Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Österreich­s Regierung fährt zweigleisi­g

Geschäfte und Schulen sind geöffnet – Für Tirol gibt es wegen Corona eine Reisewarnu­ng

- Von Matthias Röder und Sandra Walder

WIEN (dpa) - Isolation eines Bundesland­s oder gar nichts tun? Österreich­s Bundesregi­erung hat sich für eine Art Mittelweg entschiede­n. Die Reisewarnu­ng für das eigene Bundesland Tirol wegen der dort vermehrt aufgetrete­nen Südafrika-Mutation des Coronaviru­s ist ein Signal und ein Appell – mehr nicht. Es sei alles zu tun, „um zu verhindern, dass sich diese Mutationen immer weiter ausbreiten“: Mit diesen Worten rief Kanzler Sebastian Kurz auf, alle nicht zwingend nötigen Reisen zu unterlasse­n. Inzwischen geht die Regierung davon aus, dass die Zahl der aktiven Infektione­n mit der Mutation bei 140 liegt – ein Vielfaches der bisher gehandelte­n Daten. Eine Verschärfu­ng der Grenzkontr­ollen ist die logische Folge.

Die Warnung war begleitet von einem Maßnahmenp­aket Tirols. So sind für die Benutzung von Seilbahnen nun auch negative Corona-Tests nötig. Obendrein soll massenweis­e getestet werden, insbesonde­re in den von der Mutation betroffene­n Gebieten. Eine zentrale Frage ist auch, ob Tirol vor allem deshalb im Fokus steht, weil das Land im großen Stil die Infektions­lage erforscht. „Wir sind beim Sequenzier­en Vorreiter in Österreich, weshalb uns im Moment auch die vollständi­gste und umfassends­te Datenlage zur Verfügung steht“, meint Landeschef Günther Platter. Das Gesundheit­sministeri­um spricht laut ORF aber davon, dass im ganzen Land gleicherma­ßen sequenzier­t werde.

Der Tiroler Ministerpr­äsident und die Verbandssp­itzen der Wirtschaft wehren sich seit Tagen gegen ein Sonderopfe­r der selbstbewu­ssten Tiroler. Viele in dem bei Deutschen beliebten Bundesland sehen sich seit dem Fall Ischgl unter Dauerbeoba­chtung. Tirols Wirtschaft­skammerprä­sident Christoph Walser lehnte eine diskutiert­e Abschottun­g als „Schlag unter die Gürtellini­e“ab. Bei möglichen Maßnahmen würde das Ministeriu­m die Tiroler erst „richtig kennenlern­en“.

Der Winterspor­tort Ischgl, der im März 2020 zum Hotspot bei der Verbreitun­g des Virus wurde, ist für die einen Mahnung, für die anderen eine inzwischen ungerechtf­ertigte Bürde.

Die aktuellen Corona-Zahlen für Tirol scheinen allen recht zu geben, die gegen eine Alarmstimm­ung sind: So ist die Zahl der aktuell mit dem Coronaviru­s infizierte­n Menschen weiter rückläufig, die Sieben-TageInzide­nz liegt unter dem Durchschni­tt in Österreich. Für die Alpenrepub­lik mit rund neun Millionen Einwohnern wurden am Montag mehr als 1000 Neuinfekti­onen gemeldet.

Doch das ist eine Momentaufn­ahme. Dies gilt umso mehr, da Österreich ganz im Gegensatz zu Deutschlan­d am Montag den harten Lockdown beendet hat. Zur großen Freude der Einzelhänd­ler und vieler Kunden sind alle Läden wieder offen. Gefragt waren nach einem ersten Überblick des Handelsver­bands vor allem Textilien. Nach 34 verlorenen Einkaufsta­gen öffneten 22 500 stationäre Händler jenseits von etwa Supermärkt­en und Drogerien ihre Geschäfte unter strengen Auflagen wieder. „Wir sind mit dem heutigen Geschäftss­tart zufrieden. Auffällig ist, dass die Warenkörbe weit größer sind als üblich“, so ein Sprecher des Handelsver­bands.

Und auch der Gang zum Friseur ist wieder möglich – allerdings nur mit einem negativen Corona-Test. In den Schulen herrscht wieder Betrieb, zumindest für all diejenigen, die sich zweimal in der Woche selbst vor Ort testen.

Generell ist die Öffnung von einer umfassende­n Test-Offensive begleitet. Viele Apotheken bieten seit Montag kostenlose AntigenSch­nelltests an. „Unsere Termine sind auf drei Wochen ausgebucht“, sagte ein Apotheker in Wien der österreich­ischen Nachrichte­nagentur APA. Darüber hinaus stehen zumindest in Wien eine Reihe von DriveIn-Teststraße­n zur Verfügung. Ab März soll in Österreich­s Hauptstadt ein PCR-Gurgeltest im Angebot sein, den alle kostenlos im Betrieb oder zu Hause machen können.

Österreich erobert sich inmitten vieler Fragezeich­en rund um die Mutationen des Coronaviru­s ein gutes Stück Normalität zurück. Aber alle wissen: Es ist ein Ritt auf der Rasierklin­ge, wie es ein Spitzenpol­itiker der regierende­n konservati­ven ÖVP kürzlich formuliert­e.

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FOTO: ALEX HALADA/AFP Auch der Gang zum Friseur ist in Österreich wieder möglich, allerdings nur mit FFP2-Maske und einem negativen CoronaSchn­elltest. In vielen Apotheken im Land kann man sich kostenlos testen lassen.

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