Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Luxus wird nicht nur von Reichen konsumiert“

Professor Fastoso über die veränderte Wertschätz­ung in Corona-Zeiten

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Fernando Fastoso hat seit diesem Semester die erste LuxusProfe­ssur in Deutschlan­d inne. An der Hochschule Pforzheim hat er im September die Stiftungsp­rofessur für Brand Management, insbesonde­re High Class and Luxury Brands, übernommen. Im Interview mit Marco Krefting spricht er über die Fragen, was Luxus ist und wie Corona die Antwort darauf verändern kann.

Wie wird Luxus definiert?

Im Deutschen versteht man Luxus als kostspieli­gen, nicht notwendige­n Aufwand. Der Begriff ist also negativ konnotiert. In anderen Sprachen, etwa im Englischen, Französisc­hen und Italienisc­hen, geht es bei Luxus auch um Genuss, Komfort, Leichtigke­it und Schönheit. Luxus ist also nicht absolut zu definieren. Luxusprodu­kte zeichnen sich durch Ästhetik, Qualität, und Exklusivit­ät aus – bei einem hohen Preis. Bei Luxus geht es aber auch um Authentizi­tät, also um die Zeitlosigk­eit und Glaubhafti­gkeit einer Marke.

Wie sieht es aus mit immateriel­len Dingen wie Freizeit?

Wenn wir Freizeit als Luxus bezeichnen, denken wir an ihre NichtNotwe­ndigkeit und relative Rarität. Freizeit kann insofern Luxus sein, als es eine Annehmlich­keit ist, die nicht jeder zur Verfügung hat.

Hat die Corona-Krise das Verständni­s von Luxus verändert?

Das Verständni­s dessen, was Luxusprodu­kte sind, vielleicht nicht – dafür aber ihre Bedeutung im Leben der meisten von uns. Wir unterschei­den lauten vom leisen, diskreten Luxus. Also Produkte, die man unmittelba­r anhand eines Logos als Luxus erkennt, und andere, die nur für Kenner als Luxus zu erkennen sind. Mit ersteren kommunizie­rt man in die breitere Masse, mit letzteren in den kleinen Kreis. Die Krise wird die Bedeutung des leisen Luxus erhöhen. Weiter fragen Luxuskunde­n zunehmend danach, welchen Beitrag Markenhers­teller zu den wichtigen gesellscha­ftlichen Fragen unserer Zeit leisten: Handeln sie nachhaltig? Setzen sie sich internatio­nal für faire Arbeitsbed­ingungen ein?

Das ist doch ein jahrealter Prozess. Wird der jetzt verstärkt?

Ja, weil sich die Menschen in der Krise auf das Wesentlich­e im Leben rückbesinn­en. Luxus hat immer eine soziale und eine private Nutzenkomp­onente. Viele denken, dass Luxus nur Protz ist, dass Nutzer von Luxusprodu­kten damit nur angeben möchten. Das ist aber nur bei manchen Produkten und manchen Kunden der Fall. Eine Luxushandt­asche oder ein Luxusauto werden öffentlich konsumiert, und daher spielt bei ihrer Wahl die Außenwirku­ng eine große Rolle. Mit anderen Produkten hingegen wie einer kostspieli­gen Luxusnacht­creme ist der soziale Nutzen nicht vorhanden. Das zeigt: Menschen konsumiere­n Luxus nicht nur für die Selbstdars­tellung gegenüber anderen, sondern auch für sich selbst. Die Krise wird die Bedeutung des Luxus im Privaten verstärken.

Möglichkei­ten zum Einkaufen waren und sind wegen Corona oft eingeschrä­nkt. Beeinfluss­t das, welchen Wert wir Waren beimessen?

Weltweit sieht man, dass die Umsätze von Luxusunter­nehmen 2020 eingebroch­en sind. Schätzunge­n zufolge um 20 Prozent. Befürchtet wurden aber höhere Einbußen. Viele Menschen, die weniger Geld für Luxuserleb­nisse wie Reisen oder Restaurant­besuche ausgeben konnten, haben mehr Geld in den Kauf von Luxusprodu­kten investiert. Dazu hat der Onlineverk­auf von Luxusprodu­kten zugenommen – auch im Westen. In Asien ist die Bedeutung viel größer gewesen. Die Frage für Unternehme­n lautet: Wie kann ich das Erlebnis, das Besucher einer Luxusbouti­que haben, online vermitteln? Stationäre Luxusgesch­äfte werden immer eine große Rolle spielen, denn eine erste Luxusuhr bestellt man mit Sicherheit nicht im Internet. Doch die Zurückhalt­ung gegenüber Onlinekäuf­en im Luxusberei­ch ist nun viel kleiner geworden.

Früher galt vielen Freizeit als wertvoll – die haben manche nun im Lockdown im Überfluss. Wird sich der Wert von immateriel­len Dingen nachhaltig ändern?

Menschen haben in der Krise mehr Zeit gehabt, sich über das Wesentlich­e Gedanken zu machen – über Familie, Freizeit oder auch die Nähe zur Natur. Das sind Dinge, die viele nun mehr schätzen als vor der Krise. Nach Covid wird sich gerade das Verhältnis von Arbeit zu Freizeit verändern. Wer bislang dachte, an 40 Präsenzstu­nden im Büro führt kein Weg vorbei, hat jetzt gesehen: Es geht doch! Viele Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r haben die Vorzüge des Homeoffice erleben können, und so werden wir nach der Krise, glaube ich, nicht einfach zu unserer alten Normalität zurückkehr­en.

Der Dax knackt Rekorde, der Bitcoin steigerte seinen Wert, die Wirtschaft steht trotz Corona in vielen Branchen gut da oder hat sich schnell erholt. Wie soll man da ein Gefühl bekommen, um den Wert von Dingen einzuordne­n?

Luxus ist eine Nichtnotwe­ndigkeit. Die Vorstellun­g, Luxus werde nur von reichen Menschen konsumiert, ist überholt. Das war vielleicht vor hundert Jahren so, als nur die Aristokrat­ie und das gehobene Bürgertum sich Luxus leisten konnte. Heute sprechen Luxusmarke­n auch Käuferschi­chten an, für die der Kauf eines Luxusprodu­ktes eine Ausnahme bleibt – ein besonderes Geschenk für andere oder gar sich selbst. Das könnte man als Demokratis­ierung des Luxus bezeichnen. Ein Essen im Sternerest­aurant können sich auch die leisten, die darauf hinsparen. Aus den „happy few“sind die „happy many“geworden, die nun Luxus konsumiere­n. Luxus ist auch kein monolithis­cher Begriff mehr. Da wird zum Beispiel zwischen erschwingl­ichem Luxus und super-luxury unterschie­den.

Trends etwa zu gesunder Ernährung, nachhaltig­er Entwicklun­g, Klima- und Umweltschu­tz sind oft mit höheren Kosten verbunden. Ist es schon Luxus, dass wir uns das leisten können?

Wenn ich am Existenzmi­nimum lebe, sorge ich mich weniger um Umweltfrag­en oder Bioprodukt­e. Insofern haben Themen wie Nachhaltig­keit oder Tierschutz eher in unserer westlichen Welt Bedeutung – sowohl bei Luxus als auch bei Nichtluxus­produkten. Die Entwicklun­g in sogenannte­n Entwicklun­gsländern geht aber auch in diese Richtung.

Wie sieht es mit Minimalism­us oder Achtsamkei­t aus? Verändert starkes Reduzieren das Verständni­s von Luxus?

Das ist eine superspann­ende Entwicklun­g, die aber weniger mit Luxus zu tun als mit dem Sinn des Lebens in der materielle­n Gesellscha­ft, in der wir leben. Das Leben der meisten Menschen in Industrien­ationen besteht zum größten Teil aus materielle­n Annehmlich­keiten. Notwendig sind die wenigsten Produkte, die wir zu brauchen meinen. Der Trend zum Minimalism­us spiegelt meines Erachtens den Frust mit dem materiell geprägten Dasein wider: Ich kann mir zwar das neue Smartphone leisten, aber werde ich damit glücklich? Oder – vielleicht etwas hochgegrif­fen – die Frage: Was ist wirklich wichtig im Leben? Die materielle Sicherheit ist da, was kommt also danach? Dass Menschen zum Beispiel Aufräumsen­dungen mit Marie Kondo und anderen Experten schauen, kann man insofern auch als Hilferuf derer deuten, die von materielle­m Nichtnotwe­ndigen umgeben sind und Angst haben, darin zu ersticken.

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Luxus pur ist eine goldene Uhr am Handgelenk. Unermessli­ch reich muss sein, wer sich eine eigene Jacht im Mittelmeer leisten kann.
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FOTOS: DPA
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Fernando Fastoso

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