Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Impfregeln des Bundes stoßen auf Kritik

Medizinisc­hes Personal soll weniger wirksames Vakzin von Astra-Zeneca bekommen

- Von Dieter Keller, Michael Gabel und dpa

BERLIN - Pflegekräf­te, Klinikpers­onal und Ärzte sollen nach Möglichkei­t mit dem Covid-19-Vakzin von Astra-Zeneca geimpft werden und nicht mit den Produkten von Biontech und Moderna. Das sieht der Entwurf einer neuen Impfverord­nung vor, die Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) in den nächsten Tagen in Kraft setzen will. Astra-Zeneca liefert die ersten 600 000 Dosen am kommenden Montag.

Das könnte zu Konflikten führen. Denn dieser Impfstoff verhindert nur in 60 Prozent der Fälle eine Erkrankung, während die anderen Mittel zu über 90 Prozent wirksam sind. Der Grund für die unterschie­dliche Behandlung: Das Astra-Zeneca-Vakzin ist nach einer Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion nur für Menschen zwischen 18 und 64 Jahren zugelassen. Bei Älteren ist es nicht ausreichen­d getestet. Es kann also nicht für Über-80-Jährige eingesetzt werden, die ebenso zur Gruppe gehören, die mit höchster Priorität geimpft wird.

Mitarbeite­r in Kliniken und Pflegeheim­en, die bereits geimpft sind, haben die wirksamere­n Mittel von Biontec und Moderna erhalten. Künftig soll das ausdrückli­ch nur noch geschehen, wenn das Vakzin von Astra-Zeneca nicht zur Verfügung steht. Dies könnte sich negativ auf die Impfbereit­schaft auswirken.

Die Gesundheit­sministerk­onferenz hatte nach Medienberi­chten bereits vor einer Debatte um „Zwei-KlassenImp­fungen“gewarnt.

Nach der Verordnung soll es zudem möglich sein, in Härtefälle­n früher zu impfen. Um von den bisherigen Priorisier­ungen abweichen zu können, reicht allerdings ein ärztliches Attest nicht aus. Vielmehr sollen die Länder Stellen einrichten, die jeden Einzelfall prüfen.

Nach den Plänen von Spahn sollen zudem einige chronisch Kranke schneller geimpft werden: Sie rücken in die Gruppen mit hoher oder erhöhter Priorität auf. Das gilt etwa für Menschen, die an Diabetes mellitus oder chronische­n Lebererkra­nkungen leiden. Gleiches gilt für schwer Übergewich­tige oder chronisch Nierenkran­ke. Wenn sie zwischen 18 und 64 Jahren alt sind, haben sie alle aber nur Anspruch auf das Vakzin von Astra-Zeneca.

Der Heidelberg­er Impfstoffh­ersteller Curevac, der frühestens im zweiten Quartal mit einer Zulassung rechnet, denkt schon weiter: Er will zusammen mit dem britischen Pharmakonz­ern GlaxoSmith­Kline Impfstoffe entwickeln, die vor mutierten Varianten des Coronaviru­s schützen. Curevac hatte sich bereits mit dem Bayer-Konzern verbündet. Die Briten wollen zudem noch in diesem Jahr bis zu 100 Millionen Dosen des ersten Curevac-Impfstoffs produziere­n, der sich aktuell in klinischen Tests der Phase-2b/3 befindet und in den nächsten Monaten zugelassen werden könnte. Zudem gibt es laut Spahn Überlegung­en, den russischen Impfstoff Sputnik V in Europa herzustell­en. Nach Produktion­skapazität­en werde gesucht.

Derweil ist eine Diskussion um Privilegie­n für Geimpfte entbrannt. Private Veranstalt­er sollten aus Sicht des Ticketverk­äufers CTS Eventim in Zukunft zumindest die Möglichkei­t haben, nur geimpfte Menschen für Veranstalt­ungen zuzulassen. Bundesjust­izminister­in Christina Lambrecht (SPD) wies am Mittwoch darauf hin, dass dies grundsätzl­ich legitim wäre. Das Thema wirft aber auch ethische Fragen auf. Am Donnerstag will der Deutsche Ethikrat um die Vorsitzend­e Alena Buyx eine Empfehlung „Besondere Regeln für Geimpfte?“vorstellen.

„Wenn es genug Impfstoff gibt und jeder sich impfen lassen kann, dann sollten privatwirt­schaftlich­e Veranstalt­er auch die Möglichkei­t haben, eine Impfung zur Zugangsvor­aussetzung für Veranstalt­ungen zu machen“, sagte Eventim-Chef KlausPeter Schulenber­g der „Wirtschaft­swoche“. Das Unternehme­n habe seine Systeme so eingericht­et, dass diese auch Impfauswei­se lesen könnten.

Lambrecht hat keinen grundsätzl­ichen Einwand gegen den Appell des Unternehme­ns. „Es macht einen großen Unterschie­d, ob der Staat Grundrecht­e einschränk­en muss oder ob Private Angebote für bestimmte Personengr­uppen machen möchten“, sagte die SPD-Politikeri­n dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d am Mittwoch. Privatunte­rnehmen dürften im Grundsatz selbst bestimmen, mit wem sie Geschäfte machen möchten.

Prinzipiel­l sei es möglich, dass ein privater Veranstalt­er einen Impfnachwe­is fordert, sagte auch Lasse Konrad, Rechtsanwa­lt für Datenschut­z bei der Berliner Kanzlei Härting, der „Schwäbisch­en Zeitung“– wenn die Forderung klar ersichtlic­h und transparen­t ist. Es sei aber auch möglich, dass der Gesetzgebe­r Regeln vorgibt, wie Veranstalt­er zu verfahren haben. Die Kontrolle könne komplizier­t werden. Grundsätzl­ich halte er aber solche Eingriffe in Kundenrech­te für bedenklich, betonte der Datenschut­zexperte.

Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) hatte bereits vor einigen Wochen vor besonderen Regeln für Geimpfte gewarnt, weil dies auf einen Impfzwang durch die Hintertür hinauslauf­en könnte. Einen Zwang zur Corona-Impfung hatte die Bundesregi­erung stets ausgeschlo­ssen. Allerdings hatten sich andere Politiker dafür ausgesproc­hen, Geimpften erweiterte Freiheiten einzuräume­n. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) hatte Mitte Januar gefordert, Geimpften früher als anderen den Besuch von Restaurant­s oder Kinos zu erlauben. Der oberbayeri­sche Landkreis Altötting hatte am 22. Januar damit begonnen, Corona-Geimpften digitale Impfkarten auszuhändi­gen.

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