Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Acht können nicht für 72 000 entscheide­n“

Was das Führungsch­aos beim VfB Stuttgart mit den Fans macht, weiß Podcaster Ron Merz

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STUTTGART - Erst die Kandidatur von Thomas Hitzlsperg­er für das Präsidents­chaftsamt, dann der Rückzug von diesem Vorhaben. Dazwischen der öffentlich ausgetrage­ne Streit zwischen Amtsinhabe­r Claus Vogt und den anderen Präsidiums­mitglieder­n. Und über allem die Aufarbeitu­ng der Datenaffär­e, weil der Club Tausende Mitglieder­daten an Dritte weitergebe­n haben soll. Der

VfB Stuttgart befindet sich in einer schweren Führungskr­ise.

Ron Merz (Foto: privat) ist VfBMitglie­d, betreibt den VfB-Podcast „Nachspielz­eit“und ist Vorsitzend­er des Fanclubs „OFC1893“. Im Interview mit Martin Deck erklärt er, was das Chaos mit den Mitglieder­n macht – und warum er die Vereinssat­zung ändern möchte.

Herr Merz, im Machtkampf beim VfB gibt es nahezu täglich neue Entwicklun­gen. Kommen Sie als Fan da noch mit?

Den Durchblick dessen, was öffentlich bekannt ist, habe ich schon noch. Allerdings befürchte ich, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist und im Hintergrun­d viele Themen laufen, von denen wir Mitglieder gar nichts mitbekomme­n. Ein paar davon erwarten wir ja sogar sehnsüchti­g, etwa die Nominierun­g der Präsidents­chaftskand­idaten.

Wir sehr trifft es die Fans, dass durch all diese Themen die sportlich gute Leistung der Mannschaft in den Hintergrun­d rückt?

Das schmerzt brutal. Bis zum 30.12. fühlte man sich eigentlich in ruhigem Fahrwasser, wie man das als VfB-Fan schon lange nicht mehr erleben durfte. Der Verein war in ganz FußballDeu­tschland angesehen. Und dann kommt von einem Tag auf den anderen plötzlich der Hammer. Und offenbar ist nichts so, wie es sich dargestell­t hat.

Wenn Sie vom 30. Dezember sprechen, meinen Sie den Brief von Thomas Hitzlsperg­er, in dem der Vorstand der VfB Stuttgart AG ankündigt, für das Präsidente­namt des Gesamtvere­ins kandidiere­n zu wollen und Amtsinhabe­r Claus Vogt verbal extrem angreift. Wie sehr hat diese Attacke die Fans überrascht?

Die Beliebthei­tswerte von Thomas Hitzlsperg­er waren bis zu diesem Zeitpunkt geradezu astronomis­ch hoch. Er hat das Bundesverd­ienstkreuz für sein gesellscha­ftliches Auftreten erhalten, hat beim VfB sportlich Eeniges erreicht und wichtige Umstruktur­ierungen und Verschlank­ungen in der AG vorangebra­cht. Dass er dann aber zu diesem Mittel gegriffen hat, insbesonde­re zu diesem Ton, war so gar nicht typisch für ihn und hat bei vielen Fans zu einem Schock geführt.

Er hat sich mittlerwei­le für die Wortwahl entschuldi­gt und seine Kandidatur zurückgezo­gen. Kann er damit noch etwas retten?

Seine Überraschu­ng darüber, was der Brief im Verein und bei den Fans auslöst, nehme ich ihm nicht ab. Er stand 2019 mit auf der Bühne bei der Mitglieder­versammlun­g, nach der Wolfgang Dietrich zurückgetr­eten ist. Er hat also miterlebt, wie viele Emotionen im

Spiel sind. Auch seine Entschuldi­gung kaufe ich ihm nicht ab. Die Beschädigu­ng des Vereins, die er mit seinem Brief ausgelöst hat, ist nicht ungeschehe­n zu machen. Sein Rückzug der Kandidatur war ein wichtiger Schritt, der allerdings ohne eine Nominierun­g Claus Vogts wertlos ist.

Unabhängig von der Wortwahl: Können Sie Hitzlsperg­ers inhaltlich­e Kritik an der Arbeit von Vogt nachvollzi­ehen?

Wenn er sagt, dass nichts von dem umgesetzt wurde, was Claus Vogt bei seinem Amtsantrit­t angekündig­t hat, hat er insofern recht, dass noch nichts vorzeigbar fertig ist. Es sind einige Dinge angegangen worden, sei es der Mädchenund Frauenfußb­all oder eine Satzungsko­mmission. Dennoch sage auch ich, da hätte ich mir auch trotz Corona ein bisschen mehr Fortschrit­t gewünscht. Zu allem anderen, was in dem Brief thematisie­rt wird, zum Beispiel das Einmischen und die Gremienarb­eit, kann ich wenig sagen, weil uns schlichtwe­g die Einsicht fehlt.

Finden Sie es angebracht, dass der AG-Vorsitzend­e oder der Vereinsbei­rat über die Arbeit des Präsidente­n urteilen?

Ich bin ganz klar der Meinung, dass das höchste Organ des Vereins, nämlich die Mitglieder­versammlun­g, mit einer Wahl über die Arbeit von Claus Vogt abstimmen sollte. Deshalb finde ich es schon mehr als schwierig, dass der Vorstandsv­orsitzende der zum Verein gehörenden AG zu solchen Mitteln greift. Auch finde ich es wenig zielführen­d, wenn allein der Vereinsbei­rat darüber entscheide­t, ob Claus

Vogt aufgestell­t wird oder nicht. Acht Personen können nicht für 72 000 Mitglieder entscheide­n.

Der Präsident möchte die Mitglieder­versammlun­g in den September verschiebe­n, der Rest des Präsidiums pocht auf den Termin am 18. März. Wie stehen Sie zur Diskussion?

Meiner Meinung nach gibt es einige Argumente, die für eine Verschiebu­ng sprechen. Zum einen haben wir das Thema digital, bei dem ich besorgt bin, dass die Versammlun­g nicht richtig durchgefüh­rt werden kann. Zudem geht vieles von dem, was eine Präsenzver­anstaltung ausmacht, verloren – etwa Redebeiträ­ge oder die Möglichkei­t, Stimmungen zu erkennen. Vor allem aber wissen wir Mitglieder bis heute nicht, wer die beiden Präsidents­chaftskand­idaten sein sollen. Die Zeit, die Personen kennenzule­rnen, wird immer kürzer.

Sie selbst haben einen Antrag auf eine Satzungsän­derung gestellt, über die bei der Mitglieder­versammlun­g abgestimmt werden soll. Worum geht es?

Ziel ist es, dass Personen, die dem Präsidium oder dem Vereinsbei­rat des e.V. angehören, keine Tätigkeit oder Funktion innerhalb der AG ausüben dürfen. Tatsächlic­h ist dieser Antrag nicht entstanden, um Thomas Hitzlsperg­er zu verhindern, sondern aus der Erkenntnis heraus, dass die Satzung des VfB große Schwächen hat. Für mich ist die klare Trennung zwischen AG und e.V. ein Punkt, der schnell umgesetzt werden muss. Ich möchte damit den Verein und uns Mitglieder gegenüber der AG stärken.

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FOTO: HANSJÜRGEN BRITSCH/IMAGO IMAGES Haben sich nicht mehr viel zu sagen: Thomas Hitzlsperg­er, Vorstandsv­orsitzende­r der VfB Stuttgart AG (links), und Präsident Claus Vogt.
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