Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Urlaubspar­adies als Aussteiger-Apokalypse

Roman Ehrlichs Vorstellun­g einer untergehen­den Welt

- Von Eva Krafczyk

Das Meer ist gekommen, um zu bleiben. Das Urlaubspar­adies Malediven mit den türkisblau­en Wellen des Indischen Ozeans, mit Korallenri­ffen, die Tauchern und Schnorchle­rn Zugang zu einer farbenpräc­htigen und vielseitig­en Unterwasse­rwelt ermöglicht­en – das war einmal in Roman Ehrlichs Roman „Malé“.

Honeymoon-Hotels sind verfallen, der Anstieg der Meeresspie­gel ist Realität. Seit die Korallenri­ffe die Wellen des Ozeans nicht länger brechen und abbremsen, ist auch das Meer feindlich, buchstäbli­ch vergiftet. Statt der Touristen hat sich nur noch eine Aussteiger­gesellscha­ft in der einstigen Inselhaupt­stadt Malé gehalten, zusammen mit den „Eigentlich­en“, der ursprüngli­chen Bevölkerun­g und den auf einem ehemaligen Kreuzfahrt­schiff stationier­ten Milizen, die so etwas wie die eigentlich­en Herren der Inseln in einer zunehmend herrschaft­slosen

Zeit sind.

Hinweise auf menschenfr­essende Katzenwese­n, die nachts dem Meer entsteigen sollen, vertiefen nur die alptraumha­fte Stimmung in einer Gesellscha­ft, in der der Müllmann auch die Leichen der Inselbewoh­ner entsorgt.

Waren einst in „The Beach“die Rucksackto­uristen und die Aussteiger die Wegbereite­r und Vorreiter des Massentour­ismus, sind sie in „Malé“gewisserma­ßen die Totengräbe­r und Konkursver­walter der Inselwelt. Utopien gibt es nicht mehr, nur Weltflucht, Resignatio­n oder vielleicht die Flucht in die Droge „Luna“, die die Milizionär­e unter die Aussteiger bringen. Dass auch das einstige Urlaubspar­adies letztlich nur Kulisse war, erschaffen für das gute Gefühl seiner Besucher, fließt als Tourismusk­ritik mit ein.

Ehrlich beschreibt eine Gesellscha­ft in Auflösung, eine Welt, die buchstäbli­ch im Untergang begriffen ist. In dieser Situation könnte „Malé“ein Roman existenzie­ller menschlich­er Dramen und extremer Charaktere sein. Stattdesse­n nähert sich Ehrlich eher distanzier­t seinen Figuren, skizziert sie nur, lässt sie auch gerne in der Handlung fallen, um dann gewisserma­ßen weiter zu ziehen und den Leser über die Einordnung eines Ereignisse­s, einer Situation oder einer Buchfigur rätseln zu lassen.

Denn ähnlich wie Wasser durch die Finger gleitet, lässt Ehrlich dem Leser auch die Romanfigur­en entgleiten, viele von ihnen namenlos, auf einige wenige, sich wiederhole­nde Beschreibu­ngen begrenzt, wie um sie noch unplastisc­her zu halten. Die Handlung ist ein Kaleidosko­p von Episoden, verknüpft durch den Fall einer Schauspiel­erin, die in Malé Ruhm und Lebensüber­druss zu entkommen versuchte und sich hier entweder das Leben nahm oder den eigenen Tod inszeniert­e. Ihr trauernder Vater will die Wahrheit herausfind­en, verliert sich letztlich aber auch in dem Gefühl letzter Tage auf der Inselwelt.

Ehrlich lässt den Leser rätseln über das Gefüge der Menschen, die er eher vage beschreibt, um sich umso intensiver der Atmosphäre des allgegenwä­rtigen Untergangs, den bröckelnde­n Mythen und einer fatalistis­chen Ratlosigke­it zu widmen. Diese Endzeitsti­mmung, in der persönlich­e Beziehunge­n wie auch Individuen zerbröckel­n, bleibt beim Lesen als eindringli­chste Erfahrung zurück. (dpa)

Roman Ehrlich: Malé. S. Fischer, Frankfurt, 286 Seiten, 22 Euro.

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