Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Moskau fühlt sich im Recht
EU erwägt Sanktionen wegen Nawalnys Verhaftung
MOSKAU (dpa) - Trotz weltweiter Kritik an der Verurteilung des Kremlgegners Alexej Nawalny sieht Russland keinen Grund zu Handeln. „Diese Hysterie über den NawalnyProzess ist völlig übertrieben“, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch vor Journalisten in Moskau. „In Bezug auf Russland ist die westliche Berichterstattung selektiv und einseitig.“Die Bundesregierung zeigte sich indes offen für neue Strafmaß- nahmen der EU gegen Moskau. „Weitere Sanktionen sind nicht ausgeschlossen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.
Er kritisierte das Urteil eines Moskauer Gerichts gegen Nawalny als „fernab rechtsstaatlicher Prinzipien“. Die gesamte Bundesregierung fordere die Freilassung des Oppositionellen. Außerdem verurteile sie die „systematische Gewaltanwendung gegen friedliche Demonstranten“in ganz Russland. Seibert sprach von „empörenden Beispielen von Polizeibrutalität“bei den Protesten gegen die Inhaftierung Nawalnys.
Nawalny war am Dienstag in einem international kritisierten Prozess zu dreieinhalb Jahren Haft im Straflager verurteilt worden. Ihm werden ein mehrmonatiger Hausarrest
und Haftzeiten angerechnet, sodass seine Anwälte von zwei Jahren und acht Monaten im Straflager ausgehen. Er käme damit im Oktober 2023 wieder frei.
Nach dem Richterspruch hatte es vor allem in der Hauptstadt Moskau und in St. Petersburg Massenproteste mit massiver Polizeigewalt und Verletzten gegeben. Menschenrechtler sprachen von mehr als 1400 Festnahmen. Bereits am Sonntag waren demnach landesweit rund 5700 Menschen in Polizeigewahrsam gekommen – das sind innerhalb von nur zwei Tagen 7000 Festnahmen.
Moskau steht international in der Kritik. Neben Deutschland hatten etwa die USA, Frankreich und Großbritannien die sofortige Freilassung des 44-Jährigen gefordert. In der EU werden bereits seit dem vergangenen Monat neue EU-Sanktionen gegen Russland diskutiert.
Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis geht bei dieser Frage von einem breiten Konsens innerhalb der EU aus. „Ich glaube, da eine echte Haftstrafe schon verhängt worden ist, sollten die Sanktionen praktisch automatisch und ohne größeren Widerstand der europäischen Minister in Kraft treten“, sagte er im litauischen Radio.
Dagegen warnte der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums, Matthias Platzeck, vor Strafmaßnahmen. Sie würden nur kurzfristig befriedigen, sagte er im Deutschlandfunk. „Die Sanktionen der letzten sechs Jahre haben nichts verbessert, aber fast alles verschlechtert.“