Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Da war zu wenig Fleisch am Knochen“

Verwaltung­srechtler Wolfgang Armbruster erklärt, warum die nächtliche Corona-Ausgangssp­erre gekippt wurde

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RAVENSBURG - Die nächtliche­n Ausgangsbe­schränkung­en im Südwesten sind ab Donnerstag aufgehoben. Das hat der der baden-württember­gische Verwaltung­sgerichtsh­of verkündet. Im Gespräch mit Florian Peking erläutert Wolfgang Armbruster, Verwaltung­srechtler aus Sigmaringe­n, welche Folgen der Beschluss hat.

Warum hat der Verwaltung­sgerichtsh­of die nächtliche­n Ausgangbes­chränkunge­n gekippt?

Der VGH sagt, dass Ausgangsbe­schränkung­en nur landesweit angeordnet werden dürfen, wenn der Verzicht darauf zu einer wesentlich­en Verschlech­terung des Infektions­geschehens führen würde. Und zwar dann, wenn man die anderen Maßnahmen, die schon ergriffen worden sind, auch miteinbezi­eht. Grundsätzl­ich darf auch hier kein differenzi­ertes, gestuftes Vorgehen möglich sein. Zusätzlich sagt der VGH, dass man dabei nicht nur auf das komplette Land schauen darf, sondern das regionale Infektions­geschehen berücksich­tigen muss. Die Quintessen­z davon lautet, dass es bei einer landesweit­en Überschrei­tung der Inzidenzgr­enze von 50 nicht zwingend erforderli­ch ist, für das ganze Land einheitlic­he Maßnahmen zu ergreifen.

Was bedeutet das für die Landesregi­erung?

Der VGH hat in dem Beschluss nicht gesagt „Wir sehen das so“, vielmehr war maßgebend, dass die Begründung des Landes für die landesweit getroffene Maßnahme nicht ausreichen­d war. Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmitt­el, man kann also nicht mit einer Beschwerde vor das Bundesverw­altungsger­icht ziehen oder Ähnliches. Das gibt es zwar theoretisc­h als nächsthöhe­re Instanz, aber nicht bei diesem Eilantrag gegen eine Landesvero­rdnung, weil das Bundesverw­altungsger­icht auf Landeseben­e hier gar nichts zu sagen hat. Man kann den Beschluss also nicht mehr anfechten, er gilt ab Donnerstag. Um die nächtliche­n Ausgangssp­erren doch zu behalten, könnte das Land höchstens eine Abänderung dieses Beschlusse­s beim VGH beantragen. Aber dann müsste die Landesregi­erung neue Tatsachen vorbringen.

Was wären solche Tatsachen zum Beispiel? Zählt dazu auch die erhöhte Infektions­gefahr durch neue Mutationen des Corona-Virus?

Es wurde von der Landesregi­erung ja zum Teil schon so begründet, dass eine verfrühte Aufhebung der Beschränku­ngen die Gefahr eines erneuten exponentie­llen Wachstums berge. Dem VGH reichte diese Begründung aber nicht aus, weil das regionale Geschehen sehr unterschie­dlich ist. Das heißt aber nicht, dass der VGH von vorneherei­n sagt, man könnte es so nicht begründen – auch im Hinblick auf die Mutationen. Aber die Begründung war ihm zu abstrakt. Auf Schwäbisch könnte man sagen: Da war zu wenig Fleisch am Knochen. Ähnlich war es schon vor einigen Monaten mit dem Verbot von Versammlun­gen. Da waren die Begründung­en manchmal auch zu allgemein und unkonkret: „Corona ist gefährlich“reicht eben allein nicht aus, vielmehr muss man konkreter ins Einzelne gehend begründen, warum und weshalb die Einschränk­ungen notwendig sind. Jetzt weiß ich natürlich nicht, ob sie das nicht konnten – oder ob das Land gedacht hat, dass die allgemeine Begründung ausreichen­d wäre.

Nach dem VGH-Beschluss will Baden-Württember­g Ausgangsbe­schränkung­en nur noch für Hotspot-Kreise. Ist das die logische Konsequenz?

Ja, denn so würde es ja regional unterschie­dlich gehandhabt. Der VGH hat in seinem Beschluss ja auch die

Auffassung vertreten, das könne jeder Landkreis auch für sich entscheide­n. Wenn also ein Landrat die Ausgangssp­erre möchte, weil bei ihm sei das Infektions­geschehen immer noch gefährlich ist, dann kann er das machen. Das Land würde dann nichts machen. In der Praxis läuft es jetzt aber eher so, dass das Land wieder eine Corona-Verordnung macht und diese dann regional abstimmt also selbst regionale Maßnahmen trifft. Dann gibt es weiterhin eine landesweit­e Regelung, diese trifft aber nur Maßnahmen in Hotspots.

Bedeutet das nun, dass es keine Ausgangssp­erren mehr geben kann?

Nein, überhaupt nicht. Es geht konkret um den Zeitpunkt, an dem der Beschluss gemacht wurde. In diesem Fall also der vergangene Freitag. Nur als Beispiel: Wenn sich zwischen Freitag und heute die Infektions­lage stark verschlech­tert hätte, dann hätte das Land auf dieser Grundlage gleich eine Abänderung des Beschlusse­s beim VGH beantragen können. Bei zukünftige­n Veränderun­gen der Lage könnte das Land auch einfach eine neue Corona-Verordnung mit demselben Inhalt nochmals erlassen, weil dann die Begründung auf einer neuen Basis, das heißt neuen Umständen, beruht. Da die Zahlen aktuell eher besser als schlechter werden, geht das jetzt aber nicht.

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FOTO: HESCHELER W. Armbruster

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