Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Das Staunen des Schriftstellers
Haruki Murakami und sein magischer Erzählband „Erste Person Singular“
Haruki Murakami war neun, als er mit seinem Vater ein Baseballspiel der St. Louis Cardinals gegen ein japanisches All-StarTeam besuchte. Vor Spielbeginn warfen die Cardinals signierte Bälle ins Publikum. In der Überzeugung, er sei eh zu klein, um einen zu fangen, blieb Haruki sitzen. Im nächsten Augenblick fiel ihm ein signierter Ball buchstäblich in den Schoß. Wie ein Geschenk des Himmels. „Sehr gut“, sagte sein Vater halb verwundert, halb beeindruckt. „Übrigens sagte er das auch, als ich mit dreißig meinen ersten Roman veröffentlichte.“
In der Erzählung „Gesammelte Gedichte über die Yakult“erinnert sich der Baseballfan Haruki Murakami an das Ereignis im Koshien-Stadion. „Vermutlich war dies eines der glorreichsten Erlebnisse, die ich als Junge hatte. Dieser unerhörte Glücksfall mag entscheidend zu meiner Begeisterung für Baseball-Stadien beigetragen haben.“Und auch dafür, dass aus dem 1949 in Kyoto geborenen Jungen ein Schriftsteller wurde. Schrieb er doch bei Baseballspielen seine ersten Gedichte und Geschichten.
Mittlerweile ist Murakami ein gefeierter Bestsellerautor („Wilde Schafsjagd“, „1Q84“), wird in mehr als 50 Sprachen übersetzt und mit lieber Regelmäßigkeit als Anwärter für den Literaturnobelpreis gehandelt. Erscheint ein neues Buch von ihm, ist das immer ein Ereignis. Auch in Deutschland, wo der Streit über seinen Roman „Gefährliche Geliebte“im Jahr 2000 dazu führte, dass die Kritikerin Sigrid Löffler das Literarische Quartett verließ.
Der autobiografische Text über Baseball ist eine von acht Erzählungen des Bandes „Erste Person Singular“der jetzt (von Ursula Gräfe aus dem Japanischen übersetzt) auf Deutsch erscheint. Haruki Murakami in Bestform. Einmal mehr zeigt der Japaner sich als Meister des Magischen Realismus. Fast immer ist der
Ausgangspunkt der sonderbaren Geschichten ein in die Jahre gekommener Erzähler, oft ein Schriftsteller, der verwundert auf sein Leben zurückschaut und wie einst der Junge im Baseball-Stadion keine Erklärung besitzt für das, was sich da ereignet hat.
Ob es in „Crème de la Crème“das Mädchen ist, das ihn vor vielen Jahren als er 18 war und auf die Aufnahmeprüfung für die Uni wartete, zu einem Klavierkonzert eingeladen und ihn dann versetzt hat. Oder in „With The Beatles“die Mitschülerin, die er nur einmal kurz mit einer BeatlesPlatte über den Schulflur huschen sah. Und an die er sich, weil sie etwas in ihm zum Klingen brachte, trotzdem besser erinnern kann als an seine erste richtige Freundin. Immer herrscht der staunende Blick des Schriftstellers vor, der so viel erlebt – und trotzdem keine Antworten hat.
Nicht immer geht es mit rechten Dingen zu. Mal begegnet der Erzähler
auf Reisen im Gemeinschaftsbad seines Ryokan, jener traditionellen Hotels in Japan, einem sprechenden Affen. Der wäscht ihm den Rücken und erzählt, dass er sich nie in Affen, sondern nur in menschliche Frauen verliebe und ihnen zur Befriedigung seiner Triebe ihren Namen stehle („Bekenntnis des Affen von Hinagawa“). Mal berichtet Murakami wie er für einen Artikel eine Schallplatte des Jazzmusikers Charlie Parker erfunden habe, die nie existierte („Charlie Parker Plays Bossanova“). Jahre später in New York City aber findet er sie zu seiner Verwunderung in einem Second-Hand-Plattenladen in der East 14th Street. Soll heißen: Wenn ein Schriftsteller etwas in die Welt setzt, existiert es wirklich. Egal, ob es real ist oder reine Fantasie.
Die Mädchen und das Schreiben. Das sind die Themen von Haruki Murakami. So erklärt sich sein Erfolg. Und in den besten seiner Erzählungen
kommt beides zusammen. So wie in „Auf einem Kissen aus Stein“. Um sein Literatur-Studium zu finanzieren, jobbt der Ich-Erzähler in einem Restaurant. So wie auch das Mädchen, das ihn eines Abends fragt, ob sie mit zu ihm nach Hause kommen könne, weil sie nicht allein sein will. Die beiden schlafen miteinander, sehen sich danach nie wieder. Nichts ist ihm geblieben von dem Mädchen. Nicht mal mehr der Name fällt ihm ein. Nur die Anthologie mit den von ihr geschriebenen Gedichten, die sie ihm nach der gemeinsamen Nacht mit der Post zukommen ließ, besitzt er. „Während andere Worte und Gedanken zu Staub geworden und verschwunden sind.“
Haruki Murakami: Erste Person Singular. DuMont, 224 Seiten, 22
Euro.