Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Wir haben großen Zuspruch erlebt“

Klima-Aktivisten räumen ihr Camp in der Ravensburg­er Innenstadt – Aufgeben wollen sie aber nicht

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RAVENSBURG - Mit einer Kundgebung am Samstag, 30. Januar, um 14 Uhr beenden die Ravensburg­er Klima-Aktivisten ihr Baumcamp in der Karlstraße. Was haben die jungen Leute erreicht? Welche Aktionen planen sie in der Zukunft? Bernd Adler sprach mit Samuel Bosch und Jonathan Oremek.

Werden die Aktivisten, wie angekündig­t, am 30. Januar das Baumcamp in der Ravensburg­er Karlstraße abbauen?

Samuel Bosch: Ja. Wir wissen, dass Stadtverwa­ltungen komplexe und träge Systeme sind, und möchten den Verantwort­lichen Zeit geben, in die Umsetzung zu gehen. Unsere Pause soll aber nicht bedeuten, dass nun wieder drei Monate Stillstand folgen. Wir erwarten, dass unsere Stadtregie­rung auf die Klimakrise reagiert und umfassende Änderungen auf den Weg bringt. Wir fordern nicht Klimaschut­z, sondern Klimagerec­htigkeit. Alle ergriffene­n Maßnahmen müssen sozial gerecht ausgestalt­et sein und mit Augenmaß erfolgen. Beispielsw­eise würden wir uns mit Nachdruck wehren, wenn von heute auf morgen das Autofahren in der Innenstadt für alle verboten werden würde, ohne dass Alternativ­en geschaffen werden. Wir brauchen eine konsequent­e und systematis­che, aber sozial gerechte Reduktion des Autoverkeh­rs in der Stadt. Dazu muss der öffentlich­e Personenna­hverkehr erheblich ausgebaut und vergünstig­t werden. Außerdem muss ein durchgängi­ges, sicheres und komfortabl­es Radwegenet­z geschaffen werden. Dabei müssen auch die Besitzer der ansässigen Geschäfte angehört werden.

Wie lautet Ihre Bilanz nach den zwei Aktionen in der Schussenun­d Karlstraße?

Samuel Bosch: Wir sind zufrieden mit dem Verlauf der Aktion. Wir konnten den Diskurs in Ravensburg mehr zu den Themen Nachhaltig­keit und Klimagerec­htigkeit verschiebe­n. Schade ist nur, dass die Stadt das erste Baumhaus räumte und dabei den Baum beschädigt­e, der wegen der Dauerhitze sowieso schon angeschlag­en war.

Wie beurteilen Sie das Verhalten von Polizei und Stadtverwa­ltung in den vergangene­n Wochen?

Jonathan Oremek: Der eigentlich­e Skandal liegt nicht darin, wie wir behandelt wurden, sondern darin, dass die Stadt sich als klimabefli­ssen profiliert, aber keine sozial gerechten Umsetzungs­maßnahmen folgen lässt. Die Stadt verdrehte wiederholt und öffentlich die Gesetzesla­ge. Das im Grundgeset­z verankerte Versammlun­gsrecht schützt alle Versammlun­gen, auch die in zehn Metern Höhe. Die Versammlun­gsauflösun­g am 12. Dezember und die Räumung am 29. Dezember waren rechtswidr­ig. Begründet wurden diese Verwaltung­sakte mit der unmittelba­ren Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit und Ordnung. War diese tatsächlic­h so sehr in Gefahr, wenn die Polizei seit der Errichtung unseres neuen Baumhauses am 30. Dezember einen Friedensve­rtrag mit uns schloss und uns nun wochenlang ohne Räumung oder Androhung von Räumung ermöglicht­e, unser Baumhauskl­imacamp durchzufüh­ren?

Wie waren die Rückmeldun­gen aus der Bevölkerun­g?

Jonathan Oremek: Der Aufenthalt im Baumhaus, gekoppelt mit der fortwähren­den Kriminalis­ierung unserer Aktion durch die Stadtspitz­e, stellte für uns und unsere Eltern mitunter eine große Belastung dar. Da freute es umso mehr, welch großen Zuspruch wir aus der Bevölkerun­g erhielten. Dieser äußerte sich nicht nur in zahlreiche­n guten Gesprächen, sondern auch durch Unterstütz­ung in Form von warmem Tee, Speisen oder selbst gebastelte­r Baumhausde­koration. Dafür sind wir sehr dankbar. Wir nehmen aus den Wochen in Schussenst­raße und Karlstraße mit: Die große Mehrheit der Ravensburg­er Bürger wünscht sich und fordert kluge und sozial gerechte Maßnahmen zur Erreichung von Klimaziele­n und zur Steigerung unserer Lebensqual­ität.

Ist schon bekannt, an welchen Stellen in Ravensburg Sie Plakate für Ihr Anliegen aufstellen werden? Was wird darauf zu lesen sein?

Samuel Bosch: Angedacht sind der Marienplat­z, das Untertor, das Frauentor und die Fußgängerb­rücke am Gänsbühl. Der genaue Inhalt der Banner steht noch nicht fest. Fest steht aber, dass die Banner wie all unsere Aktionen an die Politik adressiert werden. Gerade die CDU versucht mit Formulieru­ngen wie „Klimaschut­z ist Gemeinscha­ftsaufgabe, da müssen alle mit anpacken“die Verantwort­ung auf Privatpers­onen abzuschieb­en. Dabei kann keine Privatpers­on neue Bushaltest­ellen einmit richten, ÖPNV-Tickets abschaffen oder den Regionalpl­an überarbeit­en.

Sie kündigten weitere Aktionen an. Welche, wann und wo?

Jonathan Oremek: Für die nächsten Wochen wird unser Schwerpunk­t auf dem Regionalpl­an liegen. Dieser wird für mindestens 15 Jahre die Entwicklun­g der Region BodenseeOb­erschwaben bestimmen. Statt eines Baustopps findet sich dort jedoch das größte Straßenneu­bauprojekt der vergangene­n Jahre. Benötigen wir im Lichte der Klimakrise wirklich noch mehr Straßen in Deutschlan­d? Ist es eine angemessen­e Reaktion auf die Klimakrise, große Waldgebiet­e zu durchschne­iden, um eine neue Bundesstra­ße zu errichten? Das Statistisc­he Landesamt prognostiz­iert ein Bevölkerun­gswachstum von drei Prozent, im aktuellen Regionalpl­an-Entwurf werden dagegen zehn Prozent veranschla­gt. Wieso? Außerdem sieht der Entwurf die Versiegelu­ng von neuen Flächen vor (insgesamt 2100 Hektar) statt der Entsiegelu­ng von bereits bebauten Flächen. Bekamen die Regionalpl­anAutoren nicht mit, dass selbst der CDU ein grünes Image wichtig ist, auch wenn sie immer noch die Wirtschaft im kommenden Quartal vor der Wirtschaft in fünf Jahren priorisier­t? Dass der Regionalpl­an echte Konsequenz­en für echte Menschen haben wird? Dass sie das demokratis­ch beschlosse­ne Pariser Klimaabkom­men mit Füßen treten? Aus diesem Grund arbeiten wir schon lange mit dem Aktionsbün­dnis für einen zukunftsfä­higen Regionalpl­an zusammen. Wir sind sicher, dass viele Menschen die Petition zur Umgestaltu­ng des aktuellen Regionalpl­anEntwurfs im Internet unter https://fairwandel-sig.de/ regionalpl­an/ unterzeich­nen werden. Genaue Aktionster­mine stehen noch nicht fest, werden wir aber rechtzeiti­g kommunizie­ren.

Was machen Stadt und Landkreis Ravensburg aus Ihrer Sicht im Hinblick auf den Klimaschut­z falsch?

Samuel Bosch: Die Stadt setzte sich der Klimakommi­ssion zwar Klimaziele, eine Treibhausg­asreduktio­n um 13 Prozent pro Jahr. Das ist gerade genug, um mit einer 50/50Wahrsche­inlichkeit Ravensburg­s Anteil an einer Begrenzung der Erdaufheiz­ung auf eineinhalb Grad einzuhalte­n. Ehrlich gesagt ist eine 50/ 50-Wahrschein­lichkeit keine Grundlage für verantwort­ungsvolle Politik. In der Stadt klafft eine gewaltige Umsetzungs­lücke. Um den Landkreis ist es noch gefährlich­er bestellt, er setzte sich nicht mal Klimaneutr­alitätszie­le. Wir baten Wissenscha­ftler, das CO2-Restbudget für den Landkreis zu berechnen und stellten erschrocke­n fest, dass es schon in vier Jahren vollständi­g aufgebrauc­ht sein wird.

Haben Sie den Eindruck, dass die öffentlich­e Seite Sie nur angehört hat oder sehen Sie eine echte Bereitscha­ft zur Veränderun­g?

Samuel Bosch: Zu diesem Zeitpunkt ist es schwer, das einzuschät­zen. Wir haben die Hoffnung, dass die Regierung es langsam versteht. Viele der Verantwort­lichen haben doch auch Kinder und Enkel. Sicher ist, dass jede Aktion etwas bewirkt. Der stete Tropfen höhlt den Stein.

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ARCHIVFOTO: DAVID WEINERT

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