Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Nach 27 Jahren
Amazon-Gründer Jeff Bezos gibt Konzernführung ab
FRANKFURT - Er ist einer der reichste Menschen der Welt, der hier seinen Hut nimmt und von der vordersten Linie seines Konzerns einen Schritt zurück macht: Jeff Bezos wechselt in den Führungsetagen von Amazon von der operativen Konzernleitung an die Spitze des Amazon-Verwaltungsrates. Seine Nachfolge wird Andy Jassy antreten – im Unternehmen einer der engsten Vertrauten von Jeff Bezos. Die Meldung kam überraschend am Dienstagabend. Der Rückzug von Jeff Bezos ist es nicht, denn genau besehen ist es kein Rückzug. Doch dazu später.
Vor 27 Jahren kritzelte der Absolvent der Universität Princeton auf einer Autofahrt die Idee für eine Firma auf einen Zettel. Kurz darauf gründete der 30-Jährige gemeinsam mit seiner Frau „Cadavra“. Die Menschheit darf es den beiden heute danken, dass sie selbst merkten, dass das ziemlich nahe am Wörtchen Kadaver vorbeischrammt. Also Amazon. Ein Buchladen quasi in einer Garage. Denn wer über das Internet Bestellungen von Büchern organisiert, braucht keine teure Inneneinrichtung, sondern nur etwas Lagerplatz.
Aus dem Online-Buchshop erwuchs ein Online-Versandhändler, der von Tomaten über Elektronik und Klamotten bis zu Büromöbeln so ziemlich alles versendet, was versendbar ist. Sieben Millionen Pakete verschickt Amazon weltweit jeden Tag. Daneben ist Amazon der mit Abstand größte Cloud-Anbieter. Seine Server bilden quasi das Grundgerüst des Internets. Amazon betreibt eine Supermarktkette und liefert seine Pakete mit wachsender Logistikflotte auch selbst aus. Für Jeff Bezos arbeiten heute 1,3 Millionen Menschen; im letzten Quartal haben er und sein Unternehmen den Gewinn auf 7,2 Milliarden US-Dollar verdoppeln können. Dabei ist für Bezos ein Gewinn stets auch das Ergebnis von Sparsamkeit.
So ist überliefert, dass die erste Ausstattung von Amazon-Büros einer Werbeaktion eines Baumarktes zu verdanken ist. Dort waren Türen im Angebot. Bezos kaufte ein paar davon, legte sie auf Böcke – und fertig waren die Schreibtische. Tatsache ist, dass Bezos bis 1999 noch mit einem Honda Accord durch die Straßen kurvte – da war er bereits Milliardär. Das sei ein tadelloser Wagen, antwortete er knapp auf Nachfragen.
Auch heute begrüßt der AmazonChef neben zündenden Ideen für neue Geschäftszweige vor allem Vorschläge zur Kostensenkung im Unternehmen. Diese Mentalität muss verstehen, wer nachvollziehen will, warum ein weltumspannender Konzern es bis heute verhindert, mit den Beschäftigten in Deutschland einen Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel zu schließen. Amazon sieht sich in diesem Konflikt als Logistiker und verweigert das.
Von vielen Seiten hagelte es immer wieder Kritik, sei es an der Person Bezos selbst oder aber an seinem mächtigen Unternehmen. Kürzlich erst haben rund 400 Parlamentarier sich international zusammengetan und einen Brief an Bezos geschrieben. Darin kritisieren sie die Umweltpolitik, die niedrigen Steuerabgaben und die Arbeitsbedingungen, für die Bezos bei Amazon sorgt. Während sein Vermögen während der Krise jede Stunde um 13 Millionen Euro gestiegen sei, fänden sich die Beschäftigten in gefährlichen Arbeitsbedingungen wieder, bekämen keine Erhöhung ihrer Stundensätze und müssten mit Vergeltung rechnen, wenn sie versuchen, sich zu organisieren.
Solche Schreiben musste Jeff Bezos in letzter Zeit häufiger lesen und verdauen. Das Bundeskartellamt ermittelt, in der EU diskutiert man eine Digitalsteuer für Technologieriesen wie Amazon und die Beschränkung ihrer Macht, in den USA denken manche sogar über eine Zerschlagung des Konzerns nach, um die gewaltige Marktmacht des Bezos-Universums zumindest zu begrenzen. Die ist gerade durch die Corona-Pandemie noch einmal stark gestiegen, zum Nachteil von Einzelhändlern.
Vermutlich dürfte auch das ihm die Entscheidung erleichtert haben, aus dem Rampenlicht zu treten und vielleicht auch in einen neuen Schreibtisch zu investieren, wenn er sein neues Büro als Chef-Verwaltungsrat von Amazon bezieht. Jetzt kann er sich vermehrt um seine anderen Lebensprojekte kümmern – etwa seine Raumfahrtgesellschaft Blue Origin, die Washington Post, die er sich vor einigen Jahren gekauft hatte oder die Stiftungsfonds, die er aufgelegt hat, unter anderem um sozial benachteiligten Kindern zu helfen. Vor allem aber ist sein erklärter Wille, auch künftig als Verwaltungsratschef in wichtigen Bereichen des Unternehmens weiter mitzumischen. Jeff Bezos tritt also einen Schritt zurück. Die Fäden bei Amazon, die hält er weiterhin in der Hand.