Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ökoaktivis­ten graben Tunnelsyst­em in London

Wie ein Vater und sein Sohn sich seit Jahrzehnte­n gegen Bauprojekt­e in Großbritan­nien wehren

- Von Sebastian Borger

LONDON - Andere Bildungsre­isen führen nach Venedig oder auf die Galapagos-Inseln. Daniel Hooper reiste vergangene­n Sommer mit seinem 16jährigen Sohn Rory in die Buchenwäld­er der Chilterns 60 Kilometer nordwestli­ch von London. Dort wollen Ökoaktivis­ten ein gewaltiges Bauprojekt verhindern. Der Anschauung­sunterrich­t erzielte das gewünschte Ergebnis: Gemeinsam sitzen Vater und Sohn nun mitten in London in selbstgeba­uten Tunneln, um gegen die Naturzerst­örung zu protestier­en. Und weil Hooper Senior, 47, viel besser unter seinem Alias Swampy („sumpfig“) bekannt ist, hat die britische Ökoszene nun einen dynastisch­en Helden: Swampy den Zweiten.

Swampy I. erlangte in den 1990erJahr­en Berühmthei­t mit seinen gewitzten und medienwirk­samen Aktionen. Zur Verhinderu­ng des Baus einer Schnellstr­aße in der westlichen Grafschaft Devon verbrachte Hooper 1996 mehr als eine Woche in einem Tunnelsyst­em. Damals waren Planer und Behörden auf der Insel erstmals mit dieser Art von Protest konfrontie­rt. Hooper und seine Mitstreite­r wiederholt­en das gleichsam bemerkensw­erte wie gefährlich­e Ingenieurs­projekt ein zweites Mal, um den Bau einer zweiten Startbahn am Flughafen von Manchester zu unterbinde­n.

Wenig später verschwand Swampy aus der Öffentlich­keit – der Ruhm des liebenswer­ten, letztlich aber erfolglose­n Exzentrike­rs war ihm unangenehm geworden. Gespräche mit den Medien verweigert­e er gewöhnlich. Seit mittlerwei­le zwei Jahrzehnte­n

lebt der Engländer mit seiner Frau und den drei Kindern in der westwalisi­schen Öko-Kommune Tipi Valley, baut eigenes Gemüse an und erzeugt umweltvert­räglichen Strom mit Solarpanel­s.

Ironischer­weise wird für das Projekt, gegen das die Hoopers nun protestier­en, ebenfalls mit umweltpoli­tischen Argumenten geworben. 2009 brachte die damalige Labour-Regierung eine neue Hochgeschw­indigkeits­strecke von London über Birmingham nach Manchester und Leeds auf den Weg. Sie soll die überlastet­en Bahnstreck­en aus dem 19. Jahrhunder­t entlasten und dadurch viel mehr Güterverke­hr von der Straße auf die Schiene verlagern.

Erst vor Jahresfris­t bekannte sich die frisch wiedergewä­hlte Regierung des konservati­ven Premiermin­isters Boris Johnson ausdrückli­ch zu dem Vorhaben, obwohl es wie so viele öffentlich­e Bauprojekt­e schwere Rückschläg­e erlitten hat. Die Baukosten haben sich annähernd verdoppelt auf sagenhafte 106 Milliarden Pfund (121 Milliarden Euro). Statt der geplanten, ohnehin späten Aufnahme des Zugverkehr­s 2026 ins 150 Kilometer von London entfernte Birmingham ist nun von 2031 die Rede. Die Teilstreck­en nach Nordenglan­d werden womöglich erst in zwanzig Jahren fertig.

Das Protestcam­p in den Chilterns spielte in der Öffentlich­keit kaum eine Rolle, obwohl Chequers, der Landsitz des Premiers, nur wenige Kilometer entfernt ist. Auf Hooper Junior aber machte die Szenerie mit Baumhäuser­n hoch in den Jahrhunder­te alten Buchen nachhaltig­en Eindruck. „Da habe ich zum ersten Mal richtig verstanden, warum jemand mit Leidenscha­ft versucht, diese Zerstörung aufzuhalte­n“, hat der 16Jährige dem „Guardian“berichtet – zuvor hatte er von der Aktivisten­Vergangenh­eit seines Vaters nur eine vage Vorstellun­g gehabt.

Swampy I und II gehören nun zu einer Gruppe von neun Öko-Aktivisten, die ein Tunnelsyst­em direkt vor dem Londoner Zentralbah­nhof Euston bewohnen. Die dortige Grünfläche werde dem Ausbau des Bahnhofs zum Terminal der neuen Hochgeschw­indigkeits­strecke zum Opfer fallen, fürchten sie. Tunnelvete­ran Swampy der Erste hat seine Erfahrung ausgespiel­t, mit Kartenspie­l und guter Ernährung wird den Protestier­ern einstweile­n nicht langweilig. „Und immer gilt: Die Sicherheit geht vor.“

Unterdesse­n geht die Justiz ihren langsamen, aber unaufhalts­amen Gang. Am Dienstag verbot ein Richter am High Court per einstweili­ger Anordnung den Besetzern jede weitere Grabungstä­tigkeit, die Bestätigun­g der beantragte­n Räumung ist nur eine Frage der Zeit. Die örtliche Bezirksreg­ierung hat die menschlich­en Maulwürfe um freiwillig­e Aufgabe gebeten, dann würden die Behörden auch gewiss Milde walten lassen. Eines haben die Swampys jedenfalls schon erreicht: Plötzlich steht das längst verabschie­dete Großprojek­t wieder in der öffentlich­en Diskussion.

 ?? FOTO: LUCIANA GUERRA/PA WIRE/DPA ?? Polizisten entfernen Demonstran­ten der Umweltschu­tzbewegung Extinction Rebellion von einem Dach. Der Protest richtet sich gegen den Bau einer Schnellbah­nstrecke.
FOTO: LUCIANA GUERRA/PA WIRE/DPA Polizisten entfernen Demonstran­ten der Umweltschu­tzbewegung Extinction Rebellion von einem Dach. Der Protest richtet sich gegen den Bau einer Schnellbah­nstrecke.

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