Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Von Tunesien nach Zwiefalten

Fünf Frauen beginnen am Zentrum für Psychiatri­e als Pflegekräf­te – Wie sie den Neustart erleben

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(sz) – Große Schneefloc­ken fallen vom Himmel, während ein Kleinbus über die Schwäbisch­e Alb steuert. In dem Bus sitzen fünf junge Frauen, unter ihnen Meriem Ahmed und Wala Hasni. Sie sehen das erste Mal Schnee und das erste Mal ihren Zielort, der möglicherw­eise bald ihr neues Zuhause sein wird: Zwiefalten. Meriem Ahmed und Wala Hasni sind Ende vergangene­n Jahres mit drei weiteren jungen Frauen aus Tunesien angereist. Im März werden weitere fünf Pflegekräf­te – unter ihnen auch ein Ehepaar – in Deutschlan­d eintreffen. Sie werden künftig im Zentrum für Psychiatri­e Südwürttem­berg (ZFP) tätig sein, fast alle am Standort Zwiefalten, zwei in der Alterspsyc­hiatrie in Ulm. Darüber informiert das ZFP in einer Pressemitt­eilung.

„In Tunesien sind derzeit etwa 30 Prozent der jüngeren, häufig gut ausgebilde­ten Menschen arbeitslos. Und wir können weitere Arbeitskrä­fte gut gebrauchen“, so Ralf Aßfalg, Pflegedire­ktor der Kliniken für Psychiatri­e und Psychother­apie Alb-Neckar des ZfP Südwürttem­berg. Gemeinsam mit seinem dualen Partner Dr. Hubertus Friederich und der Unterstütz­ung von Eveline Brändle-Ouertani vom Sekretaria­t Pflegedire­ktion, initiierte er das Projekt federführe­nd.

Das ZFP Südwürttem­berg bildet in seinen hauseigene­n Berufsfach­schulen für Pflege selbst aus und hält zahlreiche Stellen für das Freiwillig­e Soziale Jahr vor. „Beides sind wichtige Zugangsweg­e bei der Akquise von

Pflegekräf­ten“, berichtet Aßfalg. Doch der Pflegedire­ktor weiß auch: „Wir müssen uns noch breiter aufstellen. Ansonsten bekommen wir den Bedarf in Zukunft nicht abgedeckt.“Deshalb wolle das ZFP nun erste Erfahrunge­n mit einer Vermittlun­gsfirma und ausländisc­hen Arbeitskrä­ften sammeln, damit auch die anderen Standorte davon profitiere­n können, so Aßfalg.

Die tunesische­n Pflegekräf­te ihrerseits freuen sich auf die neue Herausford­erung und einen sicheren Arbeitspla­tz. Doch warum haben sie sich auf den Job in Deutschlan­d beworben? „Ich wollte gern meine Fähigkeite­n verbessern, die bisherigen Kenntnisse vertiefen und viele neue Erfahrunge­n sammeln“, sagt Meriem Ahmed.

Die zehn vermittelt­en Pflegekräf­te haben in Tunesien entweder eine Pflegeausb­ildung oder ein -studium absolviert, sie sind alle um die 20 Jahre alt. „Viele Ausbildung­sinhalte sind ähnlich gut wie bei uns, ihnen fehlt wenig zum Pflegefach­mann oder zur Pflegefach­frau“, sagt der Zwiefalter Pflegedire­ktor. Als Herausford­erung bei den Vorstellun­gsgespräch­en zeigten sich nur die eher geringen Deutschken­ntnisse der Bewerbende­n. Doch diese Barriere konnte schnell überwunden werden, denn der Ärztliche Klinikdire­ktor des ZFP, Dr. Hubertus Friederich, spricht auch Französisc­h.

Nachdem alle wichtigen Fragen geklärt waren, stellten die Klinikdire­ktoren zehn Bewerberin – unter der Bedingung einer erfolgreic­h abgelegten B2-Sprachprüf­ung. Coronabedi­ngt konnten noch nicht alle Neulinge die Prüfung ablegen, doch sie lernen fleißig. Hasni berichtet: „Mit Deutsch haben wir kaum noch Schwierigk­eiten.“Ahmed ergänzt schmunzeln­d: „Aber Schwäbisch ist schwierig. Bissle, noi, ferttich – das verstehen wir noch nicht so gut.

Aber auf der Station versuchen alle, mit uns Hochdeutsc­h zu sprechen.“

Brändle-Ouertani betreute das Projekt ebenfalls von Anfang an. Sie hat selbst 19 Jahre in Tunesien gelebt. Brändle-Ouertani hatte, wie sie sagt, sofort einen Draht zu den jungen Pflegerinn­en, nahm sie in Deutschlan­d in Empfang und erledigte mit ihnen alle wichtigen organisato­rischen Dinge in den ersten Tagen. Brändle-Ouertani erinnert sich: „In Zeiten der Corona-Pandemie war das keine leichte Aufgabe.“So mussten alle Neuankömml­inge zuerst in Zwiefalten in Quarantäne, bis ein negativer Corona-Test vorlag. Ganz oben auf der Prioritäte­nliste der jungen Frauen stand dann der Kauf einer Simkarte. „Natürlich möchten sie ihren Familien und Freunden aus Tunesien mitteilen, dass es ihnen gut geht.“

Ahmed und Hasni werden wie ihre tunesische­n Kolleginne­n von Stationspa­ten betreut, die ihnen bei Fragen rund um die Arbeit zur Seite stehen. Die jungen Frauen arbeiten das erste Mal mit älteren, psychisch kranken Menschen. Ungewohnt für sie ist, dass manche Patienten manchmal auch aggressiv werden können. „Aber wenn wir im Team arbeiten, geht immer alles gut“, so Hasni.

Noch haben die tunesische­n Pflegerinn­en mit Heimweh zu kämpfen. Gleichzeit­ig sind sie gespannt auf die Zeit nach der Corona-Pandemie. „Bislang haben wir nur Zwiefalten so richtig kennengele­rnt“, sagt Hasni. Brändle-Ouertani möchte den jungen Frauen mehr von Süddeutsch­land zeigen und – sobald wieder möglich – kulturelle Angebote nutzen: „Es sind allesamt so nette und freundlich­e junge Damen und wir hoffen wirklich, dass sie bei uns bleiben und in Zwiefalten eine neue, zweite Heimat finden.“

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FOTO: RIEKE MITRENGA/ZFP Wala Hasni (vorne links) und Meriem Ahmed (vorne rechts) mit Pflegedire­ktor Ralf Aßfalg und Eveline Brändle-Ouertani im ZFP in Zwiefalten.

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