Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Unzufriedene Unternehmen
Wirtschaftsverbände nennen die neuen Corona-Hilfen „halbherzig“– Altmaier verteidigt Maßnahmenpaket
BERLIN/RAVENSBURG (dpa/ben) Die Wirtschaft ist mit den von der Großen Koalition beschlossenen Steuererleichterungen in der Corona-Krise nicht zufrieden. Die Pläne seien halbherzig und gingen nicht weit genug, kritisierten am Donnerstag zahlreiche Branchenverbände wie die Autoindustrie, das Handwerk und der Mittelstandsverband. Union und SPD hätten eine Chance vertan, die Unternehmen wirklich wirksam zu unterstützen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier verteidigte die neuen Hilfen. Zufrieden zeigte sich vor allem das Gastgewerbe.
Grundsätzlich sei diese Maßnahme gut, hieß es beim Autoverband VDA über den steuerlichen Verlustrücktrag. „Allerdings ist der beschlossene Umfang ernüchternd“, sagte Verbandspräsidentin Hildegard Müller der Deutschen PresseAgentur. Letztlich werde ein wirksames Instrument nicht im vollen und notwendigen Umfang genutzt. „Dass die Bundesregierung hier nicht in größerem Maßstab agieren will, ist weder verständlich noch wirtschaftlich sinnvoll.“
Auch Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer betonte, angesichts der riesigen unverschuldeten Liquiditätsprobleme der Betriebe seien die Hilfen „in keiner Weise weitreichend genug“. Die Verbände verlangen vor allem eine zeitliche Ausweitung: Betriebe sollten ihre Verlustrechnung über zwei bis fünf Jahre strecken, Verluste aus 2021 also auch mit Gewinnen aus umsatzstarken Jahren wie 2018 verrechnen dürfen.
„Dadurch würden nur Unternehmen mit einem funktionierenden Geschäftsmodell entlastet, die zudem ihre Gewinne in Deutschland versteuern“, betonte der Chefvolkswirt des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, Hans-Jürgen Völz. „Dass die GroKo hier nicht mutiger entschieden hat, ist umso rätselhafter, wenn man weiß, dass dem Fiskus hierdurch kaum Steuerausfälle entstehen.“
Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) bezeichnet den steuerlichen Verlustrücktrag als kleinen Schritt in die richtige Richtung. „Dass unserem Beschluss in der Wirtschaftsministerkonferenz, den Rücktragzeitraum auf zwei Jahre auszudehnen, nicht gefolgt wurde, ist eine bittere Nachricht für unsere Unternehmen und eine vertane Chance, die prekäre Situation, gerade auch für den gebeutelten stationären Einzelhandel, zumindest etwas zu entschärfen“, sagte Hoffmeister-Kraut.
Altmaier verteidigte den Beschluss. „Wir stärken damit viele mittelständische Unternehmen, auf deren Wettbewerbsfähigkeit wir angewiesen sind, damit die Wirtschaft nach der Krise schneller in Schwung kommt“, erklärte er. Laut Finanzminister Olaf Scholz (SPD) kostet der ausgeweitete Verlustrücktrag voraussichtlich weniger als eine Milliarde Euro. „Wir tasten uns gewissermaßen ein bisschen vor“, sagte er im Deutschlandfunk. Man habe in einem ersten Schritt rund 96 Prozent der Unternehmen entlastet. „Jetzt geht es um ein paar weitere. Und wir versuchen gewissermaßen rauszufinden, wo das wirtschaftlich vertretbar ist, ohne dass die Finanzierungsgrundlagen kaputtgehen.“
Der Wirtschaftsweise Lars Feld bezeichnete die Pläne der Koalition zum Verlustrücktrag als „absolut richtig“. „Es ist das Instrument der Wahl, um den Unternehmen über die aktuell schwierige Lage hinwegzuhelfen“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. FDP-Fraktionsvize Christian Dürr dagegen schloss sich der Kritik der Verbände an. „Die vermeintlich großzügigen Änderungen beim Verlustrücktrag sind ein schlechter Scherz“, sagte er der dpa. Wer 2021 Verluste mache, könne diese nur mit dem Krisenjahr 2020 verrechnen. „Gastronomiebetriebe und Hotels, die schon im letzten Jahr durch den Lockdown Verluste gemacht haben, können mit dieser Regelung jetzt überhaupt nichts anfangen.“
Auf weitgehend positive Resonanz dagegen stieß die Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie. „Die Entscheidung ist eine wichtige Motivation für die Unternehmer, ihre Betriebe fortzuführen, und auch für die Beschäftigten eine mutmachende Botschaft“, erklärte der Hotelund Gaststättenverband. Derzeit bangen laut Dehoga drei von vier Betrieben wegen der fehlenden Öffnungsperspektiven um ihre Existenz. Die Mehrwertsteuersenkung könne helfen, Hunderttausende Arbeitsplätze zu retten. Zugleich kämpfe der Verband aber weiter darum, dass auch für Getränke in Kneipen, Clubs und Diskotheken ein geringerer Steuersatz gilt. Im Abhol- und Lieferservice gelten derzeit ohnehin reduzierte Steuersätze.
„Nicht nur die aktuelle Notsituation rechtfertigt den ermäßigten Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie, auch unsere Nachbarländer haben schon länger bei ihren Betrieben den ermäßigten Mehrwertsteuersatz“, sagte der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Thomas Bareiß (CDU). „Mit dieser Wettbewerbsverzerrung ist auf alle Fälle in den nächsten zwei Jahren Schluss, das hat gerade für Baden-Württemberg eine große Bedeutung.“
Unternehmen:
Der steuerliche Verlustvortrag wird auf zehn Millionen Euro verdoppelt. Dadurch können sie mehr Verluste in den Jahren 2020 und 2021 mit Gewinnen aus 2019 verrechnen. Das bringt Firmen liquide Mittel: Sie bekommen einen Teil der Steuern zurück, die sie für 2019 gezahlt haben.
Die Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf 7 Prozent, die am 30. Juni nach einem Jahr auslaufen sollte, wird bis zum 31. Dezember verlängert. Gaststätten seien von der Corona-Krise besonders betroffen und hätten während der Schließungen nicht profitiert, heißt es zur Begründung.
Das Rettungs- und Zukunftsprogramm „Neustart Kultur“wird um eine Milliarde Euro aufgestockt. Damit werden die 2020 bereitgestellten Mittel verdoppelt.
Gastronomie: Künstler: Kinderbonus:
Für jedes Kind erhalten die Eltern einmalig 150 Euro. Dies wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet. In den Genuss kommen alle Empfänger von Kindergeld. Gutverdiener profitieren letztlich nicht davon, da der Bonus mit dem steuerlichen Kinderfreibetrag verrechnet wird, der unverändert bleibt.
Corona-Zuschuss: Erwachsenen Empfängern von Hartz IV sowie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung winkt eine einmalige Sonderzahlung von 150 Euro. Damit sollen Mehraufwendungen in der Pandemie ausgeglichen werden. Wann das Geld fließt, steht wie beim Kinderbonus noch nicht fest.
Der erleichterte Zugang zu Hartz IV wird bis zum 31. Dezember 2021 verlängert. Eigentlich sollte die Sonderregelung im März auslaufen, dass angespartes Vermögen nicht erst aufgebraucht werden muss. Davon sollen neben Kurzarbeitern auch in Not geratene Selbständige profitieren. (dik)
Grundsicherung: