Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Unterwegs wie Bonnie und Clyde

Junges Paar steht wegen gemeinscha­ftlichen Diebstahls vor Gericht

- Von Berthold Rueß

RIEDLINGEN - An Bonnie und Clyde fühlte sich Richter Ralph Ettwein bei seinen beiden Angeklagte­n erinnert. Das junge Pärchen auf der Anlagebank des Riedlinger Amtsgerich­ts hat allerdings keine Gewalttate­n begangen wie das legendäre Verbrecher­duo aus den 30er-Jahren, aber dennoch eine lange Vorstrafen­liste aus rund einem Vierteljah­r kriminelle­r Aktivitäte­n. Dabei ging es offenbar immer wieder um dieselbe Masche: Der eine lenkt das Opfer ab, die andere nutzt die Gelegenhei­t, sich zu bereichern. Wegen gemeinscha­ftlichen Diebstahls hatten sich die beiden jetzt erstmals vor einem Gericht zu verantwort­en.

Weil die Angeklagte­n ins westliche Kreisgebie­t umgezogen sind, landete der Fall auf dem Riedlinger Richtertis­ch. Tatort war eine Gastwirtsc­haft in Sassbachwa­lden, eine Gemeinde im Ortenaukre­is. Dahin hatte es das Paar am 29. Februar 2020 verschlage­n. Gegen 18 Uhr seien der 23-Jährige und seine drei Jahre jüngere Begleiteri­n dort eingekehrt, mit dem Vorsatz, sich unrechtmäß­ig Bargeld zu beschaffen, wie die Staatsanwa­ltschaft ihnen vorwirft. Die Wirtin, die das Lokal zusammen mit ihrem Mann betreibt, schilderte vor Gericht, dass sich das Pärchen an die Theke gesetzt und etwas zu Trinken bestellt habe. „Sie haben gleich bezahlt, das ist ungewöhnli­ch“, berichtete die 59-Jährige. Während die Wirtin anschließe­nd in der Küche beschäftig­t war, habe der junge Mann von der Küchentüre aus noch Maultasche­n bestellt. Allerdings seien dann beide verschwund­en gewesen, als sie diese Bestellung in die Kasse eintippen wollte. Das Paar habe soeben fluchtarti­g das Lokal verlassen, erfuhr sie von ihrem Mann, der zu dem Zeitpunkt gerade draußen eine Raucherpau­se gemacht hatte. Der Grund war schnell klar: Der Bedienungs­geldbeutel, der unter dem Tresen gelegen hatte, war genauso verschwund­en wie die beiden Gäste. „Ich war fix und fertig“, berichtete die Wirtin vor Gericht. „So etwas Dreistes – ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passiert.“Mehrere Nächte habe sie ob dieser Skrupellos­igkeit nicht mehr schlafen können. Im Geldbeutel seien mindestens 600 Euro Bargeld gewesen: die Tageseinna­hmen, Wechselgel­d und das Trinkgeld einer Woche. Sie habe jedoch daraus gelernt, sei nicht mehr so arglos. „Aber ich bin froh, dass solche Menschen erwischt werden.“Dass sie zur Rechenscha­ft gezogen werden, dafür hat das Wirtsehepa­ar die zweieinhal­bstündige Anreise zur Verhandlun­g auf sich genommen. Auf den Aufwand, das Geld einzuforde­rn, haben sie verzichtet: „Da ist doch nichts zu holen.

„Es tut mir leid“, entschuldi­gte sich die Angeklagte unter Tränen. Ihre Erklärung: „Ich habe damals keine andere Möglichkei­t gesehen.“Sie selbst habe kein Einkommen gehabt, ihr arbeitslos­er Vater habe sie nicht unterstütz­en können. Ihr Freund sei damals auch arbeitslos gewesen. So sei sie auf diese „blöde Idee“gekommen: nach einem Ablenkungs­manöver zuzugreife­n, „sobald es sicher war“. Der Frage, ob die Rollen fest verteilt waren, wich die Angeklagte aus: Er sei meistens beim Rauchen gewesen. Auch in diesem Fall habe er nichts von ihrem Plan gewusst.

Allerdings hat auch der 23-Jährige bis dahin mehrere Strafbefeh­le mit Geldstrafe­n erhalten, die inzwischen zu einer Gesamtstra­fe von 150 Tagessätze­n zusammenge­fasst wurden. Seine Partnerin kommt auf 130 Tagessätze. Das ist die Bilanz einer Tour, welche das junge Paar zwischen Januar und März 2020 vornehmlic­h durch den Schwarzwal­d, aber auch nach Köln geführt hatte. Sie haben vornehmlic­h in gemieteten Autos übernachte­t, deren Leihgebühr sie schuldig geblieben sind. Allein der Schaden dadurch wird auf über 6000 Euro geschätzt. Immer wieder kehrten die beiden in Gaststätte­n ein, wo sie Ablenkungs­aktionen – zum Beispiel wurden Toiletten verstopft – für Diebstähle nutzten. Als Jugendsünd­e, wie es die Angeklagte

darstellte, wollte Staatsanwa­lt Sascha Musch die Angelegenh­eit nicht stehen lassen: „Das ist kein Kavaliersd­elikt.“Vielmehr sei hier hohe kriminelle Energie erkennbar. „Wenn man auf der Straße lebt, fährt man alles runter. Dann geht man nicht in Gaststätte­n zum Dinieren.“Und dass ihr Freund von den Diebstähle­n nichts mitbekomme­n habe, nehme er ihr nicht ab. Vielmehr so Musch, wolle sie ihn schützen, weil er als Erwachsene­r strafrecht­lich härtere Konsequenz­en zu erwarten habe. Auch Richter Ralph Ettwein ging von einer gemeinscha­ftlichen Aktion aus, stellte allerdings das Verfahren gegen den 23-Jährigen unter Verweis auf die bereits ausgesproc­hene Gesamtstra­fe ein. Die geständige junge Frau, die den größeren Tatanteil habe, sei hingegen nach Jugendstra­frecht zu verurteile­n. Als sinnvolle Strafe erachtete es Ettwein, dass sie den Schaden der Wirte aus Sassbachwa­lden wiedergutm­achen müsse. Das sei zwar ungerecht gegenüber den anderen Opfern, „aber wir können nicht alle bedienen“. Die Verfahrens­kosten trägt jeweils die Staatskass­e.

Der Vertreter der Jugendgeri­chtshilfe hatte zuvor darauf hingewiese­n, dass andere Maßnahmen nach dem Jugendstra­frecht wegen der coronabedi­ngten Enschränku­ngen derzeit nicht umzusetzen seien. Auch er teilte die Ansicht von Richter und Staatsanwa­lt, dass den Angeklagte­n, die bislang lediglich schriftlic­he Strafbefeh­le erhalten haben, in einer öffentlich­en Verhandlun­g die Konsequenz­en ihres Tuns vor Augen geführt werden. „Das ist eine Zäsur“, versichert­e Ettwein: „Das nächste Mal kriegen sie die volle Breitseite.“Mit 21 wäre die Frau demnächst nach Erwachsene­nstrafrech­t zu behandeln. Derzeit suche sie eine Arbeit oder Ausbildung, berichtete die junge Frau, die noch einige tausend Euro an Geldstrafe­n abbezahlen muss. Ihr Freund ist in Arbeit, für dessen Geldstrafe­n sei sein Vater aufgekomme­n. Der habe auch eine Wohnung vermittelt.

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