Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Kleingedrucktes
Es sind ja oft die schlecht zu sehenden bis nahezu unsichtbaren Dinge des Lebens, die unseren Alltag bestimmen. Eine bittere Erkenntnis nicht nur in hochinfektiösen Zeiten wie diesen. Nehmen wir nur das allgegenwärtige Kleingedruckte. Es ist erfunden worden, um an sich wichtige Sachen möglichst weitschweifig, kompliziert und vor allem schlecht lesbar in Verträgen oder Geschäftsbedingungen zu verschleiern. Wer zum Beispiel die Datenschutzbestimmungen zu seinem neuen Smartphone vor Inbetriebnahme durchlesen möchte, wird riskieren, dass in der Zwischenzeit bereits Nachfolgemodelle auf den Markt kommen – während der Konsument noch nicht einmal die verschlungene Schachtelsatzkonstruktion der Einleitung verstanden hat.
Nicht nur führende Augenärzte kritisieren, dass Kleingedrucktes so furchtbar klein gedruckt ist. Eigentlich können nur Virologen mit Mikroskop die Zutatenliste einer Päcklesuppe im Supermarkt entziffern. Da die aber im Augenblick weiß Gott Besseres zu tun haben, wäre es praktisch, wenn der Normalmensch das auch ohne Mühe schaffen könnte.
Zum Glück gibt es aus medizinischer Sicht keine wissenschaftlich bestätigten Hinweise, dass man sich die Augen beim Lesen des Kleingedruckten tatsächlich verdirbt. Das gilt übrigens auch für das Lesen von nicht klein Gedrucktem bei schummriger Beleuchtung. Ästheten verteidigen das Kleingedruckte als minimalistische Form von Sprache. Aber wer Kleingedrucktes allen Ernstes für Sprache hält, hat sowieso die Kontrolle über seinen Wortschatz verloren. (nyf )