Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Am Windrad scheiden sich die Geister
Baden-Württembergs Regierung bewertet Vorstoß zum Ausbau der erneuerbaren Energien völlig unterschiedlich
Sie sind in Sachen Energiewende zweifelsohne sinnvoll, jedoch sind Windräder – wie hier eines im Remstal – umstritten. Die Bundesregierung, dies wurde am Mittwoch mit dem Beschluss des Monitoringberichts zur Energie der Zukunft klar, setzt jedoch weiter auf die Technologie.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte, es müssten mehr Flächen für neue Windenergieanlagen ausgewiesen werden.
BERLIN/RAVENSBURG - Wunsch und Wirklichkeit gehen bei der Energiewende in Deutschland mitunter auseinander. Besonders deutlich ist der Widerspruch, wenn es um den Ausbau der Windräder an Land geht. Um die Ziele der Bundesregierung für den Klimaschutz einzuhalten, müssten jährlich mehr als tausend Rotoren zusätzlich entstehen. Tatsächlich kamen im vergangenen Jahr nur gut 400 hinzu. Planerische Hindernisse, Artenschutzregeln und Bürgerinitiativen verhindern neue Anlagen.
Wie schwierig es ist, das Problem des stockenden Ausbaus der Windenergie zu lösen, wie groß die Interessenskonflikte zwischen Bundespolitikern, Landespolitikern, Kommunalvertretern und Anwohnern sind, zeigt die Debatte um einen neuen Vorstoß der Stiftung Klimaneutralität, die in der vergangenen Woche eine neuen Vorschlag gemacht hat: Sie fordert, das Bundesbaugesetz zu ändern. Die baden-württembergische Landesregierung bewertet den Vorschlag aus Berlin völlig unterschiedlich: Während das Umweltministerium von Minister Franz Untersteller (Grüne) die neuen Ideen begrüßt, hält das Wirtschaftsministerium von Nicole HoffmeisterKraut (CDU) nichts von dem Vorschlag. Auch der Gemeindetag Baden-Württemberg glaubt nicht, dass die Stiftung Klimaneutralität mit ihrem Vorschlag richtig liegt.
Im Kern fordert die Stiftung, dass für jedes Bundesland und jede Kommune festgeschrieben werden soll, welche Fläche für die Windenergie zur Verfügung gestellt werden muss. „Das wäre ein großer Schritt nach vorne“, sagte Rainer Baake (Grüne), Chef der Stiftung und ehemaliger Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Der Bundestag solle im Baugesetz vorschreiben, dass grundsätzlich zwei Prozent der Landesfläche mit Rotoren bebaut werden können. Heute ist etwa ein Prozent belegt. Nicht jede Kommune müsste dann exakt zwei Prozent der Fläche reservieren. Der Vorschlag sieht vor, dass Gebiete abgezogen werden, die durch Autobahnen, Bahnlinien, Naturschutzgebiete und Ähnliches besetzt sind. Im Durchschnitt sollten die zwei Prozent dann aber zusammenkommen, erläutert Baake.
Was das praktisch bedeutet, zeigt eine Karte der Stiftung. Gelbe Flächen geben an, wo wenige neue Windräder dazukämen. Diese gibt es in weiten Teilen Nordrhein-Westfalens, dem Ruhrgebiet, Ostwestfalen, rund um Bremen, Hamburg, in Ballungsräumen wie Berlin oder München, und auch in Süd- und Ostbayern. Allerdings dominieren die blauen Flächen, wo mit zusätzlichen Rotoren
und Windparks zu rechnen wäre: beispielsweise im südwestlichen Niedersachsen zwischen Bremen und der nordrhein-westfälischen Landesgrenze, im zentralen, westlichen und nördlichen Bayern, in großen Teilen Baden-Württembergs, Brandenburgs, MecklenburgVorpommerns und Thüringens.
Mit der Rechtsänderung will die Stiftung erreichen, dass Kommunen mehr Windflächen ausweisen und Klagen vor Gericht die Planung nicht mehr so verzögern wie heute. „Wenn der Bund den Flächenbedarf für Windanlagen definiert und die Kommunen dem nachkommen müssen, fällt ein wesentlicher Streitpunkt vor Gericht weg“, sagte der Berliner Verwaltungsrechtler Remo Klinger. „Andere umstrittene Fragen wie etwa der Artenschutz bedrohter Tiere blieben aber offen“, schränkte er ein.
Oliver Krischer, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, begrüßte den Vorschlag: „Er rückt die Verantwortung der Kommunen in den Mittelpunkt der Debatte.“Außerdem „brauchen wir eine Diskussion darüber, dass sich viele Kommunen und ganze Bundesländer praktisch aus der Verantwortung für den Ausbau der Windenergie verabschieden“. Diese Spitze zeigt unter anderem nach Bayern – dort werden bislang kaum neue Anlagen gebaut. Sollten die Grünen mit der Union nach der Bundestagswahl im September über eine gemeinsame Bundesregierung verhandeln, könnte Baakes Vorschlag auf der Tagesordnung stehen.
Wenn es nach dem Ministerium von Baden-Württembergs grünem Umweltminister Franz Untersteller geht, wäre die Aufnahme des Plans in das Regierungsprogramm einer künftigen Bundesregierung richtig. Fehlende verfügbare Flächen seien eines der drängendsten Probleme für den Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere für den Ausbau der Windkraft. „Wir müssen bundesweit dafür eine Lösung finden, also Flächen stärker als bisher für die Windkraft zugänglich machen. Der Vorschlag der Stiftung Klimaneutralität liefert dafür Impulse, was wir ausdrücklich begrüßen. Das Ziel zwei Prozent halten auch wir für realistisch und nötig“, sagt Unterstellers Sprecher Ralf Heineken der „Schwäbischen Zeitung“. Vor allem das Thema Staatsforst müsse der Südwesten verstärkt angehen und diese Gebiete künftig besser nutzen. „Wir brauchen die Windenergie, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen. Neben zügigeren Verfahren und ausgewogenen Lösungen für Zielkonflikte, etwa mit dem Artenschutz, müssen wir deshalb auch die Planungen intensivieren“, erklärt Heineken.
Genau diese planerischen Versäumnisse stellt das baden-württembergische Wirtschaftsministerium infrage. „Die tatsächlichen aktuellen Probleme für den Einbruch des Windenergieausbaus liegen in Baden-Württemberg
nicht bei planerischen Ausschlussgebieten, sondern bei Problemen des Artenschutzes, der Dauer der Genehmigungsverfahren, der häufigen gerichtlichen Klagen gegen Genehmigungen und vor allem auch der fehlenden Akzeptanz vor Ort“, sagt Katja Lumpp, stellvertretende Sprecherin von CDU-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Aus diesem Grund stelle der Vorschlag der Stiftung Klimaneutralität für Baden-Württemberg „keine geeignete Lösung“dar. Der Widerstand gegen die Windkraft habe sich in den vergangenen Jahren erheblich verstärkt. Bundesweit tätige Umwelt- und Naturschutzvereinigungen und Bürgerinitiativen gingen heute in der Regel in großem Umfang und mit entsprechender rechtlicher Unterstützung gegen Windkraftprojekte vor. „Zu einer Problemlösung kann es nur kommen, wenn man insbesondere die Themen Artenschutz, aber auch andere fachliche Restriktionen sowie die mangelnde Akzeptanz entschlossen angeht“, erläutert Lumpp weiter.
Der Gemeindetag Baden-Wüttemberg hält die Vorschläge der Stiftung Klimaneutralität aus ähnlichen Gründen „nicht für zielführend“. „Der Punkt ist: Wo sollen Kommunen Flächen ausweisen, ohne dass es massive rechtliche Hindernisse wie Artenschutz, Richtfunk und Eigentum oder Bürgerproteste gibt?“, sagt Sprecherin Kristina Fabijancic-Müller.
„Aus unserer Sicht gilt deshalb: Klimaschutz braucht mehr als gesetzliche Vorgaben, durch die die Kommunen gezwungen werden, gegen den Willen der Betroffenen Windräder auszuweisen. Wir brauchen zunächst einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass es Windkraft vor der eigenen Haustür ebenfalls braucht.“Der neue Vorstoß berge aus Sicht des Gemeindetages zudem die Gefahr, die in Teilen der Bevölkerung ohnehin schon gegebenen Vorbehalte gegenüber der Windkraft nochmals erheblich zu verstärken. Da die Stiftung selbst formuliere, „dass öffentliche Belange dem Vorhaben am konkreten Standort nicht entgegenstehen dürfen“, sei zu konstatieren, dass eine pauschale „Flächenvorgabe“reine Symbolpolitik wäre.
Dass der Windausbau nicht mit den Zielen Schritt hält, weiß auch die Bundesregierung. Bereits 2019 hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein „Aktionsprogramm Wind“vorgelegt, das teilweise umgesetzt wurde. Dazu gehört unter anderem die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Trotzdem bleibt das Tempo bisher gering.
Anwalt Klinger weist zudem auf diesen Umstand hin: „Das eigentliche Problem ist nicht die Komplexität der Planungsverfahren, sondern das fehlende Personal. Den Behörden fehlen Planer, den Gerichten Richter. Vor allem deswegen schleppen sich viele Verfahren über Jahre hin.“