Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Impfregeln des Bundes stoßen auf Kritik
Medizinisches Personal soll weniger wirksames Vakzin von Astra-Zeneca bekommen
BERLIN - Pflegekräfte, Klinikpersonal und Ärzte sollen nach Möglichkeit mit dem Covid-19-Vakzin von Astra-Zeneca geimpft werden und nicht mit den Produkten von Biontech und Moderna. Das sieht der Entwurf einer neuen Impfverordnung vor, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in den nächsten Tagen in Kraft setzen will. Astra-Zeneca liefert die ersten 600 000 Dosen am kommenden Montag.
Das könnte zu Konflikten führen. Denn dieser Impfstoff verhindert nur in 60 Prozent der Fälle eine Erkrankung, während die anderen Mittel zu über 90 Prozent wirksam sind. Der Grund für die unterschiedliche Behandlung: Das Astra-Zeneca-Vakzin ist nach einer Empfehlung der Ständigen Impfkommission nur für Menschen zwischen 18 und 64 Jahren zugelassen. Bei Älteren ist es nicht ausreichend getestet. Es kann also nicht für Über-80-Jährige eingesetzt werden, die ebenso zur Gruppe gehören, die mit höchster Priorität geimpft wird.
Mitarbeiter in Kliniken und Pflegeheimen, die bereits geimpft sind, haben die wirksameren Mittel von Biontec und Moderna erhalten. Künftig soll das ausdrücklich nur noch geschehen, wenn das Vakzin von Astra-Zeneca nicht zur Verfügung steht. Dies könnte sich negativ auf die Impfbereitschaft auswirken.
Die Gesundheitsministerkonferenz hatte nach Medienberichten bereits vor einer Debatte um „Zwei-KlassenImpfungen“gewarnt.
Nach der Verordnung soll es zudem möglich sein, in Härtefällen früher zu impfen. Um von den bisherigen Priorisierungen abweichen zu können, reicht allerdings ein ärztliches Attest nicht aus. Vielmehr sollen die Länder Stellen einrichten, die jeden Einzelfall prüfen.
Nach den Plänen von Spahn sollen zudem einige chronisch Kranke schneller geimpft werden: Sie rücken in die Gruppen mit hoher oder erhöhter Priorität auf. Das gilt etwa für Menschen, die an Diabetes mellitus oder chronischen Lebererkrankungen leiden. Gleiches gilt für schwer Übergewichtige oder chronisch Nierenkranke. Wenn sie zwischen 18 und 64 Jahren alt sind, haben sie alle aber nur Anspruch auf das Vakzin von Astra-Zeneca.
Der Heidelberger Impfstoffhersteller Curevac, der frühestens im zweiten Quartal mit einer Zulassung rechnet, denkt schon weiter: Er will zusammen mit dem britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline Impfstoffe entwickeln, die vor mutierten Varianten des Coronavirus schützen. Curevac hatte sich bereits mit dem Bayer-Konzern verbündet. Die Briten wollen zudem noch in diesem Jahr bis zu 100 Millionen Dosen des ersten Curevac-Impfstoffs produzieren, der sich aktuell in klinischen Tests der Phase-2b/3 befindet und in den nächsten Monaten zugelassen werden könnte. Zudem gibt es laut Spahn Überlegungen, den russischen Impfstoff Sputnik V in Europa herzustellen. Nach Produktionskapazitäten werde gesucht.
Derweil ist eine Diskussion um Privilegien für Geimpfte entbrannt. Private Veranstalter sollten aus Sicht des Ticketverkäufers CTS Eventim in Zukunft zumindest die Möglichkeit haben, nur geimpfte Menschen für Veranstaltungen zuzulassen. Bundesjustizministerin Christina Lambrecht (SPD) wies am Mittwoch darauf hin, dass dies grundsätzlich legitim wäre. Das Thema wirft aber auch ethische Fragen auf. Am Donnerstag will der Deutsche Ethikrat um die Vorsitzende Alena Buyx eine Empfehlung „Besondere Regeln für Geimpfte?“vorstellen.
„Wenn es genug Impfstoff gibt und jeder sich impfen lassen kann, dann sollten privatwirtschaftliche Veranstalter auch die Möglichkeit haben, eine Impfung zur Zugangsvoraussetzung für Veranstaltungen zu machen“, sagte Eventim-Chef KlausPeter Schulenberg der „Wirtschaftswoche“. Das Unternehmen habe seine Systeme so eingerichtet, dass diese auch Impfausweise lesen könnten.
Lambrecht hat keinen grundsätzlichen Einwand gegen den Appell des Unternehmens. „Es macht einen großen Unterschied, ob der Staat Grundrechte einschränken muss oder ob Private Angebote für bestimmte Personengruppen machen möchten“, sagte die SPD-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Mittwoch. Privatunternehmen dürften im Grundsatz selbst bestimmen, mit wem sie Geschäfte machen möchten.
Prinzipiell sei es möglich, dass ein privater Veranstalter einen Impfnachweis fordert, sagte auch Lasse Konrad, Rechtsanwalt für Datenschutz bei der Berliner Kanzlei Härting, der „Schwäbischen Zeitung“– wenn die Forderung klar ersichtlich und transparent ist. Es sei aber auch möglich, dass der Gesetzgeber Regeln vorgibt, wie Veranstalter zu verfahren haben. Die Kontrolle könne kompliziert werden. Grundsätzlich halte er aber solche Eingriffe in Kundenrechte für bedenklich, betonte der Datenschutzexperte.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte bereits vor einigen Wochen vor besonderen Regeln für Geimpfte gewarnt, weil dies auf einen Impfzwang durch die Hintertür hinauslaufen könnte. Einen Zwang zur Corona-Impfung hatte die Bundesregierung stets ausgeschlossen. Allerdings hatten sich andere Politiker dafür ausgesprochen, Geimpften erweiterte Freiheiten einzuräumen. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte Mitte Januar gefordert, Geimpften früher als anderen den Besuch von Restaurants oder Kinos zu erlauben. Der oberbayerische Landkreis Altötting hatte am 22. Januar damit begonnen, Corona-Geimpften digitale Impfkarten auszuhändigen.