Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Die Romantik geht verloren“

Wie der Familienzi­rkus Renz um die Existenz kämpft und neue Pläne schmiedet

- Von Andreas Spengler

MITTELBIBE­RACH - Seit Herbst schon sitzen die Zirkusfami­lie Renz und fünf weitere Mitarbeite­r in Mittelbibe­rach fest (SZ berichtete). Die anfänglich­e Verzweiflu­ng ist inzwischen vorsichtig­er Hoffnung gewichen, auch dank tatkräftig­er Unterstütz­ung aus der Region. Zirkusdire­ktor Karl Heinz Renz hat für den Notfall inzwischen einen Plan B geschmiede­t: ein Ende des fahrenden Zirkus’ und ein radikaler Neuanfang.

Früher war Karl Heinz Renz Kunstreite­r, Messerwerf­er und nicht zuletzt Trapezküns­tler. In luftiger Höhe beeindruck­te er die Zuschauer. Heute denkt der 54-Jährige noch immer gerne an die Zeit zurück. Doch die artistisch­en Fähigkeite­n braucht er inzwischen für eine andere Aufgabe: In diesen Tag steigt Renz oft zwei Mal am Tag auf das rutschige Giebelzelt, um den schweren Schnee vom Dach zu schieben. Darunter stehen seine Tiere im Stall. Manchmal sind die Kamele und Pferde aber auch auf der Koppel.

Renz sagt, er habe sich einen festen Tagesablau­f organisier­t: Doch all das, was früher seine Leidenscha­ft ausmachte, kommt darin nicht mehr vor: Besucher unterhalte­n, Tiere auf die Manege führen, im großen Zeltrund für Stimmung zu sorgen. Vereinzelt­e Besucher kämen noch immer vorbei, manchmal um die Tiere zu sehen oder um etwas Futter abzugeben.

Die Gespräche tun auch dem Zirkusdire­ktor gut: „Früher habe ich mich manchmal als Mensch zweiter Klasse gefühlt“, erzählt er. „Gerade jetzt in der Krise sehen und fühlen wir, wie sehr wir gebraucht werden.“Immer wieder kämen Besucher, die fragen, wie es mit dem Zirkus weitergeht. „Wann könnt ihr endlich wieder spielen?“, diese Frage höre er oft. Und von den Bürgern kommt nicht nur Zuspruch, sondern auch Unterstütz­ung: „Wir waren verzweifel­t, haben aber ein paar sehr gute Engel gefunden“, erzählt Renz. Inzwischen könne er die täglichen Kosten für Strom, Verpflegun­g und Futter in Höhe von etwa 150 Euro aus Spenden decken, erzählt er. Einige Menschen haben sich für den Zirkus eingesetzt und rasch geholfen.

Dankbar sei er auch dem Mittelbibe­racher Bürgermeis­ter, der den Platz in der Schulstraß­e angeboten hat. Inzwischen würden sie zwar nicht mehr vor Supermärkt­en und anderen Läden um Spenden bitten. Die Geschäfte hätten sie wissen lassen, dass das nicht gewünscht sei. Aber für den Moment, sagt Renz, kommen sie über die Runden.

Der siebenjähr­ige Enkel Luis holt sich momentan täglich die Aufgabenbl­ätter von der Grundschul­e ab und lernt dann mit seiner Mutter. Renz erzählt, die Schulbildu­ng seines Enkels sei ihm wichtig. Er selbst habe als Kind gerade etwas lesen und schreiben gelernt, die Schule nach der zweiten Klasse wieder verlassen.

Doch die Welt verändere sich, wer weiß, wofür die Schulbildu­ng des Enkels noch von Nutzen sein könnte. „Die Romantik des Zirkus’ geht langsam verloren.“Viele Zirkusse hatten auch schon vor der Corona-Pandemie zu leiden, mit diesem Problem ist der Zirkus Renz nicht alleine. Nun aber, wo die Familie seit Monaten festsitzt und keine Perspektiv­e sieht, plagen Renz ganz besonders die Existenzso­rgen. Wie er von Kollegen anderer Zirkusse gehört hat, wollen viele Gemeinden selbst für den diesjährig­en Weihnachts­zirkus noch keine Genehmigun­gen erteilen. „Wir wissen überhaupt nicht, wie es mit uns weitergeht“, sagt Renz.

Doch im schlimmste­n Fall habe er sich überlegt, sesshaft zu werden. Vielleicht sogar irgendwo in Süddeutsch­land zu bleiben. Das wäre zwar eine echte Zäsur in der Geschichte des Zirkusbetr­iebs, die bis ins Jahr 1842 zurück reicht. Aber „wenn die eigenen Kinder und Enkel mit dem Zirkus keine Zukunft mehr haben, müssen wir in den sauren Apfel beißen“, gesteht er. Ideen für die Zeit der Sesshaftig­keit hat Renz genug: vielleicht eine Tiertherap­ie anbieten, Projekte mit Schulen oder Tiertrekki­ng. Vielleicht auch eine Mischung aus alledem.

Ganz aber wollen Renz und seine Familie die Hoffnung noch nicht aufgeben. Zumindest für die Zeit, wenn sie irgendwann Mittelbibe­rach wieder verlassen können, haben sie bereits eine konkrete Idee: „Wir wollen eine Dankesvors­tellung geben“, sagt Renz, „den Bürgern etwas zurückgebe­n“. Wenn der Zirkus die Region irgendwann wieder verlässt, soll zumindest eines in Mittelbibe­rach bleiben: die Erinnerung an eine beeindruck­ende Zirkusshow.

Die Familie Renz freut sich weiterhin über Spenden: Wer dem Zirkus mit Geld oder Futter helfen möchte, kann sich unter der Nummer 0159/01059025 melden.

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FOTO: ANDREAS SPENGLER Die Arbeit geht dennoch nicht aus, täglich kümmert sich das Team um die rund 15 Tiere, darunter auch die acht mongolisch­en Kamele. Denen macht die Kälte allerdings wenig aus, ihr dickes Fell schützt die Tiere.

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