermaßen geeignet angesehen“, hieß es. Der Hersteller wies dies zurück: Die jüngsten klinischen Daten hätten gezeigt, dass der in Zusammenarbeit mit der Universität
Oxford hergestellte Impfstoff auch bei über 65-Jährigen wirksam sei, sagte ein Sprecher des britisch-schwedischen Unternehmens. Sollte es dennoch anders kommen, stünde das der deutschen Strategie entgegen, zunächst die Hochbetagten zu impfen. Kein Wunder, dass Jens Spahn nun ankündigte, wegen der Knappheit des Impfstoffes stünden „noch mindestens zehn harte Wochen“bevor.
Wie teuer sind Impfstoffe eigentlich? Ganz genau lässt sich das nicht sagen. Die Preise für die neuartigen mRNA-Impfstoffe, die Biontech, Moderna und Curevac anbieten, sind aber offenbar deutlich höher als Mittel mit bekannten Technologien wie von Astra-Zeneca. Zumal die Universität Oxford, die mit Astra-Zeneca kooperierte, für ihre Beteiligung zur Bedingung gemacht hatte, das Vakzin auf einer gemeinnützigen, nicht gewinnorientierten Basis anzubieten. Und es damit auch für ärmere Länder erschwinglich zu machen.
Nach Herstellerangaben soll das Mittel für zwei Euro pro Dosis erhältlich sein. Das Biontech-Vakzin kostet dagegen wohl zwölf Euro, der Impfstoff von Moderna rund 15 Euro.
Wie geht es weiter? Noch im Februar, so die Hoffnung in Brüssel und Berlin, könnte die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA in Amsterdam als viertes Corona-Vakzin in der EU den Impfstoff des US-Konzerns Johnson & Johnson zulassen. Das wäre eine echte Verbesserung, weil dies der erste Impfstoff wäre, der grundsätzlich nur eine einzige Impfung pro Person benötigt. Aber auch hier gab es schon Berichte über Produktionsschwierigkeiten.
Um solche Probleme möglichst zu vermeiden, hat sich das Tübinger Unternehmen Curevac jüngst mit dem Pharmakonzern Bayer verbündet. Curevac galt zunächst als heißer Kandidat für einen schnell einsetzbaren Impfstoff, weshalb der deutsche Staat neben der Forschungsförderung noch über die Förderbank
KfW mit 23 Prozent bei dem Unternehmen einstieg, um eine Übernahme aus den USA zu verhindern. Doch das Projekt zog sich hin. Geht jetzt alles gut, könnten im ersten Quartal alle Daten vorliegen, um die Zulassung zu beantragen.
Es gibt auch andere Kooperationen: Der französische Pharmakonzern Sanofi will ab Sommer mehr als 125 Millionen Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs für die EU im SanofiWerk in Frankfurt/Main produzieren, das jetzt dafür umgerüstet werde. Sanofi selbst galt lange Zeit in der EU als Hoffnungsträger für einen Impfstoff, musste dabei aber Rückschläge hinnehmen. Sanofi-Chef Paul Hudson rechnet jetzt mit einer Zulassung des eigenen Impfstoffs bis Ende dieses Jahres.
Weitere Kooperationen scheinen in Sicht: Laut der Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) könnte das traditionsreiche Pharmaunternehmen Berlin-Chemie Impfstoff herstellen – von welchem Anbieter auch immer. Nach Angaben der EMA ist die Behörde aktuell mit 23 Herstellern in Kontakt, um ihnen Hinweise zu geben, welche konkreten Daten benötigt werden, um eine Zulassung zu beantragen. Darunter ist auch der russische Corona-Impfstoff Sputnik V – Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Präsident Wladimir Putin angeboten, bei der Zulassung zu helfen. Allerdings dauert es laut EMA für all diese Projekte noch Monate bis zu einer Zulassung – die zudem auch noch scheitern könne.
Gibt es keine gute Nachrichten?
Biontech teilte am Donnerstag mit, dass sein Impfstoff auch gegen die Virusmutationen aus Großbritannien und Südafrika wirksam sei. Erste Ergebnisse wiesen darauf hin, dass die Entwicklung eines neuen Impfstoffs für diese Varianten nicht notwendig sein sollte. Allerdings sei die Wirkung bei Mutanten der südafrikanischen Variante „geringfügig niedriger“ausgefallen. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass dies „zu einer signifikanten Verringerung der Wirksamkeit“des Impfstoffs führe Sollte es notwendig sein, könnte der Impfstoff angepasst werden. Am Montag hatte bereits der US-Hersteller Moderna erklärt, dass sein Impfstoff gegen die britische und die südafrikanische Variante wirkt.