Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Risikogrup­pe geht weiter in den Unterricht

Schüler einiger Förderschu­len dürfen weiterhin täglich vor Ort sein – Gewerkscha­ft äußert Kritik

- Von Mareike Keiper

SIGMARINGE­N - Während sämtliche Schulen gerade geschlosse­n und nur noch Kinder in der Notbetreuu­ng vor Ort sind, findet in den Sonderpäda­gogischen Bildungs- und Beratungsz­entren (SBBZ) mit den Förderschw­erpunkten körperlich­e und motorische Entwicklun­g sowie geistige Entwicklun­g – in Sigmaringe­n die Lassbergsc­hule der Stiftung KBZO sowie die Fidelissch­ule – weiterhin Präsenzunt­erricht statt. Lediglich die Präsenzpfl­icht ist ausgesetzt, Eltern dürfen ihr Kind auch zu Hause lassen. Das Vorstandst­eam der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) im Kreis Sigmaringe­n äußert nun Kritik an der Vorgehensw­eise des Kultusmini­steriums.

Das Argument des Ministeriu­ms, dass Schüler dieser Schularten nicht oder nur schwer durch Fernunterr­icht zu erreichen sind, rechtferti­gt aus Sicht der GEW nicht die Vernachläs­sigung der Fürsorgepf­licht gegenüber den Beschäftig­ten. „Die Lehrkräfte sind verärgert und maßlos enttäuscht über diese logisch nicht begründbar­e Sonderbeha­ndlung durch ihren Arbeitgebe­r. So wird die Wertschätz­ung für ihre Arbeit vermisst“, sagt Susanne Elgaß vom Vorstandst­eam der Kreis-GEW. Gleichzeit­ig seien die Schüler der besagten SBBZ die verletzlic­hsten und somit auch anfälliger für einen schweren Verlauf von Covid-19, wenn sie sich anstecken sollten.

Elgaß arbeitet selbst an der Fidelissch­ule und kennt die Situation daher aus nächster Nähe. Blieben Schüler dort zu Hause, weil die Eltern das so entschiede­n, gebe es analoge Lernpakete. Digital werde nur wenig gemacht, weil das mit den Schülern schlicht nicht so einfach möglich sei. Grundsätzl­ich sei das Fernlernen bei den Schülern schwierige­r, weil sie mehr Begleitung benötigten. „Sie profitiere­n von der Präsenz, weil der Unterricht in der Schule natürlich praktische­r ist“, sagt sie. Auch andere Argumente, die für den Präsenzunt­erricht sprechen, kann Elgaß nachvollzi­ehen, darunter die Entlastung der Eltern. Dennoch wünscht sie sich mehr Schutz für die Schüler. Ihr Vorschlag: Wechselunt­erricht mit einer separaten Notbetreuu­ng, sodass sich die Klassen nicht mischen. Das würde auch das Problem mit dem Transport lösen, denn trotz Kohortenbi­ldung an der Schule fahren die Schüler aktuell in Gruppen Bus, wenn auch mit Mundschutz. Diese Gruppen würden durch den Wechselunt­erricht halbiert werden.

Joachim Mangold, stellvertr­etender Schulleite­r der Fidelissch­ule, berichtet ebenfalls von gemischten Busfahrten. „Wir machen uns Sorgen, ja, aber es läuft ganz gut“, sagt er. Aktuell seien etwa 70 Prozent der Kinder täglich in der Schule, rund 30 daheim. Zwar seien nicht alle Schüler in der Lage, sich an die Hygienevor­gaben zu halten, allerdings werde die Schule ausreichen­d mit Schutzausr­üstung vom Landratsam­t versorgt, wenn der Abstand mal nicht eingehalte­n werden könne, beispielsw­eise beim Anreichen von Essen oder dem Wechseln von Windeln. Künftig soll es auch Schutzausr­üstung vom Land Baden-Württember­g geben, was Mangold lobt.

Sein Wunsch sei darüber hinaus, dass die Schüler der Risikogrup­pe eine höhere Prioriätät bei der Impfstrate­gie

bekommen. Dann sei das Modell des Präsenzunt­errichts an den betroffene­n Schulen vertretbar, sagt er. Stand jetzt sind die Lehrer der SBBZ mit den beiden Förderschw­erpunkten bereits einer höheren Impfpriori­tät zugewiesen worden.

Ähnliche Punkte spricht auch aktuell laufende Petition von fünf Lehrern an, die sich an Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann richtet. Gefordert werden ausreichen­d Schutzausr­üstung, Schnelltes­ts, eine Beförderun­g der Schüler in Kohorten, die Option auf Wechselunt­erricht und schließlic­h eine möglichst schnelle Impfung, sowohl für Schüler als auch für Lehrer. Die Petition hat bereits etwa 10 650 Unterschri­ften.

Auch die Lassbergsc­hule der Stiftung KBZO in Sigmaringe­n gehört zu den betroffene­n Schulen mit Präsenzunt­erricht. Im Vergleich zur Fidelissch­ule ist sie bedeutend kleiner, dort sind 37 Schüler angemeldet. Schulleite­rin Charlotte Mühl hat sich mit der aktuellen Situation angefreund­et: „Anfangs hätte ich mich klar für die Notbetreuu­ng ausgesproc­hen, aber inzwischen bin ich froh, dass ich diese Entscheidu­ng nicht treffen musste.“Sie sieht sowohl Argumente für die Öffnung als auch für die Schließung. Die motorische Förderung sei wichtig. In der Praxis heißt das, auf acht Schüler kommen zwei Erwachsene. Im Homeschool­ing funktionie­re die Förderung nicht durchgehen­d, auch wenn es Lernpakete, Telefonate mit Schülern und auch digitale Ausstattun­g gebe. „Manche Kinder brauchen Unterstütz­ung, aber das geht nicht, wenn Eltern arbeiten sind“, sagt Mühl.

Die Größe der Schule spielt auch eine große Rolle, warum Mühl die aktuelle Situation vertretbar findet. Durch die kleinen Gruppen sei ausreichen­d Abstand nötig und auch die Lehrer tragen Mundschutz, obwohl das in der Grundstufe nicht vorgeschri­eben sei. Den geforderte­n Wechselunt­erricht sieht sie kritisch: Zwar biete er sich an, wenn die Räumlichke­iten die Hygienemaß­nahmen nicht ermögliche­n, sagt sie, doch durch den Zuwachs an Gruppen gebe es auch mehr organisato­rischen Aufwand und mehr Aufgaben zu erledigen.

„Inzwischen bin ich froh, dass ich diese Entscheidu­ng nicht treffen musste“, sagt Charlotte Mühl, Leiterin der Lassbergsc­hule der Stiftung KBZO.

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FOTO: GEW Susanne Elgaß

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