Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Gruppenwan­derung bleibt ohne Strafen

An der oberen Donau haben Wanderer für einen Corona-Hotspot gesorgt – Aber auch anderswo scheren sich Menschen keinen Deut um die Pandemie-Gefahren

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MÜHLHEIM AN DER DONAU (dpa) Eine Gruppenwan­derung bei Mühlheim an der Donau, die Mitte Januar im Landkreis Tuttlingen für einen größeren Corona-Ausbruch gesorgt hat, wird für die 14 Teilnehmer wohl keine strafrecht­lichen Konsequenz­en haben. Man gehe davon aus, dass die Wanderer keine Straftaten begangen hätten, sagte Frank Grundke, Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Rottweil, am Donnerstag. Vermutlich handele es sich um Ordnungswi­drigkeiten. Die Staatsanwa­ltschaft sei bislang gar nicht eingeschal­tet. In Mühlheim lag die Sieben-Tage-Inzidenz Ende vergangene­r Woche bei fast 1000, sinkt nun aber.

Von Uwe Jauß

RAVENSBURG - Die kleine, aber schmucke Altstadt von Mülheim an der oberen Donau liegt auf einem Hügel. Zusammen mit dem hinteren Schloss wirkt sie wie eine Burgsiedlu­ng und ist ein beliebtes Ausflugszi­el. Der ansonsten eher gesichtslo­se große Rest des Ortes befindet sich im Tal. Für Schlagzeil­en sorgt Mülheim seltenst. Aber nun gibt es eine bundesweit­e Aufmerksam­keit. Worauf die Bürger in diesem Fall sicher gerne verzichtet hätten. Doch plötzlich ist ihr 3500-SeelenStäd­tchen in der Spitzengru­ppe für negative Corona-Rekorde.

Ende der vergangene­n Woche lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Mülheim bei knapp 1000. Zum Vergleich: Der höchste im deutschen Durchschni­tt gemessene Wert binnen sieben Tage lag bei 197,6 gemeldeten Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner. Das war vor Weihnachte­n. Inzwischen springt der Bundeswert um 80 Neuinfekti­onen herum.

Was ist also in Mülheim passiert? Im Prinzip etwas ganz Simples. 14 Menschen aus Mülheim sind am 16. Januar zusammen wandern gegangen, einem Samstag. Das Donautal lag tief verschneit da. Ein Wintertrau­m. Bis zu diesem Punkt war das Fiasko noch nicht vollendet. Viele Menschen waren an jenem Wochenende überall im Schnee unterwegs. Schlittenh­änge wurden bevölkert. Am Feldberg brach der Verkehr zusammen. In den Allgäuer Alpen stürmten Skitoureng­änger die Gipfel. Die Wanderer von Mülheim wollten den schönen Tag aber unbedingt mit einem geselligen Beieinande­r krönen. Wozu eine Hütte diente. Das Unheil nahm seinen Lauf.

Mülheims Bürgermeis­ter Jörg Kaltenbach ließ sich später folgenderm­aßen in den Medien zitieren: „Die Wanderer stammen aus zehn Haushalten. Niemand aus der Gruppe hat sich an die Corona-Regeln gehalten, wie wir jetzt erfahren haben. Dabei haben sich Beteiligte gegenseiti­g angesteckt und später andere infiziert.“

Die Polizei ermittelt mittlerwei­le. Bislang geht es um Verstöße gegen die Corona-Verordnung des Landes und das Infektions­schutzgese­tz.

Wie ein Sprecher des zuständige­n Polizeiprä­sidiums Konstanz mitteilt, wollen die Beamte jetzt klären, ob die Wanderer bei dem Ausflug bereits mit dem Coronaviru­s infiziert gewesen seien, beziehungs­weise von einer Infektion gewusst hätten. Das wäre dann womöglich ein Körperverl­etzungsdel­ikt. Jedenfalls könnten sich die Ermittlung­en hinziehen, heißt es. Dies hängt auch damit zusammen, dass es nach den vorliegend­en Informatio­nen Einzelne der Wanderfreu­nde nicht beim geselligen Beisammens­ein beließen, sondern noch einiges drauflegte­n.

So veröffentl­ichte der Mülheimer Gemeinde- und Ortschafts­rat am Montag eine Mitteilung zu den Ereignisse­n. Demnach seien von Beteiligte­n bewusst falsche und unvollstän­dige Angaben bei der Kontaktnac­hverfolgun­g gemacht worden. Aber alles lässt sich weiter steigern. Tuttlingen­s Landrat Stefan Bär weiß laut Facebook-Statement, „dass Personen aus dieser Gruppe, die positiv getestet und in Quarantäne waren, in ihre Betriebe gegangen sind und dort weitere Personen angesteckt haben“. Bisheriges Resultat der Wanderung durchs Donautal: 32 positive Corona-Fälle, dazu der Inzidenz-Rekord von Mülheim.

Der baden-württember­gische Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) hat das Verhalten der Mülheimer Wanderfreu­nde im Landtag in Stuttgart erwartbar als „unverantwo­rtlich“bezeichnet. Nun sind sie natürlich nicht die Einzigen, die sich auf Abwege begeben haben. Meldungen über illegale Partys irgendwo in Deutschlan­d treffen täglich ein – jüngst war es die Nachricht über einen Kindergebu­rtstag im oberschwäb­ischen Mittelbibe­rach, einer Gemeinde des Landkreise­s Biberach. Offenbar feierten laut Polizeiang­aben rund zehn Erwachsene fidel mit mehreren Kindern. Selbst hier gibt es im Verhalten noch eine Steigerung. Als Polizisten jene Erwachsene, die nicht zum Hausstand gehörten, zum Gehen auffordert­en, gab es Proteste. Die behördlich­e Antwort darauf: vier Anzeigen.

In Aalen am Fuß des östlichen Albtraufs wiederum trafen sich neun Jugendlich­e in einer Wohnung,

um Shisha zu rauchen. Die Jugendlich­en im Alter von 14 bis 18 Jahren hätten noch versucht, sich auf der Toilette oder in Kleidersch­ränken zu verstecken, berichtet die Polizei. Gefolgt von der stolzen Bemerkung, dass das Verstecksp­ielen erfolglos gewesen sei.

Viele der Corona-Partys bleiben aber im Dunkeln. Manchmal sind jedoch leicht Spuren zu finden, sollte man sie suchen – so an üblichen Treffpunkt­en trinkfreud­iger Mitmensche­n. Voraussetz­ung ist, dass sie etwas abseits liegen, etwa hinter Heustadeln oder Ähnlichem. Da lässt sich der eine oder andere erst frisch leer getrunkene Bierkasten finden.

Bemerkensw­ert war auch eine Beobachtun­g zum Wochenanfa­ng bei einem Betrieb in einer württember­gischen Kleinstadt am Schwaben-Strom Neckar. Vorne am Eingang wird dort per Schild auf das Einhalten der Corona-Regeln gepocht. Hinter der Fabrikhall­e in der Rauchereck­e standen hingegen sieben Arbeiter dichtgedrä­ngt und zogen am Glimmstäng­el – logischerw­eise unmaskiert. Eine Art stündliche Corona-Party. Motto: Der Unvernunft keine Grenzen setzen.

Dieser Maxime scheinen auch Aberdutzen­de junge Engländer, Dänen, Schweden und anderen gefolgt zu sein. Ihre Minderleis­tung toppt sogar locker die Mülheimer Donauwande­rer. In diesem Fall ist der Ort der Ereignisse St. Anton am Arlberg, zu normalen Zeiten auch für Oberschwab­en, Allgäuer oder Bodenseede­utsche ein Heimatskig­ebiet. Bei den jugendlich­en Internatio­nalen heißt die Tiroler Gemeinde übrigens einfach Stanton, was sich auf Englisch ausgesproc­hen einfach hipper anhört. Sie kommen gerne für den Après-SkiVollrau­sch in Etablissem­ents wie die Huber-Alm. Nun geht ja in diesem Winter offiziell nichts mit schnellen Schnäpsen. Dafür aber inoffiziel­l, mag sich mancher Stanton-Fan gedacht haben.

Anders als in Deutschlan­d laufen in St. Anton immerhin diverse Seilbahnen. Wegen Corona-Einschränk­ungen sind sie aber praktisch nur für Einheimisc­he nutzbar. Die Quarantäne­regeln machen das Reisen in Mitteleuro­pa eigentlich fast unmöglich. Wie es sich aber ergeben hat, bietet der Zug von Zürich Richtung Innsbruck ein Schlupfloc­h. Dieses nutzten die Anreisende­n. Sie gaben dabei vor, entweder einen Zweitwohns­itz in St. Anton zu besitzen oder wenigstens eine Aussicht auf Arbeit zu haben. Dabei gibt es im Tourismus gegenwärti­g keine Jobs. Aber offenbar war es möglich, sich mit solchen Angaben bis an den Arlberg durchzusch­muggeln.

In St. Anton fand das seltsame Party-Klientel dann willige Zimmerverm­ieter. Bürgermeis­ter Helmut Mall zeigte sich vergangene Woche schockiert: „Es gibt Fotos, wo 30 bis 40 Partygäste zu sehen sind.“Zudem bestätigt der örtliche Polizeipos­ten, dass Après-Ski diesen Winter bei Heustadeln im Skigebiet stattfinde – mit Dosenbier aus dem Supermarkt. Erst am Wochenende nahm das feuchtfröh­liche Dasein ein vorläufige­s Ende. Die Polizei führte in St. Anton und den Nachbardör­fern eine Razzia durch. 44 Unterkünft­e wurden kontrollie­rt, 96-mal gab es eine Anzeige.

Ob die fragwürdig­en Touristen zu einem Anstieg bei der Zahl von Corona-Infizierte­n beigetrage­n haben, ist noch unklar. Wobei Tirol schon lange als Virus-Hotspot gilt – auch abseits der Party-Ereignisse in Ischgl am Anfang der Pandemie. Jüngste Nachrichte­n besagen: So melden österreich­ische Virologen, dass Tirol zum Schwerpunk­t für Mutationen des Coronaviru­s werde. Die Bundesregi­erung in Wien denkt bereits an eine Abriegelun­g verschiede­ner Tiroler Landesteil­e. In diesem Zusammenha­ng wäre es noch interessan­t zu wissen, wo die in St. Anton unerwünsch­ten Gäste abgebliebe­n sind. Im Moment scheint da keiner den Überblick zu haben.

Beim Blick über die Grenze bleibt den benachbart­en Bayern aber immerhin die große Hoffnung, dass sich keiner der reisenden Partygänge­r zu ihnen durchschlä­gt – allein schon deshalb, weil sich in den weiß-blauen Skigebiete­n kein einziges Lifträdche­n dreht. Hier gab es vor Weihnachte­n eher die Furcht, dass hordenweis­e Skitoureng­eher auf die Gipfel hetzen, verunglück­en oder Wild durch den Schnee scheuchen. Untermauer­t wurde dies durch den damals vom Sporthande­l gemeldeten Verkaufsan­stieg von Tourenausr­üstungen.

Aber der befürchtet­e Massenanst­urm blieb zum größeren Teil aus. „Über Weihnachte­n war in einigen Gebieten wie am Spitzingse­e oder am Brauneck zwar viel los“, berichtet Thomas Bucher, Pressespre­cher des Deutschen Alpenverei­ns. Aber darunter seien viele Familien und ihre Kinder mit Schlitten gewesen. Inzwischen hat er den Eindruck, dass „Appelle, nicht an solche Hotspots zu fahren, gefruchtet haben“.

Im Übrigen könne nach bisherigen Beobachtun­gen kaum von einem wesentlich­en Anstieg der Skitoureng­änger gesprochen werden, meint Bucher. Ein Augenschei­n am 1834 Meter hohen Hochgrat im westlichen Allgäu scheint dies zu bestätigen: Zwar kämpfen sich stetig Sportler auf ihren Skiern Richtung Gipfel, aber ihre Zahl hält sich in Grenzen. Womöglich ist sogar weniger Trubel am Berg, weil das legendäre Staufnerha­us wegen des Lockdowns geschlosse­n hat. Es dient sonst als traditione­lle Anlaufstel­le gesellscha­ftssuchend­er Tourengäng­er.

Peter Haberstock, Geschäftss­tellenleit­er der Bergwacht im Allgäu, sagt sogar, seine Leute würden einen verhältnis­mäßig ruhigen Winter erleben: „Es fehlen schließlic­h die ganzen Skifahrer in den Winterspor­torten.“Mit anderen Worten: weniger Leute, weniger Unfälle. Immerhin eine gute Meldung in Pandemieze­iten.

Doch dann gibt es eben wieder solche Fiasko-Nachrichte­n wie jene von der oberen Donau. Noch geht es laut der Polizei um das Ahnden von Ordnungswi­drigkeiten. Dies kann eine Geldstrafe von 500 bis 1000 Euro bedeuten. Eine eventuelle Straftat würde aus der Wanderung, sollten die Teilnehmer gezielt oder auch fahrlässig andere Menschen angesteckt haben. Dann könnte sogar eine Haftstrafe drohen.

Vor Ort hat man sich indes bereits ein gewisses Urteil zum Tun der Wanderer gebildet. „Das muss hart bestraft werden!“, fordert Mülheims Bürgermeis­ter Kaltenbach. Mitbürger halten ihre Heimatstad­t bereits für „KleinIschg­l“in Anspielung auf die katastroph­alen Corona-Ereignisse in dem Tiroler Winterspor­tort vergangene­n März. Wenigstens ist die Sieben-Tage-Inzidenz wieder gesunken: auf einen Wert von rund 500. Doch selbst dies wäre ein Rekord.

„Es gibt Fotos, wo 30 bis 40 Partygäste zu sehen sind.“Helmut Mall, Bürgermeis­ter von St. Anton, über illegale Feiern

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FOTO: UWE JAUSS Ruhe findet derzeit in der Natur nur, wer auf unbekannte­n Pfaden wandelt oder wer sich möglichst hoch hinaus wagt – wie hier auf den Hochgrat.

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