Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Risikogruppe geht weiter in den Unterricht
Schüler einiger Förderschulen dürfen weiterhin täglich vor Ort sein – Gewerkschaft äußert Kritik
SIGMARINGEN - Während sämtliche Schulen gerade geschlossen und nur noch Kinder in der Notbetreuung vor Ort sind, findet in den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) mit den Förderschwerpunkten körperliche und motorische Entwicklung sowie geistige Entwicklung – in Sigmaringen die Lassbergschule der Stiftung KBZO sowie die Fidelisschule – weiterhin Präsenzunterricht statt. Lediglich die Präsenzpflicht ist ausgesetzt, Eltern dürfen ihr Kind auch zu Hause lassen. Das Vorstandsteam der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Kreis Sigmaringen äußert nun Kritik an der Vorgehensweise des Kultusministeriums.
Das Argument des Ministeriums, dass Schüler dieser Schularten nicht oder nur schwer durch Fernunterricht zu erreichen sind, rechtfertigt aus Sicht der GEW nicht die Vernachlässigung der Fürsorgepflicht gegenüber den Beschäftigten. „Die Lehrkräfte sind verärgert und maßlos enttäuscht über diese logisch nicht begründbare Sonderbehandlung durch ihren Arbeitgeber. So wird die Wertschätzung für ihre Arbeit vermisst“, sagt Susanne Elgaß vom Vorstandsteam der Kreis-GEW. Gleichzeitig seien die Schüler der besagten SBBZ die verletzlichsten und somit auch anfälliger für einen schweren Verlauf von Covid-19, wenn sie sich anstecken sollten.
Elgaß arbeitet selbst an der Fidelisschule und kennt die Situation daher aus nächster Nähe. Blieben Schüler dort zu Hause, weil die Eltern das so entschieden, gebe es analoge Lernpakete. Digital werde nur wenig gemacht, weil das mit den Schülern schlicht nicht so einfach möglich sei. Grundsätzlich sei das Fernlernen bei den Schülern schwieriger, weil sie mehr Begleitung benötigten. „Sie profitieren von der Präsenz, weil der Unterricht in der Schule natürlich praktischer ist“, sagt sie. Auch andere Argumente, die für den Präsenzunterricht sprechen, kann Elgaß nachvollziehen, darunter die Entlastung der Eltern. Dennoch wünscht sie sich mehr Schutz für die Schüler. Ihr Vorschlag: Wechselunterricht mit einer separaten Notbetreuung, sodass sich die Klassen nicht mischen. Das würde auch das Problem mit dem Transport lösen, denn trotz Kohortenbildung an der Schule fahren die Schüler aktuell in Gruppen Bus, wenn auch mit Mundschutz. Diese Gruppen würden durch den Wechselunterricht halbiert werden.
Joachim Mangold, stellvertretender Schulleiter der Fidelisschule, berichtet ebenfalls von gemischten Busfahrten. „Wir machen uns Sorgen, ja, aber es läuft ganz gut“, sagt er. Aktuell seien etwa 70 Prozent der Kinder täglich in der Schule, rund 30 daheim. Zwar seien nicht alle Schüler in der Lage, sich an die Hygienevorgaben zu halten, allerdings werde die Schule ausreichend mit Schutzausrüstung vom Landratsamt versorgt, wenn der Abstand mal nicht eingehalten werden könne, beispielsweise beim Anreichen von Essen oder dem Wechseln von Windeln. Künftig soll es auch Schutzausrüstung vom Land Baden-Württemberg geben, was Mangold lobt.
Sein Wunsch sei darüber hinaus, dass die Schüler der Risikogruppe eine höhere Prioriätät bei der Impfstrategie
bekommen. Dann sei das Modell des Präsenzunterrichts an den betroffenen Schulen vertretbar, sagt er. Stand jetzt sind die Lehrer der SBBZ mit den beiden Förderschwerpunkten bereits einer höheren Impfpriorität zugewiesen worden.
Ähnliche Punkte spricht auch aktuell laufende Petition von fünf Lehrern an, die sich an Kultusministerin Susanne Eisenmann richtet. Gefordert werden ausreichend Schutzausrüstung, Schnelltests, eine Beförderung der Schüler in Kohorten, die Option auf Wechselunterricht und schließlich eine möglichst schnelle Impfung, sowohl für Schüler als auch für Lehrer. Die Petition hat bereits etwa 10 650 Unterschriften.
Auch die Lassbergschule der Stiftung KBZO in Sigmaringen gehört zu den betroffenen Schulen mit Präsenzunterricht. Im Vergleich zur Fidelisschule ist sie bedeutend kleiner, dort sind 37 Schüler angemeldet. Schulleiterin Charlotte Mühl hat sich mit der aktuellen Situation angefreundet: „Anfangs hätte ich mich klar für die Notbetreuung ausgesprochen, aber inzwischen bin ich froh, dass ich diese Entscheidung nicht treffen musste.“Sie sieht sowohl Argumente für die Öffnung als auch für die Schließung. Die motorische Förderung sei wichtig. In der Praxis heißt das, auf acht Schüler kommen zwei Erwachsene. Im Homeschooling funktioniere die Förderung nicht durchgehend, auch wenn es Lernpakete, Telefonate mit Schülern und auch digitale Ausstattung gebe. „Manche Kinder brauchen Unterstützung, aber das geht nicht, wenn Eltern arbeiten sind“, sagt Mühl.
Die Größe der Schule spielt auch eine große Rolle, warum Mühl die aktuelle Situation vertretbar findet. Durch die kleinen Gruppen sei ausreichend Abstand nötig und auch die Lehrer tragen Mundschutz, obwohl das in der Grundstufe nicht vorgeschrieben sei. Den geforderten Wechselunterricht sieht sie kritisch: Zwar biete er sich an, wenn die Räumlichkeiten die Hygienemaßnahmen nicht ermöglichen, sagt sie, doch durch den Zuwachs an Gruppen gebe es auch mehr organisatorischen Aufwand und mehr Aufgaben zu erledigen.
„Inzwischen bin ich froh, dass ich diese Entscheidung nicht treffen musste“, sagt Charlotte Mühl, Leiterin der Lassbergschule der Stiftung KBZO.