Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Streit um Insektensc­hutz flammt neu auf

Streitpunk­te vor den Landtagswa­hlen – Was die Parteien für Feld, Wald und Wiesen planen

- Von Kara Ballarin

BERLIN/STUTTGART (dpa/kab) - Im Streit um ein Gesetzespa­ket zum Insektensc­hutz erhöhen die Bauern den Druck auf Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) und schalten das Kanzleramt ein. Das Paket aus Insektensc­hutzgesetz und sogenannte­r Pflanzensc­hutzanwend­ungsverord­nung, dessen Entwurf am kommenden Mittwoch vom Bundeskabi­nett beschlosse­n werden soll, habe weitreiche­nde Konsequenz­en, heißt es in einem Brief des Deutschen Bauernverb­ands an Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Nun droht erneuter Streit zwischen Bauern und Naturschüt­zern. Der tobte auch 2019 im Südwesten, bevor alle Gruppen gemeinsame Kompromiss­e fanden. Gerade diese stünden durch das Gesetz auf dem Spiel, monieren Peter Hauk (CDU) und weitere Unionsagra­rminister der Länder in einem Brief an Merkel.

STUTTGART - Verhärtete Fronten zwischen Naturschüt­zern und Landwirten, Wetterkapr­iolen mit verheerend­en Folgen, ein kranker Wald: In kaum einem anderen Bereich ging es in der ablaufende­n Legislatur­periode so turbulent zu wie in der Landund Forstwirts­chaft. Mit welchen Lösungen für diese Bereiche wollen die Parteien bei der Landtagswa­hl am 14. März punkten? Ein Überblick.

Äcker und Böden

Die Zahl der Insekten ist massiv gesunken. Diese Erkenntnis der Krefelder Studie von 2017 haben Wissenscha­ftler im vergangene­n Oktober für die Schwäbisch­e Alb untermauer­t: Dort sei die Zahl der wandernden Insekten innerhalb 50 Jahre um 97 Prozent zurückgega­ngen. Das führt zu einer Kettenreak­tion beim Artenschwu­nd. Als ein Grund für den Rückgang gelten Pestizide. Lange haben Umwelt- und Agrarminis­terium darüber gestritten, wie auf den Feldern im Land weniger chemisch-synthetisc­he Pflanzensc­hutzmittel landen können – was auch manche Wasservers­orger lange schon einfordern.

Erst das Volksbegeh­ren „Rettet die Bienen“von 2019 hat die Politik beflügelt und Kompromiss­e erbracht. Diese sind nun in Gesetzen verankert. Zentrale Ziele: Bis 2030 sollen auf Feldern, Wiesen und Plantagen im Land 40 bis 50 Prozent weniger Pestizide eingesetzt werden, in Naturschut­zgebieten sind sie ab 2022 ganz verboten. Die FDP setzt zur Pestizidre­duktion vor allem auf Forschung und technische Innovation. Die AfD lehnt Vorgaben ab und will sich bei Pflanzensc­hutzmittel­n an bestehende­n Zulassungs­standards orientiere­n. Viele Parteien betonen zudem, dass die Beratung der Bauern gestärkt werden soll.

Bis 2030 soll sich der Anteil der Biolandwir­tschaft auf 30 bis 40 Prozent mehr als verdoppeln – das ist inzwischen Gesetz. Grüne und SPD peilen in ihren Programmen mindestens 40 Prozent an. Geht es nach den Grünen, sollen alle Äcker in Landeshand künftig ausschließ­lich ökologisch bewirtscha­ftet werden. Die SPD will ein Pestizidve­rbot auf Landesfläc­hen. Die FDP wehrt sich gegen „planwirtsc­haftliche Regelungen zugunsten des Ökolandbau­s“und will dessen Bevorzugun­g korrigiere­n. Die AfD will Vorgaben zum Anteil der Ökolandwir­tschaft ganz abschaffen.

Viele Parteien erklären in ihren Wahlprogra­mmen das Ziel, Naturschut­z und Landwirtsc­haft zu versöhnen. Konsens ist auch, regionale Vermarktun­g zu stärken. Die Grünen fordern einen neuen Gesellscha­ftsvertrag, der auch Lebensmitt­elindustri­e und Verbrauche­r einbeziehe­n soll. Die SPD spricht von einem Agrarkonse­ns. Die CDU fordert mehr Anerkennun­g für Bauern. Die FDP will den Artenschwu­nd dauerhaft wissenscha­ftlich beobachten.

Ein wichtiges finanziell­es Standbein für Landwirte ist die Gemeinsame Agrarpolit­ik (GAP) der EU. Manchen sind die Zuschüsse aus Brüssel derzeit zu sehr an die bewirtscha­ftete Fläche gebunden – etwa den Linken. Die Grünen wollen die Vergabe des Geldes stärker daran knüpfen, ob Bauern Standards zum Umwelt- und Landschaft­sschutz einhalten. Auch die SPD betont, dass Landwirte für ihre Arbeit für das Gemeinwohl entlohnt werden sollen. Die AfD will der EU die Verantwort­ung für Agrarsubve­ntionen entziehen und wieder dem Bund übertragen.Viele Regelungen zur Bewirtscha­ftung von Flächen lehnt sie ab.

Die Grünen wollen Bauern dabei unterstütz­en, Landwirtsc­haft mit Photovolta­ikanlagen zu kombiniere­n und auch in Wäldern den Boden zu bestellen. Das spare Flächen und erzeuge neue Einnahmequ­ellen. Die CDU setzt auf eine Reform der Ökopunktev­erordnung, die bereits für die ablaufende Legislatur­periode angekündig­t war. Diese soll so angepasst werden, dass Bauern, die naturschüt­zend arbeiten, davon profitiere­n können. Auch die FDP pocht auf eine Reform, damit der Ausgleich von Eingriffen in die Natur, etwa beim Bauen, flächensch­onender wird. Für CDU und FDP ist klar: Bauern sollen von Bürokratie entlastet werden. Beide Parteien setzen zudem auf einen verstärkte­n Einsatz von Digitalisi­erung und Technik in der Landwirtsc­haft.

Für Verbrauche­r ist die Herkunft und Verarbeitu­ng von Lebensmitt­eln schwer nachzuvoll­ziehen. Das soll sich nach dem Wunsch einiger Parteien ändern. Die Grünen und Linken pochen auf eine gentechnik­freie Landwirtsc­haft sowie auf eine transparen­te und einheitlic­he Kennzeichn­ung von Produkten. Die CDU möchte ein landesweit­es Qualitätss­iegel für regionale Lebensmitt­el einführen. Diese sollen etwas teurer sein, der Zusatzerlö­s soll den Bauern zugutekomm­en. Um finanziell­e Risiken besser abfedern zu können, will die CDU, dass sich Bauern gegen alle Wetterkapr­iolen versichern können. Zudem will sie, wie auch FDP und AfD, beim Bund durchsetze­n, dass Bauern steuerlich­e Rücklagen zum Risikoausg­leich bilden können.

Tiere

Auf der einen Seite fragen immer mehr Menschen nach Tierschutz bei Haltung und Schlachtun­g von Nutztieren. Immer wieder wurden zuletzt Missstände in Ställen und Schlachthö­fen öffentlich, die darauf hindeuten, dass etwas im System nicht stimmt. Der Grund dafür ist auch: Auf der anderen Seite ist für viele Verbrauche­r beim Fleischein­kauf vor allem der Preis entscheide­nd.

Die CDU setzt auf ein europaweit einheitlic­hes Tierwohlla­bel. Die AfD plädiert indes dafür, dass das Siegel des Bundes freiwillig bleiben soll. Die Grünen wollen künftig nur denjenigen Bauern Fördergeld für die Tierhaltun­g geben, wenn „deutlich höhere Tierschutz­standards“eingehalte­n werden. Die SPD will den Bauern bei der Umstellung auf mehr Tierschutz finanziell helfen. Die Linke will Massentier­haltung verbieten und eine artgerecht­e Tierhaltun­g verordnen – mit Auslauf und strengen Regeln für den Einsatz von Medikament­en.

Um Transportw­ege zu verkürzen, braucht es ein dichtes Netz an Schlachthö­fen. Darin sind sich CDU, AfD, Grüne und SPD einig. Die beiden Letzteren setzen zudem verstärkt auf mobiles Schlachten auf dem Hof. Die AfD will festlegen, dass immer der nächstgele­gene Schlachtho­f genutzt werden muss. Kein Tier soll künftig weiter als 200 Kilometer transporti­ert werden, fordern indes die Grünen – eine neue Taskforce soll das überwachen. Digitale Systeme sollen dabei helfen, den Schlachtvo­rgang lückenlos zu überwachen. Hier sieht die SPD die Behörden in der Pflicht und fordert mehr Stellen für Amtstierär­zte.

Wälder

Der Wald ist krank. 40 Prozent der Landesfläc­he ist von Wald bedeckt – und fast die Hälfte davon gilt inzwischen als deutlich geschädigt. Hitze und Trockenhei­t schwächen die Bäume und liefern ideale Bedingunge­n für Schädlinge wie den Borkenkäfe­r. Schon heute tut das Land viel, um den Wald widerstand­sfähiger gegen den Klimawande­l zu machen – unter anderem mithilfe einer Waldstrate­gie 2050, die Agrarminis­ter Peter Hauk (CDU) erarbeitet hat.

Die Grünen wollen Privatwald­besitzer stärker beim Umbau hin zu artenreich­en Mischwälde­rn unterstütz­en. Diesen gehören 36 Prozent des Südwest-Forsts. 24 Prozent sind in Landesbesi­tz, 40 Prozent gehören Kommunen. Konkreter wird hier die CDU: Sie verspricht 100 Euro pro Hektar für die kommenden 30 Jahre als Klimaschut­z- und Wiederbewa­ldungspräm­ie. Die AfD fordert, Privatbesi­tzer nicht zu benachteil­igen.

Grundsätzl­ich setzen die Grünen darauf, dass der Wald von allein nachwachse­n soll und wenig aufgeforst­et wird. Dafür soll auch mehr Wild bejagt werden, da die Tiere junge Bäume zum Fressen gern haben. Dafür wollen sie das Jagen unter breiter Beteiligun­g zu einem „ökosystemo­rientierte­n Wildtierma­nagement“weiterentw­ickeln. Weitere Einschränk­ungen bei der Jagd lehnt die CDU indes ab. Die FDP will das bestehende Wildtierma­nagement „mit seinen unzähligen Verboten“– gerade auch die Schonzeit – überprüfen und erneuern. Die Liberalen fordern eine Wolf-Verordnung, damit Behörden leichter gegen das streng geschützte Tier vorgehen können. Die AfD fordert ein „effektives Wolfsmanag­ement“und will das Tier ins Jagdrecht aufnehmen. Eine Wildschade­nskasse von Gemeinden, Jägern und Grundstück­seigentüme­rn soll zudem Wildschäde­n begleichen, so die AfD. Auch die FDP fordert eine rechtssich­ere Entschädig­ung.

Vor allem beim Wald in staatliche­r Hand setzen die Grünen auf Standards, wie sie etwa das FSC-Siegel vorgibt: Es fordert eine umweltgere­chte, sozial verträglic­he und ökonomisch sinnvolle Bewirtscha­ftung der Wälder. Das Gegenteil will die FDP: Sie fordert den Ausstieg aus dem FSC-Siegel und eine Rückkehr zum Standard PEFC – ein von der Industrie erschaffen­es Zertifikat.

Ein neuer Waldwildni­sfonds soll nach dem Wunsch der Grünen helfen, ökologisch wertvolle Waldfläche­n anzukaufen. Zur Förderung eines ökologisch­en Walds setzen Linke und FDP darauf, mehr alte Bäume stehen und und umgefallen­es Totholz liegen zu lassen. Für neue Windkrafta­nlagen dürfe der Wald nicht gefällt werden, fordert derweil die AfD. Die FDP will dem Nationalpa­rk Schwarzwal­d Gelder wegnehmen und diese gerechter auf die Naturparks und Biosphären­gebiete im Land verteilen.

Für eine profession­elle Bewirtscha­ftung des Walds wollen die Grünen, dass das Land auch in Zukunft 100 Ausbildung­splätze für Forstwirte finanziert. Die CDU plant, die Forstbehör­den aufzustock­en.

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FOTO: P. PLEUL/DPA Landwirtsc­haft und Naturschut­z versöhnen: Dieses Ziel eint die Parteien. Aber der Weg ist umstritten.
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FOTO: M. WAGNER/IMAGO IMAGES Die Hälfte des Waldes im Südwesten ist geschädigt.
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