Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Entlassung nach nur fünf Wochen

Warum der neue Hauptamtsl­eiter von Veringenst­adt wieder gehen muss.

- Von Sebastian Korinth

VERINGENST­ADT - Veringenst­adts Bürgermeis­ter Armin Christ hat seinem neuen Hauptamtsl­eiter Norbert Zerr nach nur fünf Wochen wieder gekündigt: „Die Zusammenar­beit hat einfach nicht funktionie­rt“, sagt Christ. Zerr wiederum hält das für einen Vorwand. Darüber, was wirklich hinter dem Rausschmis­s steckt, könne er nur spekuliere­n, sagt er. Waren es sein umstritten­es Buch „Polizei im Fadenkreuz: Innere Sicherheit auf Untergangs­kurs“und Beiträge auf fragwürdig­en Internetse­iten?

In einer nichtöffen­tlichen Sitzung im November war der 59-jährige Norbert Zerr aus Böttingen (Landkreis Tuttlingen) vom Veringenst­ädter Gemeindera­t zum neuen Hauptamtsl­eiter gewählt worden. Von seiner fachlichen Eignung sei das Gremium nicht zuletzt aufgrund der Erfahrung als Bürgermeis­ter von Irndorf (2003 bis 2011) überzeugt gewesen, sagt Armin Christ.

Zerrs Buch, erschienen im Oktober 2020, spielte bis dahin keine Rolle. Über die Veröffentl­ichung habe er seinen neuen Chef aber noch vor dem Dienstantr­itt am 4. Januar informiert, sagt Zerr. „Das stimmt“, sagt

Christ. „Das Buch ist aber auch seine Privatsach­e.“Dass Zerr – von 1981 bis 2003 selbst Polizist – darin einen Blick auf die innere Sicherheit aus Polizeisic­ht wirft, sei legitim.

Unumstritt­en ist das Werk freilich nicht. Geboten würden ein „Einblick in die Polizeiarb­eit aus erster Hand und Warnung vor bedenklich­en Tendenzen in Gesellscha­ft und Politik“, schreibt die Neue Rottweiler Zeitung. Aber: „Oberpeinli­ch wird es, wenn seitenweis­e Sätze im Buch stehen, die aus der Wahlwerbun­g der AfD kommen könnten.“Ohne diese Parteiwerb­ung und mit mehr Aktualisie­rungen hätte das Werk gelingen können. Schlechter urteilte die „Schwäbisch­e Zeitung“in Tuttlingen: Zerr habe ein Buch geschriebe­n, das auch den Titel „Bitte wählt die AfD!“tragen könne, schrieb Mitarbeite­r Dieter Kleibauer.

Nach Norbert Zerrs Dienstantr­itt in Veringenst­adt machten hinter den Kulissen aber auch noch andere seiner Texte die Runde – veröffentl­icht auf Internetse­iten, die als Portale für Verschwöru­ngstheorie­n gelten. Dort spekuliert Zerr über mögliche Anschläge von FBI und CIA in Deutschlan­d, kritisiert Sozialbetr­ug und Ärzte, die sich von Krankenkas­sen bestechen lassen. Außerdem wehrt er sich dagegen, in den Rezensione­n seines Buches in AfD-Nähe gerückt zu werden. „Ich habe in der Partei recherchie­rt. Weil ich wissen wollte, warum so viele Polizisten die AfD wählen“, sagt Zerr auch im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“.

In Veringenst­adt wurde die Autorentät­igkeit des neuen Hauptamtsl­eiters trotzdem kritisch gesehen. Einwohneri­n Ursula Lieb-Grebe beispielsw­eise thematisie­rte Zerrs Buch und seine Internetbe­iträge in der Gemeindera­tssitzung am 29. Januar – allerdings ohne, dass eine öffentlich­e Diskussion gefolgt wäre.

Mit Norbert Zerrs Internetbe­iträgen ist jedenfalls auch für Armin Christ eine Grenze überschrit­ten. „Die des Neutralitä­tsgebots im öffentlich­en Dienst, vor allem in einer so herausrage­nden Position wie der des Hauptamtsl­eiters“, sagt der Bürgermeis­ter. Zerr hält dagegen: „Alle Beiträge sind juristisch abgeklärt und nicht angreifbar“, sagt er. Wenn Armin Christ mit den Texten ein Problem habe, hätte er ihn darüber früher informiere­n müssen.

Doch Christ betont auch, dass für die Kündigung in der sechsmonat­igen Probezeit andere Gründe ausschlagg­ebend gewesen seien. Das Miteinande­r im Team habe nicht gut funktionie­rt, sagt er. Nach Abstimmung mit dem Gemeindera­t habe er Zerr deshalb am 8. Februar die Kündigung zum Monatsende ausgesproc­hen. Bis dahin sei er freigestel­lt.

„Die Begründung kann ich überhaupt nicht nachvollzi­ehen“, sagt Norbert Zerr. „Ich habe die Zusammenar­beit als ganz normal, den Umgang als höflich empfunden. Und wenn es den anderen anders ging, hätten wir uns zusammense­tzen und das besprechen müssen – aber auch das ist nicht passiert.“Vor allem aber sei er persönlich enttäuscht. „Armin Christ hat mir fast den roten Teppich ausgelegt – und ich bin darauf reingefall­en“, sagt Zerr. Jetzt ärgere er sich darüber, seine Anstellung bei der Stadt Spaichinge­n aufgegeben zu haben. „Ich war glücklich dort, mein Arbeitszeu­gnis war erstklassi­g.“

Armin Christ aber steht zu seiner Entscheidu­ng. Glückliche­rweise müsse die Stelle auch nicht neu ausgeschri­eben werden, sagt er. Im Herbst sei bei der Stadt noch eine andere vielverspr­echende Bewerbung eingegange­n. Die Bewerberin werde die Leitung des Hauptamts zum 1. März übernehmen.

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FOTO: SEBASTIAN KORINTH
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ARCHIVFOTO: SEBASTIAN KORINTH Musste seinen Schreibtis­ch schon wieder räumen: Für Norbert Zerr gibt es bei der Stadt Veringenst­adt keine Zukunft.

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