Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Luchs geht um
Im Südwesten gibt es unterschiedliche Meinungen zur Wiederansiedlung von weiblichen Tieren
STUTTGART (dpa) - Wilhelm muss ein ziemlich einsamer Typ sein. Seit mehr als fünf Jahren streunt der Luchs durch den Südschwarzwald, ab und zu tapst er auch mal in eine Fotofalle oder hinterlässt seine Tatzenspuren im Schnee. Toni, Lias und das vierte heimische Männchen mit dem sperrigen Namen „B723“dürfte der scheue Wilhelm kaum kennen.
Und auch weibliche Bekanntschaft haben die freilebenden Pinselohren in ihrem Revier bislang nicht machen können. Wie auch? Denn Luchsweibchen machen einen weiten Bogen um den Südwesten. Das wird auch noch länger so bleiben, wie es scheint. Denn um eine Wiederansiedlung der Luchs-Damen wird zwar seit Langem gestritten. Entschieden wird aber nur jenseits der Landesgrenzen.
Die Gräben gehen quer durch die Landesregierung, es gibt neidische Blicke in den Harz, in die Pfalz und in die Schweiz, ablehnende Bauern und kritische Jäger. Naturschützer stellen Bedingungen und eine Initiative von Tierfreunden steht dabei und schüttelt den Kopf.
Der zuständige Forstminister Peter Hauk (CDU) zum Beispiel hätte gar nichts einzuwenden gegen eine gesteuerte Wiederansiedlung der Raubkatzen. „Ich stehe einer Bestandsstützung des Luchses in Baden-Württemberg durch Auswilderung von weiblichen Tieren grundsätzlich offen gegenüber“, sagt er. Pläne lägen in der Schublade, ein Papier zum Umgang mit dem Luchs in Baden-Württemberg soll in diesem Jahr präsentiert werden.
Das Problem: Hauk ist nicht nur zuständig für Naturparks und Tierschutz, er vertritt auch die Bauern und die Jäger. Ein schmaler Grat, das zeigt sich auch bei den Wölfen. Deshalb macht er die breite Akzeptanz bei den Betroffenen zur Bedingung für ein Luchs-Projekt. „Bei der gibt es derzeit immer noch Verbesserungsbedarf“, räumt der CDU-Politiker ein. „Aktuell sehen wir die notwendige Akzeptanz als noch nicht hinreichend gegeben an.“
Auch der grüne Koalitionspartner sieht die Bedeutung: „Für besonders gefährdete Arten übernehmen wir Verantwortung und stärken Artenschutzprojekte“, heißt es in dessen Programm für die Landtagswahl Mitte März. „So setzen wir uns für eine aktive Bestandsstützung des Luchses in Baden-Württemberg ein.“Die Raubkatze gehöre zur biologischen Vielfalt des Landes, wirbt Markus
Rösler, der naturschutzpolitische Sprecher der Grünen im Stuttgarter Landtag. Fürs Auswildern eigneten sich vor allem die Schwäbische Alb und dort speziell der Naturpark Obere Donau sowie der Schwarzwald.
Im Haus des grünen Umweltministers winkt man allerdings ab. „Wir stehen einer Wiederansiedlung – was aktives Zutun bedeutet – skeptisch bis ablehnend gegenüber“, sagt ein Sprecher. Unter anderem müsse das Land dann für Schäden aufkommen, die durch den Luchs verursacht würden.
„Abwarten“lautet vielmehr die Devise: „Wir gehen davon aus, dass eine natürliche Wiedereinwanderung möglich ist, auch wenn es vermutlich längere Zeit dauern wird, bis dadurch eine eigene Population im Land aufgebaut sein wird.“Luchse könnten zum Beispiel aus dem Auswilderungsprojekt im Pfälzerwald einwandern.
Die Zuwanderung der bislang nur männlichen Luchse zeige, dass die Etablierung einer eigenständigen Luchspopulation durch Zuwanderung nicht unmöglich sei. „Bei Schwarzstörchen hat es auch lange gedauert und nun haben sie sich in manchen Bereichen des Landes gut etabliert“, sagt der Ministeriumssprecher.
Experten machen da allerdings wenig Hoffnung. „Die Chancen, dass sich in Baden-Württemberg alleine durch Zuwanderung aus der Schweiz eine Luchspopulation entwickelt, sind sehr gering“, heißt es bei der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt
(FVA) Baden-Württemberg. Luchsweibchen breiteten sich kaum aus. Eine Zuwanderung aus der neuen Population in Rheinland-Pfalz sei wegen massiver Hindernisse ebenfalls nahezu ausgeschlossen. „In Europa sind noch an keinem Ort Luchspopulationen durch Zuwanderungen über vergleichbare Barrieren hinaus entstanden.“Das sieht Verena Schiltenwolf von der Luchs-Initiative BadenWürttemberg genauso. „Will man den Luchs zurückhaben, muss man auch etwas dafür tun und zahlen“, sagt sie.
Naturschützer sehen nun die Landesregierung am Zug: Der Bestand müsse mit ausgewilderten Weibchen unterstützt werden, um Aussicht auf Nachwuchs zu haben, sagt Nabu-Artenschutzexpertin Felicitas Rechtenwald. Wichtig wäre eine „staatliche Luchs-Familienplanung“, die von Drittmitteln wie Spenden, Sponsoring oder einer Jagdabgabe unterstützt werden könnte. Allerdings müsse der Luchs vor Ort akzeptiert werden, sagt auch Rechtenwald. Das gelte vor allem für die Jäger. „Nur so kann ein Auswilderungsprojekt erfolgreich sein.“
Mit gutem Beispiel geht die Schweiz voran, dort leben nach Wiederansiedlungen im Jura rund 300 Luchse. Auch Rheinland-Pfalz meldet Erfolge: Im Pfälzer Wald wurden im Rahmen eines Projekts 20 wilde Luchse aus der Schweiz und der Slowakei wieder angesiedelt. „Wir haben hier einen entsprechenden Rückhalt der Jäger und Nutztierhalter“, sagt denn auch Sylvia Idelberger, Leiterin des Auswilderungsprojekts „LIFE“.
Auch diese beiden Projekte könnten nach Ansicht der FVA aber gefährdet sein. Denn die dortigen Vorkommen seien ohne Luchse in Baden-Württemberg zahlenmäßig zu gering, um langfristig als gesichert zu gelten, sagt eine Sprecherin. „Genetische Inzuchterscheinungen sind absehbar“, warnte sie. „Ein Luchsvorkommen in Baden-Württemberg würde dieses Risiko deutlich reduzieren, da männliche Tiere regelmäßig den Hochrhein queren.“