Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Die Romantik geht verloren“
Wie der Familienzirkus Renz um die Existenz kämpft und neue Pläne schmiedet
MITTELBIBERACH - Seit Herbst schon sitzen die Zirkusfamilie Renz und fünf weitere Mitarbeiter in Mittelbiberach fest (SZ berichtete). Die anfängliche Verzweiflung ist inzwischen vorsichtiger Hoffnung gewichen, auch dank tatkräftiger Unterstützung aus der Region. Zirkusdirektor Karl Heinz Renz hat für den Notfall inzwischen einen Plan B geschmiedet: ein Ende des fahrenden Zirkus’ und ein radikaler Neuanfang.
Früher war Karl Heinz Renz Kunstreiter, Messerwerfer und nicht zuletzt Trapezkünstler. In luftiger Höhe beeindruckte er die Zuschauer. Heute denkt der 54-Jährige noch immer gerne an die Zeit zurück. Doch die artistischen Fähigkeiten braucht er inzwischen für eine andere Aufgabe: In diesen Tag steigt Renz oft zwei Mal am Tag auf das rutschige Giebelzelt, um den schweren Schnee vom Dach zu schieben. Darunter stehen seine Tiere im Stall. Manchmal sind die Kamele und Pferde aber auch auf der Koppel.
Renz sagt, er habe sich einen festen Tagesablauf organisiert: Doch all das, was früher seine Leidenschaft ausmachte, kommt darin nicht mehr vor: Besucher unterhalten, Tiere auf die Manege führen, im großen Zeltrund für Stimmung zu sorgen. Vereinzelte Besucher kämen noch immer vorbei, manchmal um die Tiere zu sehen oder um etwas Futter abzugeben.
Die Gespräche tun auch dem Zirkusdirektor gut: „Früher habe ich mich manchmal als Mensch zweiter Klasse gefühlt“, erzählt er. „Gerade jetzt in der Krise sehen und fühlen wir, wie sehr wir gebraucht werden.“Immer wieder kämen Besucher, die fragen, wie es mit dem Zirkus weitergeht. „Wann könnt ihr endlich wieder spielen?“, diese Frage höre er oft. Und von den Bürgern kommt nicht nur Zuspruch, sondern auch Unterstützung: „Wir waren verzweifelt, haben aber ein paar sehr gute Engel gefunden“, erzählt Renz. Inzwischen könne er die täglichen Kosten für Strom, Verpflegung und Futter in Höhe von etwa 150 Euro aus Spenden decken, erzählt er. Einige Menschen haben sich für den Zirkus eingesetzt und rasch geholfen.
Dankbar sei er auch dem Mittelbiberacher Bürgermeister, der den Platz in der Schulstraße angeboten hat. Inzwischen würden sie zwar nicht mehr vor Supermärkten und anderen Läden um Spenden bitten. Die Geschäfte hätten sie wissen lassen, dass das nicht gewünscht sei. Aber für den Moment, sagt Renz, kommen sie über die Runden.
Der siebenjährige Enkel Luis holt sich momentan täglich die Aufgabenblätter von der Grundschule ab und lernt dann mit seiner Mutter. Renz erzählt, die Schulbildung seines Enkels sei ihm wichtig. Er selbst habe als Kind gerade etwas lesen und schreiben gelernt, die Schule nach der zweiten Klasse wieder verlassen.
Doch die Welt verändere sich, wer weiß, wofür die Schulbildung des Enkels noch von Nutzen sein könnte. „Die Romantik des Zirkus’ geht langsam verloren.“Viele Zirkusse hatten auch schon vor der Corona-Pandemie zu leiden, mit diesem Problem ist der Zirkus Renz nicht alleine. Nun aber, wo die Familie seit Monaten festsitzt und keine Perspektive sieht, plagen Renz ganz besonders die Existenzsorgen. Wie er von Kollegen anderer Zirkusse gehört hat, wollen viele Gemeinden selbst für den diesjährigen Weihnachtszirkus noch keine Genehmigungen erteilen. „Wir wissen überhaupt nicht, wie es mit uns weitergeht“, sagt Renz.
Doch im schlimmsten Fall habe er sich überlegt, sesshaft zu werden. Vielleicht sogar irgendwo in Süddeutschland zu bleiben. Das wäre zwar eine echte Zäsur in der Geschichte des Zirkusbetriebs, die bis ins Jahr 1842 zurück reicht. Aber „wenn die eigenen Kinder und Enkel mit dem Zirkus keine Zukunft mehr haben, müssen wir in den sauren Apfel beißen“, gesteht er. Ideen für die Zeit der Sesshaftigkeit hat Renz genug: vielleicht eine Tiertherapie anbieten, Projekte mit Schulen oder Tiertrekking. Vielleicht auch eine Mischung aus alledem.
Ganz aber wollen Renz und seine Familie die Hoffnung noch nicht aufgeben. Zumindest für die Zeit, wenn sie irgendwann Mittelbiberach wieder verlassen können, haben sie bereits eine konkrete Idee: „Wir wollen eine Dankesvorstellung geben“, sagt Renz, „den Bürgern etwas zurückgeben“. Wenn der Zirkus die Region irgendwann wieder verlässt, soll zumindest eines in Mittelbiberach bleiben: die Erinnerung an eine beeindruckende Zirkusshow.
Die Familie Renz freut sich weiterhin über Spenden: Wer dem Zirkus mit Geld oder Futter helfen möchte, kann sich unter der Nummer 0159/01059025 melden.