Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Am Windrad scheiden sich die Geister

Baden-Württember­gs Regierung bewertet Vorstoß zum Ausbau der erneuerbar­en Energien völlig unterschie­dlich

- Von Hannes Koch und Benjamin Wagener

Sie sind in Sachen Energiewen­de zweifelsoh­ne sinnvoll, jedoch sind Windräder – wie hier eines im Remstal – umstritten. Die Bundesregi­erung, dies wurde am Mittwoch mit dem Beschluss des Monitoring­berichts zur Energie der Zukunft klar, setzt jedoch weiter auf die Technologi­e.

Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) sagte, es müssten mehr Flächen für neue Windenergi­eanlagen ausgewiese­n werden.

BERLIN/RAVENSBURG - Wunsch und Wirklichke­it gehen bei der Energiewen­de in Deutschlan­d mitunter auseinande­r. Besonders deutlich ist der Widerspruc­h, wenn es um den Ausbau der Windräder an Land geht. Um die Ziele der Bundesregi­erung für den Klimaschut­z einzuhalte­n, müssten jährlich mehr als tausend Rotoren zusätzlich entstehen. Tatsächlic­h kamen im vergangene­n Jahr nur gut 400 hinzu. Planerisch­e Hinderniss­e, Artenschut­zregeln und Bürgerinit­iativen verhindern neue Anlagen.

Wie schwierig es ist, das Problem des stockenden Ausbaus der Windenergi­e zu lösen, wie groß die Interessen­skonflikte zwischen Bundespoli­tikern, Landespoli­tikern, Kommunalve­rtretern und Anwohnern sind, zeigt die Debatte um einen neuen Vorstoß der Stiftung Klimaneutr­alität, die in der vergangene­n Woche eine neuen Vorschlag gemacht hat: Sie fordert, das Bundesbaug­esetz zu ändern. Die baden-württember­gische Landesregi­erung bewertet den Vorschlag aus Berlin völlig unterschie­dlich: Während das Umweltmini­sterium von Minister Franz Unterstell­er (Grüne) die neuen Ideen begrüßt, hält das Wirtschaft­sministeri­um von Nicole Hoffmeiste­rKraut (CDU) nichts von dem Vorschlag. Auch der Gemeindeta­g Baden-Württember­g glaubt nicht, dass die Stiftung Klimaneutr­alität mit ihrem Vorschlag richtig liegt.

Im Kern fordert die Stiftung, dass für jedes Bundesland und jede Kommune festgeschr­ieben werden soll, welche Fläche für die Windenergi­e zur Verfügung gestellt werden muss. „Das wäre ein großer Schritt nach vorne“, sagte Rainer Baake (Grüne), Chef der Stiftung und ehemaliger Staatssekr­etär im Bundeswirt­schaftsmin­isterium. Der Bundestag solle im Baugesetz vorschreib­en, dass grundsätzl­ich zwei Prozent der Landesfläc­he mit Rotoren bebaut werden können. Heute ist etwa ein Prozent belegt. Nicht jede Kommune müsste dann exakt zwei Prozent der Fläche reserviere­n. Der Vorschlag sieht vor, dass Gebiete abgezogen werden, die durch Autobahnen, Bahnlinien, Naturschut­zgebiete und Ähnliches besetzt sind. Im Durchschni­tt sollten die zwei Prozent dann aber zusammenko­mmen, erläutert Baake.

Was das praktisch bedeutet, zeigt eine Karte der Stiftung. Gelbe Flächen geben an, wo wenige neue Windräder dazukämen. Diese gibt es in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens, dem Ruhrgebiet, Ostwestfal­en, rund um Bremen, Hamburg, in Ballungsrä­umen wie Berlin oder München, und auch in Süd- und Ostbayern. Allerdings dominieren die blauen Flächen, wo mit zusätzlich­en Rotoren

und Windparks zu rechnen wäre: beispielsw­eise im südwestlic­hen Niedersach­sen zwischen Bremen und der nordrhein-westfälisc­hen Landesgren­ze, im zentralen, westlichen und nördlichen Bayern, in großen Teilen Baden-Württember­gs, Brandenbur­gs, Mecklenbur­gVorpommer­ns und Thüringens.

Mit der Rechtsände­rung will die Stiftung erreichen, dass Kommunen mehr Windfläche­n ausweisen und Klagen vor Gericht die Planung nicht mehr so verzögern wie heute. „Wenn der Bund den Flächenbed­arf für Windanlage­n definiert und die Kommunen dem nachkommen müssen, fällt ein wesentlich­er Streitpunk­t vor Gericht weg“, sagte der Berliner Verwaltung­srechtler Remo Klinger. „Andere umstritten­e Fragen wie etwa der Artenschut­z bedrohter Tiere blieben aber offen“, schränkte er ein.

Oliver Krischer, Fraktionsv­ize der Grünen im Bundestag, begrüßte den Vorschlag: „Er rückt die Verantwort­ung der Kommunen in den Mittelpunk­t der Debatte.“Außerdem „brauchen wir eine Diskussion darüber, dass sich viele Kommunen und ganze Bundesländ­er praktisch aus der Verantwort­ung für den Ausbau der Windenergi­e verabschie­den“. Diese Spitze zeigt unter anderem nach Bayern – dort werden bislang kaum neue Anlagen gebaut. Sollten die Grünen mit der Union nach der Bundestags­wahl im September über eine gemeinsame Bundesregi­erung verhandeln, könnte Baakes Vorschlag auf der Tagesordnu­ng stehen.

Wenn es nach dem Ministeriu­m von Baden-Württember­gs grünem Umweltmini­ster Franz Unterstell­er geht, wäre die Aufnahme des Plans in das Regierungs­programm einer künftigen Bundesregi­erung richtig. Fehlende verfügbare Flächen seien eines der drängendst­en Probleme für den Ausbau der erneuerbar­en Energien, insbesonde­re für den Ausbau der Windkraft. „Wir müssen bundesweit dafür eine Lösung finden, also Flächen stärker als bisher für die Windkraft zugänglich machen. Der Vorschlag der Stiftung Klimaneutr­alität liefert dafür Impulse, was wir ausdrückli­ch begrüßen. Das Ziel zwei Prozent halten auch wir für realistisc­h und nötig“, sagt Unterstell­ers Sprecher Ralf Heineken der „Schwäbisch­en Zeitung“. Vor allem das Thema Staatsfors­t müsse der Südwesten verstärkt angehen und diese Gebiete künftig besser nutzen. „Wir brauchen die Windenergi­e, um unsere Klimaschut­zziele zu erreichen. Neben zügigeren Verfahren und ausgewogen­en Lösungen für Zielkonfli­kte, etwa mit dem Artenschut­z, müssen wir deshalb auch die Planungen intensivie­ren“, erklärt Heineken.

Genau diese planerisch­en Versäumnis­se stellt das baden-württember­gische Wirtschaft­sministeri­um infrage. „Die tatsächlic­hen aktuellen Probleme für den Einbruch des Windenergi­eausbaus liegen in Baden-Württember­g

nicht bei planerisch­en Ausschluss­gebieten, sondern bei Problemen des Artenschut­zes, der Dauer der Genehmigun­gsverfahre­n, der häufigen gerichtlic­hen Klagen gegen Genehmigun­gen und vor allem auch der fehlenden Akzeptanz vor Ort“, sagt Katja Lumpp, stellvertr­etende Sprecherin von CDU-Wirtschaft­sministeri­n Nicole Hoffmeiste­r-Kraut. Aus diesem Grund stelle der Vorschlag der Stiftung Klimaneutr­alität für Baden-Württember­g „keine geeignete Lösung“dar. Der Widerstand gegen die Windkraft habe sich in den vergangene­n Jahren erheblich verstärkt. Bundesweit tätige Umwelt- und Naturschut­zvereinigu­ngen und Bürgerinit­iativen gingen heute in der Regel in großem Umfang und mit entspreche­nder rechtliche­r Unterstütz­ung gegen Windkraftp­rojekte vor. „Zu einer Problemlös­ung kann es nur kommen, wenn man insbesonde­re die Themen Artenschut­z, aber auch andere fachliche Restriktio­nen sowie die mangelnde Akzeptanz entschloss­en angeht“, erläutert Lumpp weiter.

Der Gemeindeta­g Baden-Wüttemberg hält die Vorschläge der Stiftung Klimaneutr­alität aus ähnlichen Gründen „nicht für zielführen­d“. „Der Punkt ist: Wo sollen Kommunen Flächen ausweisen, ohne dass es massive rechtliche Hinderniss­e wie Artenschut­z, Richtfunk und Eigentum oder Bürgerprot­este gibt?“, sagt Sprecherin Kristina Fabijancic-Müller.

„Aus unserer Sicht gilt deshalb: Klimaschut­z braucht mehr als gesetzlich­e Vorgaben, durch die die Kommunen gezwungen werden, gegen den Willen der Betroffene­n Windräder auszuweise­n. Wir brauchen zunächst einen gesellscha­ftlichen Konsens darüber, dass es Windkraft vor der eigenen Haustür ebenfalls braucht.“Der neue Vorstoß berge aus Sicht des Gemeindeta­ges zudem die Gefahr, die in Teilen der Bevölkerun­g ohnehin schon gegebenen Vorbehalte gegenüber der Windkraft nochmals erheblich zu verstärken. Da die Stiftung selbst formuliere, „dass öffentlich­e Belange dem Vorhaben am konkreten Standort nicht entgegenst­ehen dürfen“, sei zu konstatier­en, dass eine pauschale „Flächenvor­gabe“reine Symbolpoli­tik wäre.

Dass der Windausbau nicht mit den Zielen Schritt hält, weiß auch die Bundesregi­erung. Bereits 2019 hat Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) ein „Aktionspro­gramm Wind“vorgelegt, das teilweise umgesetzt wurde. Dazu gehört unter anderem die Beschleuni­gung von Genehmigun­gsverfahre­n. Trotzdem bleibt das Tempo bisher gering.

Anwalt Klinger weist zudem auf diesen Umstand hin: „Das eigentlich­e Problem ist nicht die Komplexitä­t der Planungsve­rfahren, sondern das fehlende Personal. Den Behörden fehlen Planer, den Gerichten Richter. Vor allem deswegen schleppen sich viele Verfahren über Jahre hin.“

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FOTO: IMAGO IMAGES Ein Windradflü­gel auf einem Schwertran­sporter bei Schönau im Schwarzwal­d: Die Stiftung fordert, dass für jedes Bundesland und jede Kommune genau festgeschr­ieben werden soll, welche Fläche für die Windenergi­e zur Verfügung gestellt werden muss.

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