Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Luchs geht um

Im Südwesten gibt es unterschie­dliche Meinungen zur Wiederansi­edlung von weiblichen Tieren

- Von Martin Oversohl

STUTTGART (dpa) - Wilhelm muss ein ziemlich einsamer Typ sein. Seit mehr als fünf Jahren streunt der Luchs durch den Südschwarz­wald, ab und zu tapst er auch mal in eine Fotofalle oder hinterläss­t seine Tatzenspur­en im Schnee. Toni, Lias und das vierte heimische Männchen mit dem sperrigen Namen „B723“dürfte der scheue Wilhelm kaum kennen.

Und auch weibliche Bekanntsch­aft haben die freilebend­en Pinselohre­n in ihrem Revier bislang nicht machen können. Wie auch? Denn Luchsweibc­hen machen einen weiten Bogen um den Südwesten. Das wird auch noch länger so bleiben, wie es scheint. Denn um eine Wiederansi­edlung der Luchs-Damen wird zwar seit Langem gestritten. Entschiede­n wird aber nur jenseits der Landesgren­zen.

Die Gräben gehen quer durch die Landesregi­erung, es gibt neidische Blicke in den Harz, in die Pfalz und in die Schweiz, ablehnende Bauern und kritische Jäger. Naturschüt­zer stellen Bedingunge­n und eine Initiative von Tierfreund­en steht dabei und schüttelt den Kopf.

Der zuständige Forstminis­ter Peter Hauk (CDU) zum Beispiel hätte gar nichts einzuwende­n gegen eine gesteuerte Wiederansi­edlung der Raubkatzen. „Ich stehe einer Bestandsst­ützung des Luchses in Baden-Württember­g durch Auswilderu­ng von weiblichen Tieren grundsätzl­ich offen gegenüber“, sagt er. Pläne lägen in der Schublade, ein Papier zum Umgang mit dem Luchs in Baden-Württember­g soll in diesem Jahr präsentier­t werden.

Das Problem: Hauk ist nicht nur zuständig für Naturparks und Tierschutz, er vertritt auch die Bauern und die Jäger. Ein schmaler Grat, das zeigt sich auch bei den Wölfen. Deshalb macht er die breite Akzeptanz bei den Betroffene­n zur Bedingung für ein Luchs-Projekt. „Bei der gibt es derzeit immer noch Verbesseru­ngsbedarf“, räumt der CDU-Politiker ein. „Aktuell sehen wir die notwendige Akzeptanz als noch nicht hinreichen­d gegeben an.“

Auch der grüne Koalitions­partner sieht die Bedeutung: „Für besonders gefährdete Arten übernehmen wir Verantwort­ung und stärken Artenschut­zprojekte“, heißt es in dessen Programm für die Landtagswa­hl Mitte März. „So setzen wir uns für eine aktive Bestandsst­ützung des Luchses in Baden-Württember­g ein.“Die Raubkatze gehöre zur biologisch­en Vielfalt des Landes, wirbt Markus

Rösler, der naturschut­zpolitisch­e Sprecher der Grünen im Stuttgarte­r Landtag. Fürs Auswildern eigneten sich vor allem die Schwäbisch­e Alb und dort speziell der Naturpark Obere Donau sowie der Schwarzwal­d.

Im Haus des grünen Umweltmini­sters winkt man allerdings ab. „Wir stehen einer Wiederansi­edlung – was aktives Zutun bedeutet – skeptisch bis ablehnend gegenüber“, sagt ein Sprecher. Unter anderem müsse das Land dann für Schäden aufkommen, die durch den Luchs verursacht würden.

„Abwarten“lautet vielmehr die Devise: „Wir gehen davon aus, dass eine natürliche Wiedereinw­anderung möglich ist, auch wenn es vermutlich längere Zeit dauern wird, bis dadurch eine eigene Population im Land aufgebaut sein wird.“Luchse könnten zum Beispiel aus dem Auswilderu­ngsprojekt im Pfälzerwal­d einwandern.

Die Zuwanderun­g der bislang nur männlichen Luchse zeige, dass die Etablierun­g einer eigenständ­igen Luchspopul­ation durch Zuwanderun­g nicht unmöglich sei. „Bei Schwarzstö­rchen hat es auch lange gedauert und nun haben sie sich in manchen Bereichen des Landes gut etabliert“, sagt der Ministeriu­mssprecher.

Experten machen da allerdings wenig Hoffnung. „Die Chancen, dass sich in Baden-Württember­g alleine durch Zuwanderun­g aus der Schweiz eine Luchspopul­ation entwickelt, sind sehr gering“, heißt es bei der Forstliche­n Versuchs- und Forschungs­anstalt

(FVA) Baden-Württember­g. Luchsweibc­hen breiteten sich kaum aus. Eine Zuwanderun­g aus der neuen Population in Rheinland-Pfalz sei wegen massiver Hinderniss­e ebenfalls nahezu ausgeschlo­ssen. „In Europa sind noch an keinem Ort Luchspopul­ationen durch Zuwanderun­gen über vergleichb­are Barrieren hinaus entstanden.“Das sieht Verena Schiltenwo­lf von der Luchs-Initiative BadenWürtt­emberg genauso. „Will man den Luchs zurückhabe­n, muss man auch etwas dafür tun und zahlen“, sagt sie.

Naturschüt­zer sehen nun die Landesregi­erung am Zug: Der Bestand müsse mit ausgewilde­rten Weibchen unterstütz­t werden, um Aussicht auf Nachwuchs zu haben, sagt Nabu-Artenschut­zexpertin Felicitas Rechtenwal­d. Wichtig wäre eine „staatliche Luchs-Familienpl­anung“, die von Drittmitte­ln wie Spenden, Sponsoring oder einer Jagdabgabe unterstütz­t werden könnte. Allerdings müsse der Luchs vor Ort akzeptiert werden, sagt auch Rechtenwal­d. Das gelte vor allem für die Jäger. „Nur so kann ein Auswilderu­ngsprojekt erfolgreic­h sein.“

Mit gutem Beispiel geht die Schweiz voran, dort leben nach Wiederansi­edlungen im Jura rund 300 Luchse. Auch Rheinland-Pfalz meldet Erfolge: Im Pfälzer Wald wurden im Rahmen eines Projekts 20 wilde Luchse aus der Schweiz und der Slowakei wieder angesiedel­t. „Wir haben hier einen entspreche­nden Rückhalt der Jäger und Nutztierha­lter“, sagt denn auch Sylvia Idelberger, Leiterin des Auswilderu­ngsprojekt­s „LIFE“.

Auch diese beiden Projekte könnten nach Ansicht der FVA aber gefährdet sein. Denn die dortigen Vorkommen seien ohne Luchse in Baden-Württember­g zahlenmäßi­g zu gering, um langfristi­g als gesichert zu gelten, sagt eine Sprecherin. „Genetische Inzuchters­cheinungen sind absehbar“, warnte sie. „Ein Luchsvorko­mmen in Baden-Württember­g würde dieses Risiko deutlich reduzieren, da männliche Tiere regelmäßig den Hochrhein queren.“

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Einer aktiven Wiederansi­edlung des Luchses steht das Umweltmini­sterium ablehnend gegenüber. Dass sich in Baden-Württtembe­rg alleine durch Zuwanderun­g eine Luchspopul­ation ansiedelt, halten Experten aber für unwahrsche­inlich.
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