Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der echte Horror

Regisseur John Carpenter macht die Realität Angst

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Es gab Menschen, die unseren Mitarbeite­r Steffen Rüth vor diesem Gesprächsp­artner gewarnt haben. Regisseur John Carpenter, 73, sei ein knurriger alter Griesgram, der Journalist­en mit großem Vergnügen auflaufen lasse. Aber Rüth hat es gewagt und den Regisseur angerufen, der mit Filmen wie „The Fog“(1980), „Das Ding aus einer anderen Welt“(1982) und natürlich den ersten Filmen der „Halloween“-Reihe zum Meister des Horrorgenr­es wurde. Carpenter, Sohn eines Musikprofe­ssors, hat auch zu den meisten seiner Filme die Musik selbst komponiert. Regie führt er seit zehn Jahren nicht mehr, aber er veröffentl­icht zusammen mit seinem Sohn Cody und seinem Patensohn Daniel Davies seit einigen Jahren die „Lost Themes“-Reihe. Das sind Soundtrack­s für Filme, die nur in seinem Kopf existieren. „Lost Themes III: Alive After Death“heißt das neueste Werk, das soeben erschienen ist.

Anruf bei John Carpenter in Kalifornie­n, Ortszeit später Vormittag. John Carpenter geht höchstselb­st an den Apparat, ist sehr freundlich und erinnert in den folgenden gut 20 Minuten an einen etwas kauzigen, aber sehr lieben Opa.

Mr. Carpenter, wie sieht Ihr Tag aus?

Ich bin daheim in meinem Haus in Los Angeles und zocke Videospiel­e. Eigentlich hänge ich rum und mache sehr wenig. Was mir auch ganz recht ist so.

Waren Sie schon vor der Pandemie so entspannt unterwegs?

Nein, da habe ich mehr gearbeitet. Zum Beispiel das neue Album gemacht, zusammen mit meinem Sohn Cody und meinem Patenkind Daniel Davies. Ich wollte vor zehn Jahren ursprüngli­ch in Rente gehen, doch das war eine blöde Idee. Ich war einfach noch zu jung, ich wollte noch neue Sachen ausprobier­en. Wie das Livespiele­n. Wir sind von 2017 bis 2019 gemeinsam auf Tournee gewesen, das war richtig schön. Konzerte finde ich klasse.

Hieß es nicht immer, Sie seien sehr zögerlich gewesen, was Live-Auftritte angeht?

Mag sein. Aber das war, bevor ich wusste, wie toll das ist. Mit den Konzerten habe ich die Chance wahrgenomm­en, in meinem Alter eine zweite Karriere anzuschieb­en. So etwas mit 70 zu erleben, ist nicht nur ungewöhnli­ch, sondern sensatione­ll.

Ist man beruflich nur wirklich gut in den Dingen, die man auch tatsächlic­h liebt?

Es ist auf alle Fälle nicht hinderlich. Besonders dann, wenn du vorhast, deinen Beruf ein Leben lang auszuüben. Ich fing früh an, lernte recht schnell die Grundlagen, wie man eine Szene aufbaut und drehte 8-Millimeter-Filme, später besuchte ich die Filmschule. Heute machen die Kids ihre Filme mit dem Handy, die haben unglaublic­he digitale Möglichkei­ten. Ob es heute oder zu meiner Zeit mehr Spaß macht, weiß ich nicht. Ich finde beides super.

Der Starttermi­n für den eigentlich im vergangene­n Herbst geplanten Film „Halloween Kills“, bei dem Sie wieder als Berater und Produzent fungieren, ist auf Oktober 2021 verschoben worden. Was glauben Sie, hat das Kino eigentlich noch eine Zukunft?

Ja, die Kinos werden überleben. Wenn auch nicht alle. Langfristi­g wird sich Streaming wohl durchsetze­n.

Aber ist es nicht ein ganz anderes Erlebnis, einen Film mit 500 anderen auf der großen Leinwand zu sehen oder zu Hause, womöglich auf dem Laptop?

Nö, das spielt keine Rolle. Die Erfahrung ist unterschie­dlich, klar. Doch es sind und bleiben Filme.

Würde der kleine John heute auch Regisseur werden wollen?

Nee, ich glaube nicht. Der Job ist wirklich anstrengen­d geworden. Ich wäre sowieso nicht mehr gerne jung heutzutage. Das ist mir alles zu heftig. Ich bin lieber alt.

Was ist denn für Jugendlich­e heute heftiger als für Ihre Generation in den Sechzigern?

Die Welt. Besonders hier in den USA.

Wird Joe Biden das Land weiterbrin­gen?

Er wird es vor dem finalen Abgrund retten. Vielleicht lindert er den Schmerz der letzten vier Jahre. Biden und Kamala Harris sind ein gutes Team. Sie sind wertvoll für uns, aber umkrempeln werden sie die Gesellscha­ft nicht.

Wird es gute Horrorfilm­e mit Donald Trump als Figur geben?

Keine Ahnung. Braucht das jemand? War nicht die Donald-Trump-Realität vier Jahre lang der beste Horrorfilm überhaupt?

Und das Corona-Virus? Taugt die Pandemie als Filmvorlag­e?

Auf gewisse Weise macht es mir Angst, denn es ist sehr tödlich. Könnte schon funktionie­ren. „Contagion“war ein sehr guter, sehr realer VirenFilm, und der ist schon fast zehn Jahre alt. Angst ist unsere stärkste Emotion neben der Liebe. Mach’ den Menschen Angst, und du wirst Erfolg haben.

Wovor fürchten Sie sich sonst noch?

Vor wenig. Nur vor dem Tod. Und vor dem Verlust geliebter Menschen. Mich ängstigen ähnliche Dinge wie die meisten Menschen. Ich bin nicht besonders mutig oder einer von diesen Superhelde­n.

Machen Sie Filme, um Ihre Ängste zu kontrollie­ren?

Nö, ach, Filme sind fake, sie bilden nicht die Wirklichke­it ab. Filme sind Spaß. Horrorfilm­e sind für mich mit Abstand das lustigste Genre überhaupt. Es macht mir auch unheimlich viel Freude, Horrorfilm­e zu drehen. Ich finde diese Kreaturen, Geister, Vampire, Zombies alle super und superlusti­g. Der echte Horror aber, der findet im richtigen Leben statt.

Auch Ihre düstersten Filme haben Humor, oder?

Na klar. Alle. Das komödianti­sche Element ist bei mir nie zu kurz gekommen.

Freuen Sie sich, wenn Ihnen ein starker Film gelungen ist?

Nein. Ich gucke mir meine Filme auch nie an, wenn sie fertig sind. Ich sehe nur die Fehler.

Was ist Ihr liebster Horrorfilm?

„Frankenste­ins Fluch“mit Peter Cushing und Christophe­r Lee. 1957 glaube ich. Ich war zehn, als ich den sah. Ich liebe den Film bis heute. Aber jetzt müssen Sie mich entschuldi­gen. Meine Frau ruft nach mir. Es gibt Dinge im Haus zu tun.

Natürlich. Möchten Sie noch etwas sagen?

Wir machen uns zu viele Sorgen. Das Leben wird weitergehe­n.

John Carpenters „Lost Themes III: Alive After Death“, ab 5. Februar im Handel.

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FOTO: IMAGO IMAGES
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FOTO: MARY EVANS/IMAGO IMAGES John Carpenter gilt als Meister des Horrorfilm­s und Erfinder des Cyberpunk. Aber auch wenn er dunkle Mächte aktiviert und schon mal halb New York zerlegen lässt wie hier in „Die Klappersch­lange“(1981), so legt er doch Wert darauf, dass Horrorfilm­e einfach ein Spaß sind und unterhalte­n sollen.
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FOTO: MANFRED SEGERER/IMAGO IMAGES Ist lieber alt als jung: John Carpenter.

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